Ästhetik

„Es gibt viele gute und wichtige Maßnahmen im Vorfeld einer Behandlung“

Interview mit Prof. Dr. med. Ernst Magnus Noah (Kassel)

Prof. Dr. med. Ernst Magnus Noah war viele Jahre Chefarzt der Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie am Roten Kreuz Krankenhaus in Kassel. Seit 2021 leitet der Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie die eigene Privatklinik Noahklinik GmbH in Kassel, in der er seinen Patientinnen und Patienten das gesamte Spektrum ästhetischer Operationen und Verfahren auf höchstem Niveau anbietet. Wir sprachen mit Prof. Noah über die Vermeidung bzw. das Handling von Komplikationen bei Fillerbehandlungen.

Prof. Dr. med. Ernst Magnus Noah

DISKURS Dermatologie:
Herr Prof. Noah, welche Areale sind bei Fillerbehandlungen aus Ihrer Sicht besonders herausfordernd?

Prof. Noah:
Die Unterspritzung der Unterlider erfordert Erfahrung und besondere Kenntnisse. Hier kann durch eine Embolie sogar eine Erblindung auftreten. Die feinen Falten im Bereich der Oberlippe bergen immer ein gewisses Risiko für starke, unschöne Schwellungen – die sog. „Affenlippe“. Bei der Stirn können sichtbare Linien verbleiben. An der Glabella haben
wir Arterien mit eigenem Angiosom (Endstromgebiete) und somit eine nicht-triviale Nekrosegefahr. Auch an der Nase haben wir ein feines Gefäßnetz unter der Haut und es handelt sich ebenfalls um Endstromgebiete, sodass die intravaskuläre Injektion oder aber die Druckbelastung der Gefäße zu Nekrosen führen kann. Besondere Aufmerksamkeit ist auf diese Problematik bei voroperierten Nasen zu legen. Sie sehen, jedes Areal im Gesicht hat seine spezifischen Herausforderungen.

DISKURS Dermatologie:
Wie häufig sind diese Probleme während bzw. nach dem Treatment?

Prof. Noah:
Im Idealfall treten keine Probleme auf. Das ist zum Glück bei den meisten Behandlungen der Fall. Blutergüsse und kleine Verhärtungen sind schon möglich. Die oben angesprochenen Komplikationen sind zum Glück extrem selten – aber als Behandler muss man gewappnet sein, wenn doch etwas auftritt. Massagen und externe Behandlungen wie Lymphdrainage sind hilfreich bei Schwellungen. Kontrolluntersuchungen z.B. bei Asymmetrien. Aber wir haben einen Notfallkoffer mit Hylase und weiteren Arzneimitteln bei weiteren Komplikationen. Vorsicht ist besser als Nachsicht.

DISKURS Dermatologie:
Wie können diese Komplikationen vermieden werden?

Prof. Noah:
Zunächst einmal ist es wichtig zu betonen, dass es viele gute und wichtige Maßnahmen im Vorfeld einer Behandlung gibt, die zu einer Minimierung des Komplikationsrisikos beitragen. Die angesprochenen Probleme können aber trotzdem nie zu 100% ausgeschlossen werden. Dies sollte auch den Patient*innen ganz klar kommuniziert werden.

Um sowohl individuelle und natürlich aussehende Ergebnisse zu erzielen sowie auch das Komplikationsrisiko so gering wie möglich zu halten, verfahren wir in unserer Praxis analog dem sog. „Teoxane ATP Approach“, der auf 3 funda- mentalen Säulen basiert. Zunächst wäre hier das Thema Anatomie und Patientenbeurteilung zu nennen. Die individuelle Anatomie und Gesichtsdynamik der Patient*innen muss sorgfältig analysiert und auf dieser Grundlage eine fundierte Patient*innenbeurteilung vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang werden auch die von den Patient*innen vorgebrachten Wünsche bzw. Anforderungen sowie die jeweiligen Besonderheiten bzgl. u.a. Ethnie, Geschlecht und Alter in die Gesamtanalyse integriert. Der zweite wichtige Baustein ist naturgemäß das Festlegen und routinierte Beherrschen der für die jeweilige Behandlung bzw. das jeweilige Behandlungsareal im Rahmen der korrekt gestellten Indikation optimalen Technik. Nicht nur, aber gerade auch bei Fillerbehandlungen ist der dritte Baustein ebenso entscheidend: die Wahl des richtigen Produkts, des Dermalfillers mit den geeigneten rheologischen Eigenschaften, angepasst an die jeweilige Indikation und die gewünschten Ergebnisse und exakt taxiert bzgl. der benötigten Menge und Einbringtiefe. Darüber hinaus sollten stumpfe, nicht zu kleine Kanülen verwendet und ggf. im Vorfeld auch eine sonographische Überprüfung der Anatomie vorgenommen werden. Eine rationale Patient*innenauswahl ohne Patient*innen mit vormaligen Komplikationen in der Anamnese, das Meiden von voroperierten Arealen – oder zumindest die genaue Kenntnis dort eingebrachter Vorsubstanzen und deren Auflösung vor einer Neuinjektion – sowie eine allgemein große Zurückhaltung in der Behandlung der Glabellaregion können ebenfalls zu einer positiveren Komplikationsstatistik beitragen.

DISKURS Dermatologie:
Inwieweit tragen Vor- und Nach- sorge zum Behandlungserfolg bei?

Prof. Noah:
Unter einer adäquaten Vorsorge verstehe ich neben der bereits erwähnten sorgfältigen Auswahl der Patient*innen und exakten Indikationsstellung, u.a. durch ein ausführliches Erstgespräch mit umfassender individueller Beratung, natürlich auch die unmittelbare Vorbereitung der Behandlung mit lückenloser Sterilität und geeigneten Handschuhen. Aber auch z.B. der Schutz der Kanüle bei Kontakt mit Haaren gehört dazu. Zum Thema Nachsorge sollte zunächst einmal in jedem Falle vor der Behandlung ein Patientenpass angelegt werden inkl. Kontaktnummer und Fotoübermittlung für die Erreichbarkeit im Notfall. Ferner muss bei jeder Behandlung ein Notfallkoffer mit Hylase, Kortison, Antibiotika und einem Wärmekissen griffbereit stehen.

DISKURS Dermatologie:
Wann ist aus Ihrer Sicht eine Behandlung kontraindiziert?

Prof. Noah:
Da wären zuallererst unrealistische Vorstellungen der Patient*innen zu nennen, die wir nicht erfüllen können oder wollen. So ist z.B. der häufige Wunsch nach einem Liftingeffekt mit einem Filler nicht umsetzbar, da man damit nichts nach kranial anheben kann, sondern nur die Projektion nach vorne verstärken kann. Oder eine Patient*in möchte vollere Lippen, hat aber eine Lippe, die tiefer als die Zähne steht. Oder eine Patient*in wünscht eine Aufhellung der Unterlider, weist aber Pigmentstörungen auf. Es gibt im Praxisalltag viele solcher Beispiele.

Rein medizinische Gründe wären die Einnahme von Antikoagulantien zur Hemmung der Blutgerinnung oder auch bekannte Überempfindlichkeiten gegen die zum Einsatz kommenden Präparate bzw. Bestandteilen selbiger. Ob – wie es aktuell der Fall ist – eine SARS-CoV-2-Infektion oder -Impfung auch in Zukunft eine Kontraindikation bleibt, muss noch abgewartet werden.

Es gibt aber noch eine völlig andersgeartete „Kontraindikation“, an die Sie bei Ihrer Frage vermutlich nicht unbedingt gedacht haben: unzureichend vorbereitete Behandler*innen. Das sind Behandler*innen mit mangelnden Anatomiekenntnissen, mangelnden Produktkenntnissen und/oder einer mangelhaften Auseinandersetzung mit Vorgeschichte und Anamnese der Patient*innen. Das Problem daran ist, dass diese „Kontraindikation“ nur von diesen Behandler*innen selbst gestellt werden könnte, was mangels der hierfür notwendigen Selbsterkenntnis leider allzu oft nicht geschieht. Die Ergebnisse sehen wir dann in unschöner Regelmäßigkeit, wenn suboptimal vorbehandelte Patient*innen bei uns in der Praxis vorstellig werden und oftmals schon mit einem gewissen Grad an Verzweiflung eine entsprechende Nachbesserung erhoffen. Fillerbehandlungen gehören in Expertenhände mit medizinischer Ausbildung, der Profitgedanke sollte nicht im Vordergrund stehen. „Wer billig kauft, kauft zweimal“ – das gilt auch bei der Fillerbehandlung.

DISKURS Dermatologie:
Sehr geehrter Herr Prof. Noah, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte S. Steffens.