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Arztvorbehalt und Delegation

Interview mit Astrid Tomczak (München)

Die medizinische Leistungserbringung wäre ohne Delegation an Mitarbeiter kaum mehr denkbar. Ein hohes Patienten- aufkommen und ein ebenso kleinteiliger wie ständig ansteigender administrativer Aufwand führen dazu, dass Praxismitarbei- ter für eine patientenfreundliche und wirtschaftliche Praxisführung immer mehr Verantwortung und Aufgaben übernehmen müssen. Hier stellt sich nun die Frage, welche Leistungen nur durch den Arzt selbst erbracht werden dürfen und welche Rolle der Arztvorbehalt spielt. Heißt ein Arztvorbehalt automatisch, dass keine Delegation an Praxismitarbeiter möglich ist? Wie sind beispielsweise die Arztvorbehalte der NiSV zu verstehen? Diesen Fragen sind wir im Interview mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) nachgegangen.

Astrid Tomczak

DISKURS Dermatologie:

Frau Tomczak, welche Regelungen gibt es aktuell zum Arztvorbehalt?

Astrid Tomczak:

Für die ambulante ärztliche Berufsausübung regelt das allgemeine Dienstvertragsrecht, dass Dienstleistungen im Zweifel durch die Person des Dienstleistungsverpflichteten zu erbringen sind (§ 613 S. 1 BGB). Im ärztlichen Berufsrecht hat das Merkmal der persönlichen Leistungserbringung seinen Niederschlag in § 19 Abs. 1 der MBO gefunden, im Vertragsarztrecht in § 32 Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) und in § 15 Abs. 1 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä). Die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung gilt auch für den Krankenhausarzt, soweit er aufgrund entsprechender Vereinbarungen mit Krankenhaus und Privatpatienten stationäre „Wahlleistungen“ gesondert berechnet (§ 17 Abs. 1 des Krankenhausentgeltgesetzes). Gleiches gilt für die ambulante Behandlung durch den Krankenhausarzt, wenn er berechtigt ist, im Krankenhaus eine Privatambulanz zu betreiben oder wenn er auf Grundlage einer vom Zulassungsausschuss erteilten, persönlichen Ermächtigung gesetzlich Krankenversicherte behandeln darf.

Regelungen zum Arztvorbehalt finden sich außerdem häufig direkt in den Gesetzen und Verordnungen, die sich mit bestimmten medizinischen Behandlungen und Anwendungen beschäftigen. Hier lassen sich beispielhaft die Vorgaben aus § 7 Abs. 2 TFG (Trans- fusionsgesetz) nennen: „Die Entnahme der Spende darf nur durch eine ärzt- liche Person (Arztvorbehalt) oder durch anderes qualifiziertes Personal unter der Verantwortung einer ärztlichen Person erfolgen.“ Oder als aktuelle Thematik aus der NiSV (Verordnung zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung): Nach § 5 Abs. 2 NiSV dürfen „ablative Laseranwendungen oder Anwendungen, bei denen die Integrität der Epidermis als Schutzbarriere verletzt wird, (…) nur von approbierten Ärztinnen und Ärzten mit entsprechender ärztlicher Weiterbildung oder Fortbildung durchgeführt werden.“

DISKURS Dermatologie:

Welche Aspekte sprechen für eine persönliche Leistungserbringung durch den Arzt?

Astrid Tomczak:

Ob eine bestimmte Leistung unter Arztvorbehalt steht, hängt davon ab, ob das Erbringen einer bestimmten Leistung oder die notwendige Beherrschung gesundheitlicher Gefährdungen ärztliche Fachkenntnisse und damit das Tätigwerden eines Arztes erfordert. Steht danach eine bestimmte Leistung unter Arztvorbehalt, bedeutet dies, abgesehen von Not- oder sonstigen Ausnahmefällen, die Erbringung ärztlicher Leistungen auf dem Niveau eines zum Facharzt weitergebildeten Arztes. Darauf hat der Patient nach der Rechtsprechung im Krankenhaus Anspruch (Facharztstandard). Der Facharztstandard bildet aber auch bei der ambulanten Behandlung den Maßstab für die anzuwendende Sorgfalt.

Um diese eher generellen Aspekte zu konkretisieren, sind ärztliche Leistungen oder Teilleistungen solche, die der Arzt wegen ihrer Schwierigkeit, ihrer Gefährlichkeit für den Patienten oder wegen der Unvorhersehbarkeit etwaiger Reaktionen unter Einsatz seiner spezifischen Fachkenntnis und Erfahrung höchstpersönlich erbringen muss. Eine Gefährlichkeit für den Patienten ist dann gegeben, wenn die nicht fachgerechte Durchführung einer Leistung durch nichtärztliche Mitarbeiter den Patienten unmittelbar schädigen oder ihm erst zu einem späteren Zeitpunkt erkennbar werdende Schäden verursachen kann. Unstrittig sind höchst- persönliche Leistungen des Arztes daher u.a. Anamnese, Indikationsstellung, Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer Leistungen, Stellen der Diagnose, Aufklärung und Beratung des Patienten, Entscheidung über die Therapie und die Durchführung invasiver Therapien einschließlich der Kernleistungen operativer Eingriffe

DISKURS Dermatologie:

Welche Delegationsgrundsätze gilt es zu beachten?

Astrid Tomczak:

Je geringer die theoretische und tatsächliche Gefährdungsmöglichkeit des Patienten ist, desto eher darf der Arzt eine anstehende Tätigkeit an nicht-ärztliches Personal übertragen. Die Entscheidung, ob und an wen der Arzt eine Leistung delegiert, ob der betreffende Mitarbeiter ggf. besonders anzuleiten und wie engmaschig die Qualität der Ausführung zu überwachen ist, muss von der Qualifikation des jeweiligen Mitarbeiters abhängig gemacht werden. Dem Arzt obliegen bei der Delegation von Aufgaben also diverse Verantwortlichkeiten. Zunächst stellt sich die Frage nach der Auswahl der Aufgabe, die wie oben dargestellt nicht zu den Kernkompetenzen des Arztes gehören darf. Im nächsten Schritt ist zu klären, welcher Mitarbeiter für die Übernahme dieser Aufgabe qualifiziert ist (Auswahlverpflichtung) und welche Aspekte dem Mitarbeiter vor der Ausführung evtl. noch vermittelt werden müssen (Anleitungsverpflichtung). Dabei ist der Arzt dazu aufgerufen, alle für die Erledigung relevanten Informationen an den Mitarbeiter weiterzugeben (Instruktionspflicht). Die ärztliche Delegationsentscheidung ist zu dokumentieren (Dokumentationspflicht) und die Ausführung muss beaufsichtigt und kontrolliert werden (Überwachungspflicht). Das bedeutet nicht, dass der Arzt seinem Personal bei jedem einzelnen Schritt über die Schulter schauen muss. Erwartet wird jedoch, abhängig von der praktischen Erfahrung und Qualifikation des einzelnen Mitarbeiters, eine mehr oder weniger häufige, zumindest stichprobenartige Überprüfung der Arbeitsleistung. Die Gesamtverantwortung für die angeordnete Maßnahme und letztlich auch für deren Durchführung bleibt nach wie vor beim Arzt. Sollte ein Patient also Schäden aufgrund einer mangelhaft ausgeführten delegierten Maßnahme erleiden, wird immer zu prüfen sein, inwieweit die Maßnahme delegiert werden durfte und ob Personalauswahl-, Anleitungs-, Instruktions-, Dokumentations- und Überwachungspflicht sorgfältig beachtet wurden. Auf der anderen Seite ist jedoch auch der Mitarbeiter in der Pflicht. Ihn trifft zum einen die sogenannte Übernahmeverantwortung, welche eine gesunde Selbsteinschätzung dahingehend verlangt, dass die übertragene Aufgabe fehlerfrei von ihm ausgeführt werden kann. Zum anderen hat er eine Durchführungsverantwortung, die die technisch richtige Durchführung der übertragenen Aufgabe beinhaltet.

DISKURS Dermatologie:

Wie sind nun die Arztvorbehalte im Rahmen der NiSV zu betrachten?

Astrid Tomczak:

Prinzipiell lässt die NiSV die Delegation von Behandlungen zu. Aufgrund der Vielzahl der Technologien und Anwendungen, die von der Verordnung erfasst werden, kann jedoch keine generelle Aussage getroffen werden. Die Delegationsfähigkeit entscheidet sich immer im Einzelfall anhand der Schwierigkeit der Behandlung und ihrer Gefährlichkeit für den Patienten. Beispielsweise hochfokussierte Ultraschallanwendungen oder Skin-Resurfacing-Behandlungen sollten nach meiner Einschätzung alleine in ärztlichen Händen liegen. Die Tattoo- oder Haarentfernung kann dagegen im Einzelfall an entsprechend qualifiziertes Personal abgegeben werden. Dabei ist nach jetzigem Stand davon auszugehen, dass die Qualifikation des Personals mindestens den Inhalten und Kenntnissen der jeweiligen Fachkundennachweise nach NiSV zu entsprechen hat.

DISKURS Dermatologie:

Und wie bewerten Sie die Frage nach der Notwendigkeit einer persönlichen Anwesenheit des Arztes?

Astrid Tomczak:

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass sich der Arzt in unmittelbarer Nähe aufzuhalten hat, wenn seine Mitarbeiter delegierte Leistungen durchführen. Hier gilt das sogenannte Rufweite- Prinzip. Es ist daher unzulässig, in der Arztpraxis aufgrund genereller Anordnung an das Praxispersonal Leistungen durchführen zu lassen, wenn der Arzt persönlich nicht in der Praxis erscheinen kann oder für längere Zeit abwesend ist. Bei vorübergehender Abwesenheit können jedoch Leistungen durchgeführt werden, die der Arzt bereits einzelfallbezogen angeordnet hat, sofern dies medizinischen Erfordernissen genügt. Grundsätzlich gilt, dass eine ärztliche Abwesenheit um so eher hingenommen werden kann, je höher Kenntnisstand und Erfahrung des Mitarbeiters in Bezug auf die delegierte Leistung sind und je geringer das mit der Leistung für den Patienten verbundene Gefahrenpotenzial ist.

DISKURS Dermatologie:

Sehr geehrte Frau Tomczak, wir bedanken uns für das Gespräch und freuen uns in der nächsten Ausgabe auf das Thema: „Patientenaufklärung in der Ästhetischen Medizin“.

Das Interview führte S. Höppner.