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Meldung von Nebenwirkungen – Pflicht oder Kür?

Interview mit Astrid Tomczak, München

Die Ästhetische Medizin hat in den letzten Jahren nicht nur eine Vielzahl neuer Patienten für ihr Angebot an hautverjüngenden Maßnahmen gewinnen können, auch die Anzahl der Behandler in diesem Bereich ist enorm gestiegen. Von Industrieseite werden fortlaufend neue Produkte auf den Markt gebracht, um dem Wunsch nach einem jugendlichen Aussehen noch besser Rechnung tragen zu können. Nicht immer sind diese Verfahren zur Gänze ausgereift. Auch der Trend zu Kombinationsbehand- lungen hat an Fahrt aufgenommen. Während vor ein paar Jahren Filler und Botulinum die gängigen Verfahren waren, wird heute mit Peelings, Mesoprodukten, Fäden, Injektionslipolyse, Peptiden, Hormonen und Eigengewebe in einer oder mehreren Sitzungen gearbeitet. All diesen Entwicklungen ist es auch zu verdanken, dass dem Thema Komplikationsmanagement nach Ästhetischen Behandlungen auf Fachkongressen und in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit gewidmet wird. Mit Medizin- consultant Astrid Tomczak (LL.M.) haben wir uns über die rechtlichen Hintergründe zu diesem Thema unterhalten.

Ästhetische Dermatologie:

Frau Tomczak, haben Sie den Eindruck, dass die Anzahl an Nebenwirkungen nach ästhetischen Behandlungen gestiegen ist?

A. Tomczak:

Das ist tatsächlich eine schwierige Frage. Jeder von uns hat ja nur einen Teileinblick in den Markt und dieser ist auch noch subjektiv geprägt. Ich würde diese Frage aber grundsätzlich mit einem „Ja“ beantworten. Die von Ihnen angesprochene steigende Anzahl an Behandlungen, Behandlern und Materialien unterstützt diesen subjektiven Eindruck. Der Logik folgend bedeuten diese Entwicklungen in der Summe auch mehr unerwünschte Nebenwirkungen.

Ästhetische Dermatologie:

Lassen sich diese recht vagen Aussagen irgendwie mit Zahlen untermauern?

A. Tomczak:

Da haben Sie tatsächlich einen wunden Punkt getroffen. Die meisten Produkte, die in der Ästhetischen Medizin angewendet werden, fallen unter das Medizinprodukterecht. Hier geht das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als zuständige oberste Bundesbehörde von einem signifikanten Underreporting aus. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass von Anwendern und Betreibern nur etwa 20% der Vorkommnisse mit Medizinprodukten ordnungsgemäß an das BfArM weitergegeben werden. Dies deckt sich auch mit meinen Erfahrungen im Markt. Viele Nebenwirkungen werden weder an den Hersteller, noch an die Behörden gemeldet.

Aus diesem Grund wurde ein vom Bundesgesundheitsministerium gefördertes Projekt im Fachgebiet Methodenforschung Medizinproduktesicherheit gestartet. Es soll zum einen helfen, das Meldeverhalten der Anwender langfristig zu verbessern. Zum anderen soll es dafür sorgen, dass die Meldungen die erforderlichen Informationen in geeigneter, nachvollziehbarer und für das BfArM effizient verarbeitbarer Form enthalten. Daraus kann dann eine Risikobewertung einzelner Produkte erfolgen, was wiederum dem Anwender in seiner täglichen Praxis zugute kommt.

Ästhetische Dermatologie:

Was sind Ihrer Meinung nach Gründe, warum nicht gemeldet wird?

A. Tomczak:

Ich glaube, dass bei einer Nebenwirkung natürlicherweise zunächst der Patient mit seinem Problem im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Dorthin gehen im ersten Moment alle Ressourcen. Sobald es dem Patienten wieder gut geht, ist die notwendige Meldung vergessen, wird als überflüssig angesehen oder als zu umständlich empfunden. Häufig habe ich allerdings auch den Eindruck, dass ein Gefühl falscher Scham Meldungen an Behörden und Hersteller verhindert. Dies halte ich persönlich für grundfalsch. Nur wer keine Behandlungen durchführt, hat auch keine Nebenwirkungen. Selbst bei sorgfältigster Aufklärung des Patienten und fachgerecht ausgeführter Behandlung bleibt immer ein Restrisiko, dass am Ende etwas schief geht. Das können bis dato unbekannte Allergien sein, eine anatomische Anomalie oder eine plötzliche Unverträglichkeit, die so bisher nicht aufgetreten ist. Meine Überzeugung ist, dass Meldungen von Nebenwirkungen eine wichtige Maßnahme des vorbeugenden Patientenschutzes sind.

Ästhetische Dermatologie:

Gibt es gesetzlich verankerte Meldepflichten für Anwender?

A. Tomczak:

Die gibt es in der Tat. Ärztinnen und Ärzte sind nach § 6 der Musterberufsordnung verpflichtet, die ihnen aus ihrer ärztlichen Behandlungstätigkeit bekannt werdenden unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und bei Medizinprodukten auftretende Vorkommnisse der zuständigen Behörde mitzuteilen. Darüber hinaus ist in § 3 Abs. 2 MPSV (Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung) eine Meldeverpflichtung von Vorkommnissen mit Medizinprodukten für Ärzte und Zahnärzte normiert. Diese Meldungen sind nach § 5 Abs. 2 MPSV unverzüglich durchzuführen. Unverzüglich bedeutet in diesem Zusammenhang die Meldung ohne schuldhafte Verzögerung. Zudem bestehen nach § 12 Abs. 4 MPSV Mitwirkungspflichten, die u.a. darin bestehen, das für das Vorkommnis verantwortliche Medizinprodukt nicht zu verwerfen, sondern der Behörde auf Anfrage zur weiteren Untersuchung zu überlassen.

Ästhetische Dermatologie:

Welche Möglichkeiten der Meldung gibt es?

A. Tomczak:

Die Meldung zu Vorkommnissen mit Medizinprodukten an das BfArM kann bequem online erledigt werden. Die Behörde hat ein pdf-Formular entwickelt, welches sich schnell ausfüllen lässt und die Nebenwirkung so standardisiert erfasst. Der Vordruck ist momentan unter www.bfarm.de/DE/ Service/Formulare/functions/Medizin- produkte/_node.html abrufbar. Bei Nebenwirkungsmeldungen zu Arzneimitteln wie Botulinum gibt es ebenfalls die Möglichkeit einer Online-Meldung. Hier ist die deutsche Arzneimittelkommission der richtige Ansprechpartner. Entsprechende Formulare sind unter diesem Link abrufbar: www.akdae.de/Arzneimittel- sicherheit/UAW-Meldung/

Genauso wichtig wie die Meldung an die Behörden ist natürlich auch die Meldung an den Hersteller. Arzneimittel-, als auch Medizinproduktehersteller sind zur fortlaufenden Evaluierung des Risikoprofils ihrer Produkte verpflichtet. Dieser Aufgabe können sie natürlicherweise viel besser nachgehen, wenn sie entsprechendes Feedback vom Markt erhalten. Verantwortliche Hersteller werden neue Erkenntnisse wiederum ihren Anwendern zukommen lassen und so arbeiten alle Parteien aktiv an einer verbesserten Patientensicherheit, was letztlich auch der Branche gut tut.

Ästhetische Dermatologie:

Können Sie noch erläutern, welche “Vorkommnisse” genau eigentlich zu melden sind?

A. Tomczak:

Im Medizinprodukterecht gibt es hier eine etwas sperrige Definition von Nebenwirkungen als “Vorkommnis“. Vorkommnisse sind:

1. jede Funktionsstörung oder
2. jeder Ausfall und jede Änderung der Merkmale oder der Leistungen oder
3. jede unsachgemäße Kennzeichnung oder Gebrauchsanweisung eines Medizinproduktes, die zum Tode oder zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes einer Person geführt hat, geführt haben könnte oder führen könnte.

Es handelt sich also um einen sehr breiten Begriff, der neben dem Material auch die Umverpackung mit Kennzeichnung sowie die Gebrauchsanleitung umfasst. Weiterhin gilt als Funktionsstörung auch ein Mangel der Gebrauchstauglichkeit, der eine Fehlanwendung verursacht. Das könnte z.B. Spritzen, Nadeln und Kanülen betreffen, wie man sie aus dem Bereich der Filler kennt.

Im Arzneimittelrecht sind Nebenwirkungen schädliche oder unbeabsichtigte Reaktionen, die nicht nur bei bestimmungsgemäßem Gebrauch auftreten. Dazu zählen u.a. Wechselwirkungen, Missbrauch und Abhängigkeit. Erfasst werden sollen auch Verdachtsfälle.

Ästhetische Dermatologie:

Sehr geehrte Frau Tomczak, wir bedanken uns für das Gespräch und freuen uns in der nächsten Ausgabe auf das Thema: „Rechtliche Herausforderungen bei Eigenfettbehandlungen“.

Das Interview führte S. Höppner.