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„Solange der Autoimmunprozess nicht gestoppt werden kann, wird es keine kausale Therapie geben“

Interview mit Univ.-Prof. Dr. med. Matthias Augustin, Hamburg

Univ.-Prof. Dr. med. Matthias Augustin engagiert sich neben seiner Tätigkeit als Direktor des Instituts für Versorgungs- forschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) u.a. im medizinischen Beirat des Deutschen Vitiligo Bundes e.V. und gilt als ausgewiesener Experte für diese auch „Weißflecken- krankheit“ genannte chronische Hauterkrankung. Wir sprachen mit Prof. Augustin über Genese, Prävalenz und Behandlung dieses relativ seltenen Krankheitsbildes.

DISKURS Dermatologie:

Herr Prof. Augustin, auch wenn Vitiligo von Laien vornehmlich als kosmetische Beeinträchtigung wahr- genommen wird, handelt es sich nach heutigem Kenntnisstand ja tatsächlich um eine Autoimmunerkrankung. Was genau passiert dabei im Körper?

Prof. Augustin:

Bei allen Autoimmunerkrankungen sehen wir eine überschießende und in ihrer Heftigkeit unnötige Reaktion des Immunsystems, die sich gegen körpereigenes Gewebe richtet. Allgemein bekannte Autoimmunerkrankungen sind z.B. die Rheumatoide Arthritis oder auch die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Tatsächlich kennen wir heute aber insgesamt schon einige Hundert Autoimmunerkrankungen, darunter auch solche, die die Haut bzw. dort spezielle Zellen oder bestimmte Strukturen angreifen. Zu nennen wären hier beispielsweise der kreisrunde Haarausfall, die Sklerodermie oder eben auch die Weißfleckenkrankheit, bei der eine solche Attacke des Immunsystems auf die pigment- bildenden Zellen stattfindet – mit dem Ergebnis, dass diese Zellen verloren gehen und es an den betroffenen Stellen dann keine erkennbare Pigmentierung mehr gibt.

DISKURS Dermatologie:

Vitiligo ist oftmals mit weiteren Autoimmunerkrankungen assoziiert. Welche anderen Erkrankungen spielen dabei eine Rolle?

Prof. Augustin:

Das ist ein sehr interessanter Zusammenhang, der bis heute nicht ursächlich aufgeklärt werden konnte. Vitiligo kann dominieren und kann auch das hauptsächlich erkennbare Erkrankungsbild sein. Es können aber in der Tat im Laufe der Zeit auch zusätzliche Autoimmunerkrankungen auftreten, sowohl an der Haut wie auch an anderen Geweben. Andererseits gibt es auch Autoimmunerkrankungen, zum Beispiel solche, die primär die Schilddrüse betreffen, bei denen sich später zusätzlich eine Vitiligo einstellt. Diese Assoziation in beide Richtungen ist so ausgeprägt, dass man in der Praxis sowohl bei Autoimmun- erkrankungen anderer Art immer nach Vitiligo schaut, aber umgekehrt auch bei jemandem, der an Vitiligo erkrankt ist, mögliche weitere Autoimmunerkrankungen überprüft.

Wie schon angedeutet, gibt es für die Frage, woran es liegt, dass ein Autoimmunphänomen wie Vitiligo auffällig häufig mit anderen Autoimmunkrankheiten vergesellschaftet ist, leider bis dato keine klare Antwort. Jede dieser Krankheiten ist für sich schon selten, insofern sollte man eigentlich an- nehmen, dass diese Kombinationen noch seltener vorkommen. Man geht heute davon aus, dass bei den betroffenen Personen eine genetisch bedingte schlechtere Kontrolle über das Immunsystem zugrunde liegt. Menschen, die z.B. zu Rheumatoider Arthritis neigen, haben zum Teil eine Veranlagung für etliche weitere Autoimmunerkrankungen, und das zeigt sich dann in verschiedenen Bereichen wie etwa Haut, Gelenken und Darm. Diese Assoziierung ist evident und insofern auch klinisch relevant, weil wir darauf verstärkt achten und den entsprechenden Verdacht auf weitere Autoimmunerkrankungen frühzeitig abklären müssen. Zum anderen trägt diese Komorbidität naturgemäß zu dem Gesamtleidensdruck der betroffenen Patientinnen und Patienten bei, was in deren Behandlung immer wieder zu berücksichtigen ist.

DISKURS Dermatologie:

Weiß man inzwischen, welche Ursachen den Ausbruch der Weißfleckenkrankheit konkret auslösen können?

Prof. Augustin:

Man kann es vielleicht so formulieren: zunächst einmal muss – wie bei allen Autoimmunerkrankungen – die erwähnte genetische Disposition vorhanden sein; ohne diese Disposition würde das Immunsystem nicht so fehlreagieren. Zum anderen gibt es manchmal – aber beileibe nicht immer! – auch erkennbare Auslösefaktoren, die dieser vorhandenen Disposition zum Ausbruch verhelfen. Bei der Mehrzahl der Patienten findet man diesbezüglich nichts, die Vitiligo entsteht ganz plötzlich und insofern unerklärlich. Manchmal aber findet sich eine Auslösung durch Stressfaktoren, durch Grippeerkrankungen oder sonstige schwere Leiden, die dann offenbar das Immunsystem erst soweit „anfachen“ und dann mitreißen.

DISKURS Dermatologie:

Haben hormonelle Veränderungen wie zum Beispiel Pubertät, Schwangerschaft oder Wechseljahre Einfluss auf die Erkrankung?

Prof. Augustin:

Ja, es gibt Schlüsselsituationen, in denen Vitiligo typischerweise aus- bricht; dazu zählt auch ein starker hormoneller Wechsel wie der Beginn einer Schwangerschaft oder dann die Geburt des Kindes oder auch während der Stillzeit. Solche hormonellen Ereignisse sind aber lediglich Auslöser und keine Ursachen der Vitiligo.

DISKURS Dermatologie:

Kann die Disposition zur Vitiligo an nachfolgende Generationen vererbt werden?

Prof. Augustin:

Es gibt schon eine höhere Wahrschein- lichkeit des Auftretens bei Nachfah- ren, vor allem bei den unmittelbaren Nachkommen, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht so stark erhöht, dass man von einer Erbkrankheit sprechen kann.

DISKURS Dermatologie:

Gibt es überhaupt Möglichkeiten, die Vitiligo zu behandeln, und wie effektiv sind diese Optionen?

Prof. Augustin:

Eine kausale Therapie gibt es bis dato gar nicht und davon sind wir leider auch noch weit entfernt, da wir die Ursache nicht am Schopfe packen können. Alle Behandlungen, die es gibt, sind symptomatische Therapien, die auf die eine oder andere Weise den Versuch unternehmen, diese auffälligen hellen Flecken zu kaschieren oder eine Repigmentierung zu induzieren. Aber diese Maßnahmen wirken alle nicht kausal und solange der genaue Autoimmunprozess nicht in dem Moment der Auslösung gestoppt werden kann, wird es auch keine kausale Therapie geben.

DISKURS Dermatologie:

Welche dieser Behandlungen können Sie dennoch empfehlen?

Prof. Augustin:

Das ist eine Frage der Erwartungshaltung. Wenn ich als Patient eine Vitiligo-Behandlung mit durchschlagender und nachhaltiger Verbesserung des optischen Hautbildes erwarte, werde ich leider enttäuscht werden.

Es gibt bisher schlichtweg keine Therapien, die mit hinreichend großer Sicherheit und Wirksamkeit dazu führen, dass eine erneute Pigmentie- rung stattfindet und auch erhalten bleibt; und erst recht wird diese Repigmentierung nicht nach Abschluss der Behandlung weitergehen. Das optische Hautbild wird sich eine Zeit lang verbessern, aber die Verbesserung hält nicht an – diese realistische Erwartung sollte den Betroffenen bereits im Vorfeld vermittelt werden, um Enttäuschungen zu vermeiden.

Unter diese Prämisse gibt es durchaus einige Behandlungen, die funktionieren können. Wenn es beispielsweise kleinere frische Areale sind, dann setzen viele Mediziner lokal starke Kortisonpräparate ein. Diese verhindern bei einer relevanten Anzahl von Patienten auch die Vergrößerung dieser weißen Stelle und verhelfen zum Teil auch zu einer erneuten Pigmentierung – aber leider oft eben nicht komplett, sondern nur zu Teilen. Da stellt sich dann auch immer die Frage, ob das für den jeweiligen Betroffenen ausreichend und befriedigend ist. Natürlich bewahrt die Behandlung nicht davor, dass nach kurzer Zeit nicht wieder Flecken an einer neuen Stelle auftreten – man kann sich auch nicht überall prophylaktisch eincremen. Insofern ist es aus meiner Sicht aussichtsreicher, eine systemische Behandlung zu versuchen und so die Haut überall zu tangieren, also sowohl dort, wo diese fleckigen Stellen schon vorhanden sind, wie auch die Areale, die noch normal pigmentiert sind. Diese systemischen Behandlungen sind besonders dann angezeigt, wenn man eine über weite Körperzonen verbreitete Form hat, also nicht nur einen kleinen Fleck an Hand oder Handrücken, sondern an vielen verschiedenen Körperlokalisationen. Bei einer solchen groß- flächigen Verbreitung kann auch eine Phototherapie mit UV-Licht erwogen werden, wobei man da „hart am Wind segelt“ und vorsichtig sein muss, da auch Verbrennungen auftreten können und die Haut im Allgemeinen stark strapaziert wird.

DISKURS Dermatologie:

Es gibt ja mittlerweile auch Versuche, mit Antikörpern zu einem länger anhaltenden Therapieerfolg zu kommen. Wie stehen Sie zu diesen Ansätzen?

Prof. Augustin:

Sie haben recht, es gibt in diesem Bereich eine ganze Reihe moderner Therapieoptionen, die durchaus wirksam sind. Grundsätzlich gilt: wenn die Erkrankung, die behandelt werden soll, eine Autoimmunerkrankung ist, dann führt eine Blockade des Immunsystems dazu, dass die Erkrankung zurückgeht. Insofern kann mit stark immununterdrückenden Maßnahmen logischerweise mit einer gewissen Aussicht auf Wirksamkeit behandelt werden. So wie die bereits erwähnten „konventionellen“ systemischen Behandlungen mit z.B. Kortison zum Teil stark mit Nebenwirkungen behaftet sind, gilt dies leider auch für die Immunsuppressiva, welche u.a. bei Organtransplantationen sowie einigen Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden. Die modernen monoklonalen Antikörper – die Biologika – sind da im Zuschnitt viel zielgenauer und blockieren eben nicht das gesamte Immunsystem, sondern nur die Teile davon, die eine Rolle spielen in der Ausbildung der Vitiligo; sie können daher tatsächlich zielgenauer diese Immunantwort gegen die pigment- bildenden Zellen – die Melanozyten – hemmen. Gleiches gilt übrigens auch für die Januskinase-Inhibitoren. Januskinasen spielen eine wesentliche Rolle bei der Signalübertragung zahlreicher Zytokine, die in die Pathogenese entzündlicher Erkrankungen involviert sind. Insofern haben die JAK-Inhibitoren u.a. auch für die Hemmung von Autoimmunmechanismen großes therapeutisches Potenzial.

DISKURS Dermatologie:

Gibt es bestimmte Verhaltensmaßnahmen, die Betroffene zur Unterstützung der jeweiligen Behandlung befolgen bzw. vermeiden sollten?

Prof. Augustin:

Ich denke, dass hier vor allem eine gute Abklärung vordringlich ist, ob weitere Erkrankungen vorliegen, die ebenfalls behandlungsbedürftig sind – wir hatten die hohe Komorbidität ja bereits erwähnt. Ansonsten ist Vitiligo eigentlich keine Erkrankung, bei der die Betroffenen viel falsch machen können, mit der wichtigen Ausnahme des UV-Schutzes! Das ist ja schließlich die eigentliche physiologische Aufgabe der verloren gegangenen Pigmentierung.

Mir persönlich ist es wichtig, den Patienten im Gespräch klarzumachen, dass sie keine Schuld daran tragen, dass bei ihnen Vitiligo aufgetreten ist – die meisten denken tatsächlich, sie hätten etwas falsch gemacht, und es ist nach wie vor schwer, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Das Thema Ernährung wird auch oft thematisiert und ich würde natürlich grundsätzlich dazu raten, dass die Menschen einen gesunden Lebensstil pflegen mit viel Bewegung, ausgewogener Ernährung, ohne Nikotin und möglichst nicht so viel Stress. Aber man muss betonen, dass kein noch so vorbildliches Verhalten bezüglich dieser Faktoren eine Vitiligo heilen kann. Dies sollten die Patienten wissen, bevor sie in ihrer Verzweiflung, dass keine Therapie wirklich geholfen hat, auf eigene Faust den „Stein der Weisen“ zu finden versuchen und irgendwelche extremen oder „schrägen“ Diäten anfangen, die mehr schaden als nützen.

DISKURS Dermatologie:

Glauben Sie, dass die Popularität des Fotomodels Winnie Harlow– oder anderer in der Öffentlichkeit stehender Personen, die von der Weißfleckenkrankheit betroffen sind – anderen Patienten bei der Bewältigung ihres Schicksals helfen kann?

Prof. Augustin:

Ich muss sagen, dass es mich sehr gefreut hat, dass dieses Model sich ganz offen so gezeigt und dadurch auf jeden Fall auch dazu beigetragen hat, die Vitiligo zu entstigmatisieren! Ich hoffe, dass durch ihr Beispiel diese Krankheit eine gewisse Normalität bekommt und Akzeptanz findet. Trotzdem leiden die meisten Betroffe- nen stark darunter, und zwar unserer Beobachtung nach umso mehr, je großflächiger und sichtbarer die Areale sind, Frauen mehr als Männer und Dunkelhäutige mehr als Hellhäutige, da die Flecken bei ihnen natürlich besonders auffällig sind.

DISKURS Dermatologie:

Noch eine abschließende Frage: Sie sind ja auch Mitglied des Forscher- teams der GRIDD Delphi Studie. Worum geht es dabei genau und gibt es schon erste Ergebnisse?

Prof. Augustin:

Das ist ein sehr interessantes Projekt, bei dem weltweit eine Analyse der realen Krankheitslast verschiedenster Hautkrankheiten vorgenommen wird, u.a. eben auch bei der Vitiligo. Wir haben mittlerweile dezidierte Daten von weit über 1.000 Patienten aus über 60 Ländern auf allen Kontinenten erhoben. Daraus wird jetzt ein ganz spezifisches Tool – also ein ganz spezifischer Fragebogen – für die vergleichende Erfassung der Disease Burden, also der jeweiligen Krankheitslast, abgeleitet. Daran sind wir beteiligt bzw. sind die wissenschaftlichen Hauptberater. Der Bogen wird aktuell gerade in einer Pilotfassung erstellt, nachdem es zwei Delphi-Runden ausschließlich mit Patienten-Befragungen gab. Anschließend kommt dann die Validierungsphase und eine Übersetzung in viele Sprachen und der nochmals breitere weltweite Einsatz in sehr vielen Ländern. Das ist ein wahnsinnig spannender Prozess und wir befinden uns derzeit noch mittendrin, so dass noch keine Ergebnisse publiziert werden können.

DISKURS Dermatologie:

Sehr geehrter Herr Prof. Augustin, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte S. Höppner.