„Die Welt der Dermatologie wandelt sich schneller, als wir es für möglich gehalten haben“
Interview mit Prof. Dr. med. Thomas Dirschka (Wuppertal)
Prof. Dr. med. Thomas Dirschka zählt zu den führenden Experten im Bereich der klinischen Dermatologie, Dermatoonkologie und Dermatohistologie. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist der helle Hautkrebs. Er ist seit vielen Jahren an der Entwicklung von Leitlinien in der Dermatologie beteiligt. Neben der Begleitung nationaler und internationaler Studien ist er Herausgeber von fünf dermatologischen Fachbüchern und Autor von über 150 Publikationen in internationalen Fachzeitschriften. Prof. Dirschka ist in diesem Jahr mit diversen Vorträgen und Workshops auf der DERM präsent. Die diesjährige DERM findet vom 21.–23. März 2025 in Frankenthal statt und ist bundesweit die größte Fachtagung für niedergelassene Dermatologinnen und Dermatologen. Wie jedes Jahr werden sich circa 2.000 Teilnehmende in Frankenthal zum wissenschaftlichen Austausch treffen.

DISKURS Dermatologie: Herr Professor Dirschka, Hautkrebserkrankungen werden leider in der dermatologischen Praxis immer präsenter. Woran liegt das?
Prof. Dirschka: Dafür gibt es mehrere Gründe. Im Vordergrund stehen zu viel ultraviolette Belastung über die Lebenszeit hinweg, Sonnenbrände und kindliche ultraviolette Exposition. Darüber hinaus tritt die Generation der Babyboomer in die Lebensphase ein, in der Hautkrebs verstärkt vorkommt. Die Belastungen mit diesem Thema in den Praxen werden zukünftig immens sein.
DISKURS Dermatologie: Heller Hautkrebs oder besser „keratinocyte cancer“ ist die häufigste Form von Hautkrebs und die häufigste Krebsart beim Menschen. Wer ist besonders gefährdet und sollte von niedergelassenen Dermatologinnen und Dermatologen regelmäßig gescreent werden?
Prof. Dirschka: Es sind Menschen mit hoher kumulativer ultravioletter Belastung, z.B. Outdoor-Arbeiter, Menschen mit hoher Freizeitbelastung, aber auch hochbetagte Menschen, die aufgrund nachlassender immunologischer Aktivität eine eingeschränkte Tumorüberwachung des Immunsystems aufweisen. Dieser Prozess der Immunseneszenz spielt eine sehr große Rolle und in Anbetracht des demographischen Wandels wird damit die Diagnose des „keratinocyte cancer“ weiterhin stark ansteigen. Hier sind sicherlich Screeningsysteme sinnvoll, die ein Ganzkörpermapping ermöglichen und damit die Dynamik der Diagnosestellung verstärken. Laut meiner Erfahrung und auch gemäß wissenschaftlicher Erhebungen sollte ein Hautkrebsscreening bei allen Erwachsenen regelmäßig stattfinden. Die tägliche Praxis zeigt, dass Betroffene mit der Selbsteinschätzung ihrer Hautveränderungen oft daneben liegen.
DISKURS Dermatologie: Welche Behandlungsoptionen aktinischer Keratosen werden derzeit favorisiert?
Prof. Dirschka: Bei aktinischen Keratosen eignet sich zur Feldtherapie die fotodynamische Therapie oder die Therapie mit Fluorouracil-Creme. Ein interessanter neuer Ansatz ist die Behandlung mit Tirbanibulin, das den Aufbau des Spindelapparates während der Zellteilung hemmt. Dies wirkt im Besonderen auf proliferierende aktinische Keratosen, die ein erhöhtes Risiko des Übergangs in ein invasives Plattenepithelkarzinom aufweisen.
DISKURS Dermatologie: Können Sie auch etwas zu aktuellen Forschungsarbeiten sagen?
Prof. Dirschka: Mittels optischer Kohärenztomographie lassen sich heute proliferierende aktinische Keratosen darstellen. Das ermöglicht einen Ausschluss aggressiverer Varianten, sodass die Therapie auf diese Situation abgestimmt werden kann. Medikamente, die eine spezifische Wirkung auf proliferierende aktinische Keratosen aufweisen, wie zum Beispiel Tirbanibulin, können nicht-invasiv hinsichtlich ihrer Wirkung beurteilt werden. Dies ist aktuell ein Projekt, mit dem wir uns bei CentroDerm befassen.
DISKURS Dermatologie: Welche Rolle spielt die KI bereits jetzt und dann auch in Zukunft?
Prof. Dirschka: Die Dermatologie ist ein visuelles Fach, das heißt wir bearbeiten visuelle Bildinformationen. Dies kann KI in Ansätzen bereits jetzt. Auf lange Sicht denke ich, dass sowohl bei der klinischen Diagnostik, aber auch der histologischen Diagnostik KI eine entscheidende Rolle zukommt. Sie wird Ärztinnen und Ärzte wegen der Komplexität der Interaktion mit Patienten nicht vollständig ersetzen können, aber wesentliche Bereiche unseres Alltages prägen.
DISKURS Dermatologie: Wo liegen die Vorteile, wo die Grenzen der KI?
Prof. Dirschka: Die KI kann natürlich auch von anderen Fachärzten oder sogar von Nicht-Ärzten genutzt werden. Bereits heute gibt es Programme, die bestimmte Krankheitsbilder der Haut erkennen können. Die Validierung der KI hängt aber noch von Spezialisten ab. Ein Vorteil kann sein, dass Regionen ohne fachärztliche Versorgung von derartigen Systemen profitieren könnten, quasi als Unterstützer der Hausärzte. Die Grenzen liegen darin, dass Diagnose und Therapievorschlag von Spezialisten geprüft und bestätigt werden müssen. Dementsprechend wird die KI die Dermatologie nicht „wegrationalisieren“. Sie wird aber eine Chance für Fachärzte sein, sich neuen Aufgabenfeldern zuzuwenden und den Wandel unseres Faches voranzutreiben.
DISKURS Dermatologie: Welche Rolle spielt KI in anderen dermatologischen Bereichen, beispielsweise in der Ästhetischen Dermatologie?
Prof. Dirschka: Die KI hat ihre Stärken in der Analyse visueller Bildinformationen. Zunächst muss eine KI trainiert werden, und zwar auf bestimmte Informationen. Dies können z.B. Rauigkeit, Schuppigkeit, Faltenarten, Faltentiefe, Rötung etc. sein, Das sind wichtige Kriterien, die in der Ästhetik eine große Rolle spielen. Nach der Trainings- und Validierungsphase steht dann eine KI zur Verfügung, die unabhängig vom Untersucher die Haut bewertet und natürlich auch Vorher- und Nachherbefunde unabhängig vergleicht. Diese Befundobjektivierung ist ein entscheidender Vorteil gegenüber der subjektiven Bewertung durch Menschen.
DISKURS Dermatologie: Kann die KI bei einer individualisierten Haut- oder Basispflege unterstützen?
Prof. Dirschka: Wir haben uns bei CentroDerm intensiv mit diesem Thema beschäftigt. In der täglichen Beratungsroutine einer dermatologischen Praxis wiederholen sich Fragen wie „Welchen Hauttyp habe ich?“ oder „Ist das eine Mischhaut?“ Und natürlich verknüpfen sich Fragen zur individuellen Beschaffenheit der Haut mit dem Wunsch, die Hautpflege genau auf den Hauttyp abzustimmen.
DISKURS Dermatologie: Wie setzen Sie das in der Praxis um?
Prof. Dirschka: Unser Konzept basiert auf der KI-gestützten Auswertung von selbsterstellten Handyfotos hinsichtlich verschiedener Hauteigenschaften (Hauttyp nach Fitzpatrick, Trockenheit, Fettigkeit, Rötung, Faltenbildung, Entzündungsbereitschaft und pigmentierte Lichtschäden). Diese Informationen werden zur Erstellung einer individuellen Rezeptur genutzt. Die KI ist mit einem „Speedmixer“ verknüpft, der dann diese Rezeptur in Form einer auf die Bedürfnisse der Patienten individuell abgestimmten Gesichtspflegecreme umsetzt.
DISKURS Dermatologie: Was treibt die dermatologische Forschung derzeit voran?
Prof. Dirschka: Es ist, neben den großen therapeutischen Fortschritten etwa beim Melanom, Merkel-Zell-Karzinom oder auch chronisch entzündlichen Dermatosen, ohne Zweifel die KI. Sie wird nach meiner Einschätzung fast alle Bereiche unseres Faches beeinflussen. Und es kommt schneller, als wir alle uns das vorstellen können, da der Wissenszuwachs sich einfach in den letzten Dekaden immens beschleunigt hat.
DISKURS Dermatologie: Wann können wir spannende Daten dazu erwarten?
Prof. Dirschka: Wir haben im Rahmen einer laufenden Dissertation die KI angelernt, validiert und befinden uns bereits in der wissenschaftlichen Testphase. Insbesondere wird es im nächsten Schritt darum gehen, die KI-basierte Analyse der Haut in eine entsprechende Formulierung umzusetzen. Eigentlich gibt es, wie oft bei wissenschaftlichen Projekten, kein wirkliches Ende, denn mit jeder Lösung entstehen wieder neue offene Fragen, die beantwortet werden müssen.
DISKURS Dermatologie: Welche aktuellen dermatologischen Leitlinien sind am Start?
Prof. Dirschka: Ich glaube, dass die deutsche Dermatologie mit enormem Elan die Aktualisierung von Leitlinien vorantreibt – das zeigt die Vielzahl von Leitlinien unter dermatologischer Federführung und die Aktualität bestehender Leitlinien. In den vergangenen 24 Monaten wurden folgende Leitlinien veröffentlicht:
• S3-Leitlinie Atopische Dermatitis (Neurodermitis): Diese Leitlinie wurde 2023 finalisiert und bietet umfassende Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der atopischen Dermatitis.
• S2k-Leitlinie Diagnostik, Prävention und Therapie des Handekzems: Veröffentlicht im Februar 2023, fokussiert diese Leitlinie auf die Behandlung und Vorbeugung von Handekzemen.
• S3-Leitlinie Prävention von Hautkrebs: Diese Gesundheitsleitlinie wurde im Februar 2022 veröffentlicht und bietet Strategien zur Vorbeugung von Hautkrebs.
• S3-Leitlinie Aktinische Keratose und Plattenepithelkarzinom der Haut: Diese Leitlinie wurde im Dezember 2021 aktualisiert und bietet Empfehlungen zur Behandlung von aktinischen Keratosen und Plattenepithelkarzinomen.
DISKURS Dermatologie: Wie wertvoll sind entsprechende Patientenleitlinien? Nutzen Sie dieses Tool in Ihrer Praxis?
Prof. Dirschka: Patientenleitlinien sind verständliche, laiengerechte Versionen medizinischer Leitlinien, die speziell für Patienten, Angehörige und Interessierte erstellt werden. Sie basieren auf wissenschaftlich fundierten ärztlichen Leitlinien unserer Fachgesellschaft.
Ich mache die Nutzung solcher Leitlinien sehr vom Wunsche der Patienten abhängig. Viele Patienten bevorzugen das ärztliche Gespräch und die ärztliche Erläuterung; manche wünschen darüber hinausgehende Informationen, die in der Sprache der Patienten abgefasst sein sollte – da sind dann die Patientenleitlinien hilfreich.
DISKURS Dermatologie: Was ist zusammenfassend im Vorfeld der DERM Ihre Botschaft an die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen?
Prof. Dirschka: Die Welt der Dermatologie wandelt sich schneller, als wir das vor Jahren für möglich gehalten haben. Hätte mir jemand am Beginn meiner Laufbahn gesagt, dass schwere Verläufe chronisch entzündlicher Krankheiten wie Psoriasis oder atopisches Ekzem behandelbar sind, hätte ich dies nicht für möglich gehalten. Die Zukunft der Dermatologie wird weiterhin von therapeutischen Innovationen getrieben, dazu gesellt sich nun die KI, die langfristig besser visuelle Bildinformationen verarbeiten kann als die besten Dermatologinnen und Dermatologen – das wird die diagnostische Seite des Faches beeinflussen.
DISKURS Dermatologie: Wie wertvoll ist aus Ihrer Sicht der persönliche Austausch auf einer Veranstaltung wie der DERM?
Prof. Dirschka: Die Fachtagung DERM ist seit Jahren ein etabliertes Tagungsformat, dass sich durch praxisnahe Vorträge und Workshops auszeichnet. Der sehr wichtige interkollegiale Austausch und die Möglichkeit, mit der Industrie in Kontakt zu treten, ist ebenso sehr wertvoll. Dabei spielt die Relevanz für die Tätigkeit in der Praxis eine herausgehobene Rolle. Die Tagung fokussiert sehr auf die Bedürfnisse der ambulanten Dermatologie und ist gerade deshalb seit vielen Jahren so erfolgreich.
DISKURS Hautkrebs:
Sehr geehrter Herr Prof. Dirschka, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Elke Engels.