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Eine Zulassung? Es geht doch auch so…

Interview mit Astrid Tomczak, München

Trotz einer sich verschärfenden regulatorischen Landschaft gibt es nach wie vor einige Unternehmen, die sich wenig um die Erfüllung rechtlicher Anforderungen kümmern. Wohl wissend, dass ihre Produkte von den Anwender*innen invasiv per Injektion oder Needeling verarbeitet werden, verzichten sie bewusst auf die dafür notwendige, ordnungsgemäße Zulassung nach Arzneimittelrecht bzw. Zertifizierung nach der Medizinprodukteverordnung. Damit entfallen hohe Kosten, die nicht nur für den Zulassungsprozess, sondern auch für die Gewinnung der notwendigen klinischen Daten anfallen würden. Stattdessen setzt man auf Parameter wie „Time-to-market“ und Werbung über Soziale Medien, um möglichst schnell die Gewinnzone zu erreichen. Die bewusste Umgehung zulassungsrechtlicher Vorschriften ist dabei die eine Problematik, die andere ist die Haftung von Anwender*innen und die Patientensicherheit. Mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) haben wir uns über dieses Phänomen unterhalten.

Diskurs Dermatologie: Frau Tomczak, wie kann es sein, dass Produkte ohne die erforderliche Zulassung auf dem deutschen Markt vertrieben werden?

Astrid Tomczak: Das ist nach meinen persönlichen Beobachtungen leider ein inzwischen weit verbreitetes Problem.
Vor allem spanische und koreanische Unternehmen haben einen „Dreh“ entdeckt, Produkte vermeintlich gesetzeskonform auf den Markt zu bringen, und nutzen diesen weidlich aus. Solange die Behörden nicht darauf aufmerksam gemacht werden, kommen sie damit durch. Der Kontrolldruck ist niedrig und wer nicht wirklich tief in der Materie steckt und die Produktanwendung hinterfragt, würde auf den ersten Blick alles als für ordnungsgemäß befinden.

Diskurs Dermatologie: Wie gehen diese Unternehmen vor?

Astrid Tomczak: Das ist recht einfach. Die Produkte, meist Mesococktails für unterschiedlichste Anwendungen, werden als Kosmetikprodukte im Europäischen Kosmetikportal notifiziert. Auf die Packung wird „topical use only“ oder „cosmetic product“ oder beides gedruckt. Dabei sind die Anforderungen für die Notifizierung von Kosmetikprodukten sehr gering. Praktisch alle Vorgaben sind vom Hersteller in dem sogenannten PIF (Product Information File) zu hinterlegen und dann in das Portal hochzuladen. Eine behördliche Kontrolle erfolgt höchst selten – weder in Bezug auf die zur Verfügung gestellten Daten im Portal noch vor Ort bei den Herstellern. Die Bewerbung der Produkte erfolgt dann in aller Regel als Kosmetikanwendung, also topisch. Als „hidden agenda“ existieren aber Injektionsprotokolle, die an die Anwender*innen bei Kauf herausgegeben werden. Auch entsprechendes Schulungsmaterial existiert und wird verteilt.

Diskurs Dermatologie: Welche Problematiken ergeben sich hieraus?

Astrid Tomczak: Ich glaube, die größte Problematik ist das fehlende Bewusstsein der Anwender*innen, denen oft nicht klar ist, dass sie sich ins rechtliche Niemandsland begeben. Jede invasive Behandlung ist per se eine Körperverletzung, die nur dadurch „geheilt“ wird, dass die Patient*innen nach reiflicher Überlegung und schonungsloser Aufklärung in die Behandlung einwilligen. Allerdings kann sie oder er nur wirksam in eine legale Produktanwendung oder eine sog. „Off-Label-­Anwendung“, die grundsätzlich mit erweiterten Aufklärungs-­ und Dokumentationspflichten einhergeht, einwilligen. Eine Einwilligung in eine Injektion von Kosmetikprodukten kann dagegen nicht wirksam erteilt werden. Es handelt sich hier nicht um eine „Off­-Label“­-Anwendung, wie häufig fälschlich angenommen wird. Eine Off­Label­Anwendung, die es im Übrigen so nur bei Arzneimitteln gibt, liegt nur dann vor, wenn das Produkt überhaupt eine Zulassung hat. Der zulassungsüberschreitende Einsatz zum Beispiel im Hinblick auf die Patient*innengruppe, die Indikation etc. ist dann ein Off­-Label­-Use. Das bekannteste Beispiel in der Ästhetischen Medizin ist die Anwendung von Botulinum im unteren Gesichtsdrittel, am Masseter oder am Platysma. Hierfür hat keines der derzeit am deutschen Markt verfügbaren Produkte eine Indikation.

Es handelt sich auch nicht um einen „unlicensed use“ im engeren Sinne, bei dem Dosis oder Frequenz geändert werden, oder um einen „compassionate use“. In diesem Fall dürfen unter strengen Vorgaben Arzneimittel ohne Zulassung in Deutschland oder überhaupt ohne Zulassung bei lebensbedrohlichen Erkrankungen etc. ausnahmsweise eingesetzt werden. Dieses Härtefall-­Programm wird unter Leitung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie des Paul­-Ehrlich-­Instituts geführt. Da wir aber in der Ästhetischen Medizin nicht über objektive Härtefälle sprechen, kommt auch diese Ausnahme nicht in Frage.

Diskurs Dermatologie: Gibt es eine Ausnahme über die ärztliche Therapiefreiheit?

Astrid Tomczak: Wer auf die Therapiefreiheit als ärztliches Privileg gehofft hat, wird leider enttäuscht. Denn dieses Privileg findet dort seine Grenzen, wo gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Hier zum Beispiel die gesetzlichen Vorschriften für Kosmetikprodukte bzw. das Arzneimittelgesetz, die beide beschreiben, was offensichtlich ist: ein Produkt, das invasiv (z.B. per Injektion) verwendet wird, kann kein Kosmetikprodukt sein (vgl. Art. 2 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1223/2009, §2 Abs. 3 Nr. 2 AMG). Letztlich heißt Therapiefreiheit, dass im Sinne der Patient*innen die beste Lösung für ein bestimmtes medizinisches An­liegen gesucht werden soll. Dabei sollen sich Ärzt*innen weder von kommerziellen Erwägungen noch von persönlichen Vorteilen aus einer bestimmten Produktanwendung leiten lassen, sondern allein nach dem Wohl des Patient*innen handeln. Inhaltlich orientiert sich die Therapiefreiheit am medizinischen Standard, der häufig, aber nicht immer in Leitlinien als wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Handlungsempfehlung niedergelegt ist. Entspricht die Leitlinie dem medizinischen Standard, ist die ärztliche Therapiefreiheit dahingehend eingeschränkt, dass über die Leitlinie der Handlungskorridor für den Arzt festgelegt wird.

Diskurs Dermatologie: Welche Folgen hat die Anwendung nicht zugelassener Produkte für Ärzt*innen?

Astrid Tomczak: Wie bereits ausgeführt, ist grundsätzlich jeder Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Patient*innen eine Körperverletzung und damit eine Straftat. Diese wird nur durch eine wirksame Aufklärung und Einwilligung des Patienten verhindert. Patient*innen können aber nicht wirksam in illegale Produktanwendungen einwilligen und die Behandlung mit solchen Produkten entspricht niemals dem medizinischen Standard. Anwender*innen kommen also von mehreren Seiten in die „Bredouille“. Neben den strafrechtlichen Aspekten stehen damit höchstwahrscheinlich auch Aspekte eines Behandlungsfehlers im Raum. Außerdem könnten Patient*innen im Falle von Schadensfällen auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geltend machen. Sowohl das Arzneimittelgesetz als auch die europaweit geltende Medizinprodukteverordnung sind Schutzgesetze, auf die sich in zivilrechtlichen Schadensprozessen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) berufen werden kann. Ich kann daher nur von der Anwendung solcher Produkte abraten.

Persönlich finde ich auch den Aspekt der Patient*innensicherheit unbedingt erwähnenswert. Für Mesococktails dieser Art gibt es überhaupt keine klinischen Daten. Das heißt, die Anwendung ist ein großer Feldversuch an einer Unmenge von Patient*innen, der so oder so ausgehen kann. Da es sich nicht um entsprechend zugelassene Produkte handelt, ist auch kein den arzneimittelrechtlichen Vorgaben entsprechender Produktionsprozess hinterlegt. Qualitätsvorgaben, ein kontrolliertes und ärztlich begleitetes Nebenwirkungsmanagement und andere in der Arzneimittelherstellung übliche Sicherheitsvorgaben fehlen. Oft wird dann argumentiert, dass es sich um „natürliche“ Inhaltsstoffe handele und das Risiko unerwünschter Reaktionen daher gering sei. Dem ist allerdings nicht so, wie z.B. jeder heuschnupfengeplagte Mitmensch bestätigen kann.

Diskurs Dermatologie: Wie sieht die Situation für Händler solcher Produkte aus?

Astrid Tomczak: Auch Händler müssen sich bewusst machen, dass sie ein strafrechtlich relevantes Verhalten an den Tag legen. Nach den oben genannten gesetzlichen Vorschriften sind die Produkte als Arzneimittel ohne Zulassung zu qualifizieren. Wer solche Produkte auf dem Markt bereitstellt, muss mit einer Geldbuße oder einer Freiheitsstrafe rechnen.

DISKURS Dermatologie: Sehr geehrte Frau Tomczak, vielen Dank für das Gespräch!