„Es ist sehr erfüllend, die Dermatologie in ihrer vollen Breite und Schönheit abbilden zu können“
Interview mit Prof. Dr. Daniela Hartmann, Ph.D. (München)
Prof. Dr. Daniela Hartmann, Ph.D. ist Leitende Oberärztin der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie des LMU Klinikums München und der München Klinik und Leiterin der Abteilung für Dermatochirurgie und Wundzentrum. Wir sprachen mit ihr im Vorfeld der diesjährigen 28. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie (FOBI) vom 12.-16. Juli 2022 im Internationalen Congress Center München, bei der sie als Mitglied der wissenschaftlichen Leitung der Veranstaltung fungiert und für die Organisation der Kurse und Workshops verantwortlich ist.
DISKURS Dermatologie:
Frau Prof. Hartmann, welche Themen aus dem wissenschaft- lichen Programm der FOBI sind aus Ihrer Sicht dieses Jahr besonders spannend und warum?
Prof. Hartmann:
Das wissenschaftliche Komitee der FOBI 2022 freut sich sehr, den diesjährigen Teilnehmern ein reiches, spannendes und vielseitiges Programm mit vielen Möglichkeiten, auch praktische Fertigkeiten zu erlangen, anbieten zu können. Insbesondere möchte ich auf die Möglichkeit der Teilnahme an der Kurs-Reihe „Praktisches Krankheitsmanagement“ hinweisen, da diese bereits im Kongressticketpreis inkludiert und mit keinen zusätzlichen Kosten für die Teilnehmer verbunden ist. Die Teilnehmer haben hier die Möglich- keit, ihre Kenntnisse in vielen unter- schiedlichen Bereichen zu vertiefen. Als Premiere findet dieses Jahr am Freitag, den 15. Juli von 11:00 Uhr bis 11:30 Uhr die 1. Braun-Falco-Gedächtnisvorlesung statt. Weiterhin würde ich gerne auf die „What’s New“ Session am letzten Kongresstag, dem 16. Juli, als eines der Kongress- Highlights hinweisen.
DISKURS Dermatologie:
Welche neuen Therapien werden für entzündliche Hauterkrankungen erwartet?
Prof. Hartmann:
Unsere Abteilung für entzündliche Dermatosen ist an mehreren klinischen Studien zu neuen Therapeutika der entzündlichen Hauterkrankungen aktiv mitbeteiligt. Die Behandlung entzündlicher Dermatosen ist in den letzten Jahren durch den Einsatz von unterschiedlichen biotechnologisch hergestellten Biopharmazeutika (der so genannten Biologika) und niedermolekularen Substanzen bereichert worden. In der Behandlung des atopischen Ekzems befinden sich aktuell mehrere neue Arzneimittel in fortgeschrittener klinischer Erprobung, so z.B. Lebrikizumab (Anti-Il-13), Bermekimab (Anti-IL-1), Risankizumab (Anti-IL-23) und Nemolizumab (Anti-IL-31). Das Zytokin IL-31 spielt eine zentrale Rolle in der Genese des Pruritus und ist gegenwärtig in klinischer Prüfung auch für die Indikation Prurigo nodularis. Im Bereich Psoriasis vulgaris laufen aktuell vielversprechende klinische Studien zu Orismilast, einem PDE- 4-Hemmer. Ebenfalls in klinischer Prüfung befindet sich Spesolimab, ein IL-36-Rezeptor-Antagonist für die Indikation generalisierte Psoriasis pustulosa.
DISKURS Dermatologie:
Was sind aktuell spannende Entwicklungen in der Dermato-Onkologie?
Prof. Hartmann:
Das Studienteam der Dermato-Onkologie unserer Klinik ist bei zahlreichen klinischen Studien für die neuesten dermato-onkologischen Therapien mitbeteiligt. Aktuell sehen wir spannende Entwicklungen im Bereich der adjuvanten Immun- therapie für Melanompatienten bereits ab Erkrankungsstadium II (Patienten, die noch keine Metastasen entwickelt haben), sofern eine Gensignatur im Tumorgewebe nachgewiesen wurde, die mit einem hohen Rückfallrisiko assoziiert ist. Der nächste vielversprechende neue Ansatz für Melanompatienten ist die Therapie mit Ipilimumab und Nivolumab im neoadjuvanten Setting bei Patienten im Stadium III (b-d) mit bereits vorhandenen Lymphknotenmetastasen. Auf dem Gebiet von therapeutischen Möglichkeiten bei fortgeschrittenen bzw. inoperablen kutanen Plattenepithelkarzinomen gibt es einen interessanten Ansatz durch der Behandlung mit Cemiplimab intravenös in Kombination mit intratumoralen Injektionen eines genetisch modifizierten Herpes simplex Typ-1 Virus.
DISKURS Dermatologie:
In welchen Bereichen der Dermatologie sehen Sie noch erheblichen Forschungsbedarf?
Prof. Hartmann:
Eins der Beispiele, wo die Experten noch einen erheblichen Forschungsbedarf sehen, sind die entzündlichen Hautkrankheiten, insbesondere die mit deutlicher autoinflammatorischer Komponente wie die Akne inversa oder die palmoplantare Pustulose, bei denen es derzeit noch an Wissen über die Rolle des angeborenen Immunsystems und dessen mögliche therapeutische Angriffspunkte fehlt. In der Klinik für Dermatologie und Allergologie der LMU unter der Leitung von Prof. Dr. Lars E. French haben wir uns auf die Rolle der Interleukin-1-Familie konzentriert. Durch genaue Charakterisierung der Immunpathogenese und Definition von Subtypen der jeweiligen Erkrankungen anhand molekularer Muster und hauptverantwortlicher Zytokine lassen sich in Zukunft möglicherweise neue therapeutische Ansätze oder individuelle Vorhersagen des Therapieansprechens generieren. Auch innerhalb der großen Vertreter der entzündlichen Hauterkrankungen wie dem atopischen Ekzem oder der Psoriasis lassen sich womöglich in Zukunft durch neue Technologien Subtypen charakterisieren, welche dem Patienten eine gezieltere, individuelle Therapie ermöglichen.
DISKURS Dermatologie:
Ist COVID-19 auch ein Thema auf der FOBI? Inwiefern hat die Pandemie die Dermatologie betroffen bzw. verändert?
Prof. Hartmann:
Das wissenschaftliche Komitee der FOBI 2022 freut sich, den Teilnehmern auch spannende Beiträge zum Thema COVID-19 an- bieten zu können. Am Mittwoch, den 13.07.2022 um 14:15 spricht im Rahmen der Plenarsitzung unser Klinikdirektor Prof. Dr. Lars E. French zum Thema „Hautmanifestationen von COVID und Impfreaktionen“. Am Freitag, den 15.07.2022 um 17:30 haben die Kongressteilnehmer die Möglich- keit, sich im Rahmen des Kurses „Praktisches Krankheitsmanagement: Arzneimittelüberempfindlichkeit“ von Dr. Stefani Röseler die Problematik der COVID-19 Impfstoff- Überempfindlichkeit näher erklären zu lassen. Und nicht zuletzt spricht am Samstag, den 16.07.2022 um 10:50 Prof. Dr. Thomas Dirschka während eines Brunchseminars über „Standardimpfungen von COVID-19 bis Zoster“.
Die SARS-CoV-2-Pandemie hat – so wie alle anderen Bereiche – natürlich auch die Dermatologie tangiert und verändert. Neben dem Erschei- nen von neuen dermatologischen Entitäten und Zeichen (wie z.B. „COVID toes“ oder COVID-19- Impfreaktionen), wurde der dermatologische Alltag in der Praxis und Klinik auch aus organisatorischer Sicht sehr verändert: Impfstatus erfragen, Testungen von Patienten und Mitarbeitern durchführen und überprüfen, neue Checklisten und Dienstanweisungen einführen, Migration von Mitarbeiter*innen durch Einsatz auf Corona-Stationen oder durch Krankheitsausfälle – dies sind nur ein paar Beispiele von Erschwernissen, die uns alle neben der physischen und psychischen Zusatzbelastung auf beruflicher und privater Ebene in der Pandemiezeit begleiten.
DISKURS Dermatologie:
Was ist das Spannende für Sie daran, als Mitglied der wissenschaftlichen Leitung der Fortbildungswoche zu fungieren?
Prof. Hartmann:
An erster Stelle ist es für mich eine große Ehre und Freude, ein Mitglied der wissenschaftlichen Leitung der Fortbildungswoche zu sein und mit einem herausragenden Team zusammenarbeiten zu dürfen. Es ist ein sehr erfüllendes Gefühl, die Möglichkeit zu haben, die Dermatologie als Fach, das ich so schätze und liebe, in ihrer vollen Pracht, Breite und Schönheit im Rahmen dieses Kongresses und mittels eines spannenden und vielfältigen Programms abbilden zu können. Nicht zuletzt sind es die tollen und inspirierenden Menschen, die man auf dieser Tagung trifft und mit denen man Kooperationen vereinbart und Freundschaften schließt. Ich habe jedes Mal bei der FOBI das Gefühl, dass es sich neben dem exzellenten wissenschaftlichen Programm wie ein Klassen- oder Familientreffen anfühlt. Diese Atmosphäre macht die FOBI so besonders.
DISKURS Dermatologie:
Letztes Jahr haben Sie für ihre Arbeiten im Bereich künstlicher Intelligenz (KI) den German Medical Award 2021 erhalten. Wie lange wird es noch dauern, bis sich die KI-Diagnoseunterstützung zur präzisen Resektion von malignen Hauttumoren mittels konfokaler Laserscanmikroskopie in der Praxis etabliert? Welche Hürden gibt es noch?
Prof. Hartmann:
Ich habe mich über den German Medical Award 2021 für die Arbeit im Bereich der KI-unterstützten, direkt intraoperativen Schnellschnittuntersuchung von Hauttumoren sehr gefreut. Das Thema verbindet meine großen Leidenschaften, die Dermatochirurgie und Dermatopathologie, mit hochinnovativer Technologie und ermöglicht es, die Zukunftsvisionen näher in den praktischen Alltag zu bringen. Die KI-unterstützte mikroskopische Chirurgie von malignen Hauttumoren mittels konfokaler Laserscanmikroskopie sehen wir beim Basalzellkarzinom in den nächsten 3 bis 5 Jahren einsatzfähig. Bei anderen Tumorarten werden aktuell zahlreiche klinische Studien durchgeführt, um das Indikationsspektrum in diesem Bereich zu erweitern und mehr Patient*innen die Möglichkeit zu geben, hiervon zu profitieren. Wichtig ist, dass diese Innovationen den Weg in die Leitlinien finden, um eine standardisierte und evidenzbasierte Vorgehensweise sicher, strukturiert und übersichtlich präsentieren zu können. Aus diesem Grund habe ich eine deutsche Expertengruppe gegründet, die sich im Rahmen der diesjährigen FOBI trifft, um genau diese Ziele konkret angehen zu können.
DISKURS Dermatologie:
Gibt es weitere mögliche Einsatz- bereiche für KI in der Dermatologie? Was ist etabliert, was wird kommen?
Prof. Hartmann:
In der dermatologischen Bildgebung werden konvolutionale neurale Netz- werke verwendet, um „abnormal“ oder „normal“ zu bestimmen. Sie werden mit großen, von Experten annotierten Datenbanken medizinischer Bilder trainiert und erreichen oder übertreffen sogar das menschliche Sehvermögen für die Erkennung von bestimmten Mustern. In der Derma- tologie geht es speziell um klinische, dermatoskopische und mikroskopi- sche Bilder. Etabliert sind diese Methoden in der Videodermatoskopie. Geforscht wird daran vor allem im Bereich der nicht-invasiven, innovativen dermatologischen Bildgebung wie konfokaler Laserscanmikroskopie oder optischer Kohärenztomographie. Weiterhin laufen multiple klinische Studien auf dem Gebiet der KI-unterstützten Dermatopathologie und der automatisierten Diagnosefindung anhand klinischer Fotografien von unterschiedlichen dermatologischen Entitäten. Die Hoffnung ist, die Genauigkeit und
die Geschwindigkeit in der dermatologischen Diagnostik zu erhöhen. Die Überprüfung durch Experten und das Tragen der Verantwortung bleibt weiterhin in den Händen von Ärzt*innen, sodass die Angst, durch die Maschine ersetzt werden zu können, nicht vorherrschen sollte.
DISKURS Dermatologie:
Wie bewerten Sie die aktuellen Trends in der Dermatologie im Bereich digitale Hilfsmittel mit Apps für Patienten oder auch in Bezug auf digitale Sprechstunden? Haben Sie eigene Erfahrungen? Wo sehen Sie Chancen und die Risiken?
Prof. Hartmann:
Es gibt bereits ein großes Angebot von digitalen Hilfsmitteln, die auch in der Dermatologie eingesetzt werden. In letzter Zeit, auf Grund der Pandemie, wurden die Video- Konsultationen und -Sprechstunden etabliert. Virtuelle Expertenkonsultationen und Boardmeetings sowie digitale Kongresse gehören mittlerweile zum Alltag. Es gibt unterschiedliche Apps, die z.B. die Smartphone-Teledermatologie ermöglichen. Dank verschiedener technologischer Fortschritte ist es möglich, Bildanalysen auf telemedizinische Art und Weise durchzuführen. Hier kann man die Teledermatoskopie, Telepathologie und Telezytologie als Beispiele nennen. Nicht zuletzt ist das Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen sehr aktuell und wird uns die nächsten Jahre ständig begleiten.
Die Chancen und Risiken der genannten digitalen Hilfsmittel gehen Hand in Hand. Es wird von den Experten mit Hilfe der zuständigen Behörden erwartet, dass schnellstmöglich sichere, aber gleichzeitig leicht zugängliche Wege für den Einsatz dieser Mittel gefunden werden. Erst dann kann man die volle Breite der Möglichkeiten, die die digitale Welt bietet, ausschöpfen. In der Dermatologie erhoffen wir uns eine Verbesserung von Prävention und Allgemeinwissen bzgl. Hautkrebs und anderer schwerer dermatologischer Erkrankungen, Beschleunigung und Erweiterung von diagnostischen Maßnahmen sowie vereinfachten Zugang zu geeigneten Therapieoptionen für alle Patient*innen und Erleichterung der Arbeitsabläufe für das medizinische Personal.
DISKURS Dermatologie:
Sehr geehrte Frau Prof. Hartmann, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Dr. Ch. Willen.