“Hi, I’m Bruce from Beijing Medical Supplies …
Interview mit Astrid Tomczak, München
… we are offering high quality cheap aesthetic products.” So oder so ähnlich lauten E-Mails, die immer wieder in deutschen Posteingängen bei Ärzten oder Händlern eintrudeln. Der zunehmende Konkurrenzdruck zwischen den Anbietern, vor allem in Ballungszentren, mag den ein oder anderen in Versuchung führen, ein solches „Sparpreiswunder“ für die Praxis zu kaufen oder gar den Vertrieb für Deutschland als Distributor zu übernehmen. Welche rechtlichen Problematiken sich aus solchen Konstellationen ergeben und wann sich die billigen Geräte als echte „Groschengräber“ entpuppen können, haben wir im Interview mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) besprochen.
Ästhetische Dermatologie:
Prinzipiell ist es doch eine tolle Sache, dass wir heute beim Einkauf von Waren auf eine weltweite Auswahl zugreifen können, oder?
Astrid Tomczak:
Nun, das werden unterschiedliche Marktakteure sicher sehr unterschiedlich beantworten. Tatsache ist, dass derzeit viele Innovationen aus den asiatischen Ländern kommen. Die Asiaten schaffen es häufig, Neuentwicklungen in ungeahnter Geschwindigkeit und mit einem Blick für die aktuellen Bedürfnisse zur Marktreife zu führen. Andere gesetzliche Rahmen- und Preisbedingungen fördern ganz generell ein Klima der Innovation. Aktuell lässt sich dies wieder einmal in der Corona-Krise beobachten. Meines Wissens kommt der erste COVID-19-Test, der in reiner Heimanwendung durchgeführt werden kann, aus Korea. Es reicht ein Tropfen Blut aus der Fingerkuppe, um einen verlässlichen Nachweis für oder gegen eine Infektion zu führen. In Zeiten, in denen unter anderem die Ressource Mensch knapp bemessen ist, sind selbstverständlich alle Dinge, die ein potentieller Patient selbst erledigen kann, eine große Entlastung für das Gesundheitssystem.
Allerdings wird eben auch immer wieder mit Innovationen, und vor allem beobachte ich das im ästhetischen Bereich, Schindluder getrieben. Häufig sind Angebote aus asiatischen Ländern weder eindeutig noch transparent formuliert und dargestellt.
Es ist für uns Europäer, die wir auch eine andere Mentalität pflegen, häufig schwierig, die Qualität eines Produkts wirklich beurteilen zu können. Sei es nun, dass Inhaltsstoffe, Anwendung, Kombinationen mit anderen Produkten, Wartezeiten oder dergleichen recht oberflächlich oder gar nicht thematisiert werden oder bei der Frage nach Nebenwirkungen keine vernünftige Auskunft erfolgt. Auch Studiendaten erfüllen nicht immer die gewohnten Anforderungen und so bleibt manchmal am Ende nur noch der unschlagbar günstige Preis als Verkaufsargument übrig, denn alles andere hört sich zwar gut an, es fehlen jedoch die Belege. Somit kommen wir hier evtl. auch in medizinische Risiken für Patient und Anwender, die sich in manchen Fällen vorab nicht abschätzen lassen.
Ästhetische Dermatologie:
Welche rechtlichen Problematiken sehen Sie im Speziellen bei Produkten aus Asien?
Astrid Tomczak:
Es kann sich zum Beispiel die Frage nach der Verkehrsfähigkeit des Produkts ergeben. Da lohnt sich zunächst ein Blick auf die Ingredienzienliste. Nicht jeder Inhaltsstoff, der in Asien verwendet werden darf, ist in Deutschland erlaubt. So enthalten manche Whitening-Produkte signifikante Mengen an Hydroquinon – ein Stoff, der in der EU in Kosmetikprodukten verboten ist. Er steht in Verdacht, kanzerogen, mutagen oder reproduktionstoxisch zu sein.
Ein aktuelles Beispiel sind zudem unterschiedliche Arten menschlicher Wachstumsfaktoren, die in Cremes und Tinkturen zum Einsatz kommen. Dort wird vollmundig mit Patenten geworben, die weltweit bestehen, aber tatsächlich spielt ein Patent für die Verkehrsfähigkeit eines Produkts überhaupt keine Rolle. Menschliche Wachstumsfaktoren dürfen in Deutschland in Produkten nicht zum Einsatz kommen.
Zu beachten sind immer die für das jeweilige Produkt geltenden rechtlichen Regelungen (z.B. Kosmetik-/ Arzneimittel- oder Medizinprodukterecht). Fehlt eine solche spezifische Regelung, können z.B. die Europäische Richtlinie für die allgemeine Produktsicherheit (GPSD), das deutsche Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) oder das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) einschlägig sein.
Auch die generelle Einordnung eines Produkts in die richtige Produktkategorie kann fehlerhaft sein. So begründen pharmakologisch wirkende Bestandteile per se oder ab dem Überschreiten einer bestimmten Konzentration eine Arzneimitteleigenschaft des Produkts. Nicht immer liegt aber eine entsprechende Arzneimittelzulassung vor. Beispielhaft sei hier die Tranexamsäure genannt, die zur Behandlung von Hyperpigmentierungen in Kosmetikprodukten Einsatz findet und ab einer Konzentration von mehr als 1% eine pharmakologische Wirkung entwickelt, also einer Arzneimittelzulassung bedürfte. Wird das Produkt als Kosmetikprodukt und damit ohne die für die Verkehrsfähigkeit erforderliche Zulassung in den Markt gebracht, kann dies nach § 96 Abs. 1 Nr. 5 AMG mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe belegt werden.
Viele Fehler werden aber auch bei der Kennzeichnung von Produkten gemacht. So fehlen deutsche Gebrauchsanleitungen und Inhaltsstoff- angaben oder Name und Adresse der verantwortlichen Person, die innerhalb der EU ansässig sein muss. Das Fehlen letzterer Angabe ist nicht nur ein Kennzeichnungsmangel, sondern wird als Nichteinhaltung der Produktsicherheitsanforderungen gewertet. Ohne die Kenntnis der verantwortlichen Person ist es den europäischen Behörden praktisch unmöglich, Maßnahmen zur Beseitigung von Mängeln durchzusetzen. Daher sollen in Zukunft Produkte ohne Angabe einer verantwortlichen Person nicht mehr nach Deutschland eingeführt werden können.
Ästhetische Dermatologie:
Gibt es auch rechtliche Problematiken bei der Einführung von Medizinprodukten aus sogenannten Drittstaaten?
Astrid Tomczak:
Auch hier sind einige wichtige Aspekte zu beachten, die beispielsweise für Händler direkte Auswirkungen haben. Medizinprodukte aus Drittstaaten müssen natürlich zunächst einmal eine gültige CE- Zertifizierung besitzen.
Eine weitere Voraussetzung für einen rechtmäßigen Vertrieb von Medizinprodukten in der EU ist eine vom Hersteller eingesetzte natürliche oder juristische Person mit Niederlassung in der EU, der sognannte Bevollmächtige (Art. 11 MDR). Dieser Bevollmächtigte tritt an die Stelle des Herstellers. Wenngleich er selbst nicht die Verantwortung für die vom Hersteller vertriebenen Medizinprodukte trägt, ist er dennoch der Ansprechpartner für die zuständigen Behörden und haftet in Europa gegenüber Dritten hinsichtlich der Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben gesamtschuldnerisch mit dem Hersteller. Es besteht eine gesetzliche Verpflichtung für Unternehmen aus Drittstaaten, die in der EU Medizinprodukte vertreiben, einen solchen Vertreter zu benennen. Hieran lässt sich auch schnell erkennen, ob eine Firma seriös arbeitet.
Häufig ist es nun so, dass Händler CE-zertifizierte Medizinprodukte aus Drittstaaten in die EU einführen und ihren Namen auf dem Produkt anbringen. So sind sie nicht nur Händler (Art. 14 MDR), sondern auch Importeure (Art. 13 MDR). Mit diesem Status sind umfangreiche Verpflich- tungen verbunden, wie z.B.:
• Überprüfen der CE-Kennzeichnung und Konformitätsbewertungserklärung
• Überprüfen, dass der Hersteller bekannt ist und ein Bevollmächtigter ernannt wurde
• Überprüfen der Einhaltung der Kennzeichnungsvorschriften (inkl. Unique Identifier)
• Anbringen der eigenen Geschäftsadresse
• Ergänzen von Produktdaten in EUDAMED (Europäische Datenbank für Medizinprodukte)
• Führen von Registern über Complaints, nicht-konforme Produkte, Rückrufe
Zudem können sie nach Produkthaftungsgesetz rechtlich gesehen zum Hersteller werden (§ 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG) und haften nach § 1 ProdHaftG für Fehler des Produkts. Das kann richtig teuer werden. Bei Personenschäden liegt die Haftungshöchstsumme bei € 85 Millionen (§ 10 Abs. 1 ProdHaftG). Zumindest dieses Risikos sollte man sich bewusst sein.
Ästhetische Dermatologie:
Sehr geehrte Frau Tomczak, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte S. Höppner.