Hyaluron-Pen – mit 800km/h in das Heilpraktikergesetz?
Interview mit Astrid Tomczak, München
Der Hyaluron-Pen beschäftigt derzeit die Branche. Wie schon in der vorletzten Ausgabe berichtet, sind viele rechtliche Fragestellungen zum Gerät ungeklärt. Vor allem die Frage, wer diesen Pen anwenden darf, erhitzt die Gemüter. Während das Produkt von Herstellern weiterhin als einfache und ungefährliche “Allzweckwaffe“ für die Behandlung von Falten und Volumendefiziten im Kosmetikstudio angepriesen wird, setzt sich auf Behördenseite zunehmend eine andere Auffassung durch. Mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) haben wir das Thema daher nochmals aufgegriffen und über die neuesten Entwicklungen gesprochen.
Ästhetische Dermatologie:
Welche Neuigkeiten gibt es denn nun zum Hyaluron-Pen, Frau Tomczak?
Astrid Tomczak:
Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat sich aufgrund mehrerer Anfragen erstmals geäußert und ordnet die Anwendung des Pens dem Bereich der Heilkunde zu. In Bayern ist die Arbeit mit dem Pen damit für Kosmetikerinnen untersagt. Eine Zuwiderhandlung wird als „Ausübung der Heilkunde ohne Erlaubnis” bewertet und bedeutet einen Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz. Damit sind auch strafrechtliche Konsequenzen möglich. Dieser Rechtsauffassung ist man übrigens auch in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Die Behörden dort schließen zudem die Anwendung des Plasma-Pens und das Fadenlifting für Kosmetikerinnen aus.
Ästhetische Dermatologie:
Wieso gibt es nur einzelne Ländermeinungen und keine bundeseinheitliche Regelung?
Astrid Tomczak:
Das Heilpraktikergesetz ist zwar ein Bundesgesetz, die Durchführung, Auslegung und auch die Durchsetzung bei Verstößen obliegt jedoch den Ländern und deren nachgeordneten Behörden. Daher kann es zumindest vorübergehend sein, dass die Anwendung des Pens in einem Bundesland der Heilkunde zugerechnet wird, in einem anderen aber nicht. Das führt dazu, dass Kosmetikerinnen in einem Bundesland mehr dürfen als in einem anderen. Insgesamt ist das natürlich eine Situation, die zu Verwirrung und Unsicherheit im Markt führt.
Ästhetische Dermatologie:
Was könnte diesen “Schwebezustand” beenden?
Astrid Tomczak:
Im Prinzip kann hier nur ein Gerichtsverfahren helfen. Dies könnte zum Beispiel durch die Abmahnung eines direkten Wettbewerbers einer den Pen bewerbenden Kosmetikerin (z.B. Arzt, Kosmetiker oder Heilpraktiker) gestartet werden. Setzt sich die abgemahnte Kosmetikerin gegen die Abmahnung zur Wehr und gibt keine Seite nach, geht das Verfahren ab einem bestimmten Zeitpunkt vor Gericht. Im Gerichtsurteil wird dann eine grundsätzliche Bewertung der Methode erfolgen. Sollte das Urteil in der Hyaluron-Pen-Anwendung eine Ausübung der Heilkunde erkennen, hätte man die nun notwendige Rechtsklarheit, die sich auf alle Bundesländer beziehen würde. Selbst für den Fall, dass “nur” ein Verwaltungsgericht und kein Obergericht ein solches Urteil spricht und meist eine Berufung möglich ist, wäre dies zumindest ein weiteres starkes Indiz für die Richtigkeit der derzeitigen Behördensicht. Außerdem bestünde so die Möglichkeit, sich bei Rechtsstreitigkeiten zum Thema auf ein Gerichtsurteil zu beziehen. Denn auch die Behördensicht ist letztlich nur eine Rechtsauffassung, die gerade so lange gilt, bis die Judikative zu einer entsprechenden Entscheidung angerufen wurde. Ein solches Gerichtsverfahren kann alternativ auch durch die Unterlassungsverfügung einer Behörde starten. Hier wird der Adressat aufgefordert, die Anwendung des Hyaluron-Pens in Zukunft zu unterlassen. Einmal unterschrieben, entfaltet das Dokument eine unbefristete Wirksamkeit. Wird die Unterlassung nicht akzeptiert, sondern dagegen vorgegangen, kann auch dies in einem Gerichtsverfahren mit den oben beschriebenen Folgen münden. In der Frage, ob die Faltenunterspritzung mit Hyaluronsäure eine Ausübung der Heilkunde darstellt, hat beispielsweise 2012 das OLG Karlsruhe mit seinem Urteil für endgültige Klarheit gesorgt. Ausgangspunkt des Streits war damals eine behördliche Unterlassung.
Ästhetische Dermatologie:
Wie begründet sich die Behördensicht und gilt das Verbot in Bayern und Schleswig-Holstein für alle Gerätetypen?
Astrid Tomczak:
Die Behörden berufen sich auf die Grundsätze, die das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesgerichtshof seit den 60er Jahren für die Einordnung von Verfahren an der Grenze zwischen Medizin und Kosmetik entwickelt haben. Dabei wird untersucht, ob eine Methode medizinische oder ärztliche Fachkenntnisse voraussetzt und ob durch deren Anwendung nicht unerhebliche Gesundheitsrisiken für den Behandelten bestehen könnten. In Bezug auf die erforderlichen Fachkenntnisse werden für die Hyaluron-Pen-Behandlung u.a. Know-How in den Bereichen der Anatomie, Pathophysiologie, Hygiene und Pharmakologie genannt. Bei den befürchteten Gesundheitsrisiken werden Mikroblutungen, andere Gewebeschäden und Schwellungen aufgeführt. Zusätzlich wird argumentiert, dass es Kontraindikationen für die Behandlung gäbe, die nur durch Personen mit entsprechenden medizinischen Kenntnissen erkannt werden könnten. Die Behörden aus Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein bewerten das Einschießen des Hyalurons mittels Pen als invasive Behandlung, die einer Unterspritzung gleichzustellen wäre. Spezielle Gerätetypen wurden bisher nicht genannt. Es wurde lediglich die Methode an sich bewertet.
Ästhetische Dermatologie:
Sehen Sie noch eine andere Problematik in Bezug auf den Pen?
Astrid Tomczak:
Ja, die gibt es tatsächlich. Die Geräte sind in aller Regel lediglich als Kosmetikgeräte “zugelassen”. Es gibt also keine Risikobewertung, kein Konformitätsbewertungsverfahren und überhaupt nur eine begrenzte Zahl an Daten, die eine kontinuierlich einwandfreie und zuverlässige Arbeitsweise des Geräts sowie Patienten- und Anwenderschutz bei der Durchführung von Behandlungen garantieren. Nun wird aber in der Werbung häufig erwähnt, dass hochwertige Hyaluronprodukte mit den Pens unter die Haut geschossen werden. Solche Hyaluronsäuren für die intrakutane Applikation sind in der Regel als Medizinprodukte der Klasse III, also der höchsten Risikoklasse, die das Medizinprodukterecht kennt, zertifiziert. Ein Gerät, welches ein Medizinprodukt appliziert, kann rechtlich gesehen als sogenanntes Zubehör bewertet werden (§ 2 Abs. 1 MPG). Zubehör zum Medizinprodukt ist ein Gegenstand, der zwar an sich kein Medizinprodukt ist, aber vom Hersteller dazu bestimmt ist, zusammen mit einem oder mehreren bestimmten Medizinprodukten verwendet zu werden, und der speziell deren Verwendung gemäß ihrer Zweckbestimmung ermöglicht. Ein Zubehör wird rechtlich als Medizinprodukt angesehen und unterliegt vollständig den medizinprodukterechtlichen Vorgaben. Dieser Zusammenhang zwischen den Pens und den damit verwendeten Präparaten müsste also nochmals genauer unter die Lupe genommen werden.
Falls es derzeit noch Hyaluronsäureprodukte für Injektionszwecke ohne CE gibt, wird diese Area spätestens mit der neuen Medizinprodukteverordnung (MDR) 2020 bzw. mit dem Ablauf der nachfolgenden Übergangszeit (Art. 120 Abs. 4 MDR) im Mai 2025 zu Ende gehen. Laut MDR sind nun alle Haut- und Schleimhaut- füller kraft Gesetzes als Medizin- produkte definiert (vgl. Anhang XVI Nr. 3 MDR) und müssen damit die einschlägigen Vorgaben des Medizinprodukterechts erfüllen.
Ästhetische Dermatologie:
Sehr geehrte Frau Tomczak, wir bedanken uns für das Gespräch und freuen uns in der nächsten Ausgabe auf das Thema “Meldung von Nebenwirkungen – Pflicht oder Kür?”
Das Interview führte S. Höppner