Komplex: On-Label-, Off-Label- und No-Label-Use in der Ästhetischen Medizin
Interview mit Astrid Tomczak, München
Was in der klassischen Medizin bekannt ist, gibt es natürlich auch in der Ästhetikwelt. Die Anwendung von verschreibungspflichtigen Medikamenten und Medizinprodukten im Rahmen oder eben außerhalb der vorgesehenen Indikation. Während im Bereich der Heilung und Linderung von Krankheiten, Behinderungen und sonstigen Leiden aber häufig der Mangel an geeigneten Medikamenten zum Off-Label-Use oder einer nicht-lizenzierten Anwendung führt, sieht das in der „Glitzerwelt“ der Ästhetik etwas anders aus. Hier entwickelt sich seit Jahren ein Trend, der durchaus Anlass zu Bedenken gibt. Manche Hersteller vertreiben ihre Produkte Off-Label oder ohne Label, um teure und zeitaufwendige Zulassungsverfahren zu vermeiden und wälzen damit das Anwendungsrisiko auf die Behandler*innen ab. Welche Unterschiede und Risiken es beim Off-Label-Use und bei der unlizenzierten Verwendung von Produkten gibt, haben wir im Interview mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) besprochen.
Diskurs Dermatologie: Frau Tomczak, könnten Sie uns zunächst den Unterschied zwischen On-Label-Use und Off-Label-Use einmal genau definieren?
Astrid Tomczak: Sehr gerne. Der On-Label-Use setzt zunächst einmal die gesetzeskonforme Zulassung eines Produkts als Arzneimittel oder Medizinprodukt voraus. Daraus folgend definiert er sich dann als Anwendung eines Produkts im Rahmen seiner Indikation. Ein klassisches Beispielist die Anwendung von Botulinumtoxin in der Glabellafalte. Alle
am deutschen Markt erhältlichen Botulinumprodukte haben für diese Indikation eine Zulassung. Bei Unterspritzung der Glabellafalte mit diesen Produkten handelt es sich also um einen On-Label-Use. Wird dagegen ein solches Botulinumpräparat zur Reduzierung des Masseter-Muskels genutzt, handelt es sich um einen Off-Label-Use. Das zugelassene Produkt wird außerhalb seiner Indikation eingesetzt. Off-Label-Use bedeutet allerdings entgegen häufiger Auffassung nicht nur die Anwendung des Arzneimittels in einer anderen Indikation, sondern kann auch eine abweichende Anwendungsdauer, Dosierung, Patientengruppe oder Darreichungsform sein. Interessant ist auch folgender Fakt: Möchte der Hersteller das Arzneimittel für eine bestimmte Indikation zulassen und scheitert damit, bedeutet dies gleichzeitig das Ende des Off-Label-Use für diese Konstellation.
Bei Medizinprodukten wie zum Beispiel Hyaluronsäurefillern stellt sich der Sachverhalt etwas anders dar. Medizinprodukte durchlaufen im Gegensatz zu Arzneimitteln kein Zulassungs-, sondern ein Konformitätsbewertungsverfahren in Zusammenarbeit mit den privatrechtlich organisierten sog. “Benannten Stellen“. Im Rahmen dessen legt der Hersteller die Zweckbestimmung des Produkts fest. Die Zweckbestimmung definiert die Verwendung des Produkts. Diese Verwendung legt der Hersteller in der Gebrauchsanweisung, der Kennzeichnung oder den Werbematerialien des Produkts fest. Der Off-Label-Use bei Medizinprodukten ist in der Praxis etabliert, wird jedoch im Medizinprodukterecht nicht definiert. Ebenso wenig existiert eine behördliche Kommission zum Off-Label-Use von Medizinprodukten, wie es sie bei den Arzneimitteln gibt. Aufgrund der Vielfalt an Medizinprodukten im Ästhetischen Markt kann sich der Off-Label-Use ganz unterschiedlich darstellen. Beispielsweise Lippenfiller, die unter dem Auge eingesetzt werden, Geräte, die mit anderen als vom Hersteller empfohlenen Leistungsparametern oder anderem Zubehör betrieben werden, oder Einmalprodukte, die mehrmals zum Einsatz kommen (z.B. angebrochene Hyaluronsäurefillerprodukte).
Diskurs Dermatologie: Welche Implikationen hat der Off-Label-Use für Hersteller und Behandler*innen?
Astrid Tomczak: Für Hersteller und Behandler, die an der Vermarktung des Produkts interessiert sind, ist wichtig zu wissen, dass die Werbung für Off-Label-Use für Arzneimittel in Deutschland ausdrücklich verboten ist (§ 3a S. 2 HWG). Dies musste auch ein Beauty-Klinik-Betreiber als Folge seiner Botulinumwerbung zur Faltenbehandlung in Berlin erfahren (KG Berlin, Urteil vom 17. 02. 2017 – 5 U 78/16). Ein entsprechendes Werbeverbot für Medizinprodukte enthält das HWG dagegen nicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Off-Label-Use für Medizinprodukte ohne weiteres zulässig wäre. Wie bereits erläutert, werden Medizinprodukte mit einer Zweckbestimmung, also einer Indikation oder Anwendung vom Hersteller versehen. Wenn nun darüber hinaus neue Indikationen beworben werden, kann das eine so genannte Irreführung darstellen. Diese hat zwar keine Auswirkungen auf die Verkehrsfähigkeit des Produkts, bereitet aber den Boden für wettbewerbsrechtliche Abmahnungen nach Heilmittelwerberecht.
Für Behandler ergeben sich bei Off- Label-Use von Arzneimitteln erhebliche Rechtsunsicherheiten. So sind beispielsweise finanzielle Absicherungen arzneimittelbedingter Schäden nach dem Arzneimittelgesetz (§ 48 AMG) nur im Falle des bestimmungsgemäßen Gebrauchs bzw. bei einem vom Hersteller evtl. geduldeten Off-Label-Use möglich. Die haftungsrechtliche Verpflichtung geht unter Umständen auf den Arzt über. In jedem Fall ergeben sich erweiterte Aufklärungspflichten gegenüber dem Patienten.
Auch bei den Medizinprodukten muss sich der Behandler auf erweiterte Aufklärungspflichten einrichten. Zudem ist im Zusammenspiel mit dem Hersteller die Haftung bei evtl. Schäden entweder auf beide aufgeteilt oder geht vom Hersteller komplett auf den Behandler über. Der Hersteller ist für die korrekte Verwendung des Produkts und für alle Marketingbotschaften, Aussagen des Verkaufsteams und verwendeten Marketingmaterialien verantwortlich. Jede Verwendung außerhalb des zertifizierten Verwendungszwecks liegt in der alleinigen Verantwortung des Benutzers. Es gibt jedoch einige Ausnahmen von diesem Grundsatz.
Ist dem betreffenden Unternehmen bekannt, dass es einen anhaltenden Trend zur missbräuchlichen Verwendung seines Produkts auf dem Markt gibt, kann sich die Haftung teilweise auf den Hersteller verlagern. Ist der Missbrauch bekannt und wird vom Hersteller/Händler/Verkäufer akzeptiert, kann sich die Haftung ebenfalls teilweise auf den Hersteller verlagern. Wird der Off-Label-Use von Vertriebsmitarbeitern, bezahlten Rednern auf Kongressen, in Marketingmaterialien, Workshops oder mit Hilfe sonstiger vom Unternehmen bezahlter Aktivitäten gefördert, liegt die Haftung komplett bei der Firma.
Um von jeglicher Haftung befreit zu werden, muss der Hersteller sicherstellen, dass kein Angestellter oder freier Mitarbeiter des Unternehmens den Off-Label-Use des Produkts fördert, unterstützt oder diskutiert. Es muss der Arzt selbst sein, der Anwendungen außerhalb des bestimmungsgemäßen Gebrauchs des Produkts entdeckt und ausprobiert.
Diskurs Dermatologie: Und was ist nun der Unterschied zwischen einem „Off-Label-Use“ und einem „No-Label-Use“?
Astrid Tomczak: Bei einem „Off-Label-Use“ hat das Produkt für eine Indikation eine Zulassung als Arzneimittel oder
eine CE-Zertifizierung als Medizinprodukt. Es wird „nur“ außerhalb dieser Zulassung verwendet. Bei einem unlizenzierten Produkt handelt es sich dagegen um Produkte, die in Deutschland keinerlei Zulassung besitzen. Diesen Produkten können wir in vielen verschiedenen Konstellationen begegnen; hier möchte ich nur die wichtigsten nennen. Es kann sich um Arzneimittel handeln, die als solche in anderen Ländern eine Zulassung haben, aber nicht in Deutschland. Es können Medizinprodukte sein, die von außerhalb Europas nach Deutschland eingeführt werden, ohne eine europäische Medizinprodukte-zertifizierung aufzuweisen. Als Sonderfall möchte ich auch noch Kosmetikprodukte nennen, die wie ein Medizinprodukt oder ein Arzneimittel eingesetzt werden.
Diskurs Dermatologie: Welche Beispiele sind Ihnen in diesem Zusammenhang begegnet?
Astrid Tomczak: Im Rahmen der Arzneimittel waren dies in der letzten Zeit vor allem Botulinumpräparate, die aus dem europäischen Ausland nach Deutschland eingeführt wurden und keine deutsche Zulassung besitzen. Bei den Medizinprodukten sind es meist Geräte, Fäden oder Mesotherapieprodukte aus dem asiatischen Raum. Diese können in der Regel keinerlei Zulassung aufweisen, werden hier aber trotzdem ohne eine entsprechende Aufklärung und Information am Patienten angewendet. Bei den Mesotherapieprodukten ergibt sich häufig noch das zusätzliche Problem, dass manche Inhaltsstoffe in Deutschland verboten sind oder in der verwendeten Konzentration unter das Arzneimittelrecht fallen. Bekannte Beispiele sind Plazentaextrakte und Wachstumsfaktoren, zum Teil humanen Ursprungs. Deren Wirkung ist nicht nur unvorhersehbar, es fehlen auch entsprechende Studiendaten. Auch sind die Herstellungs- und Produktionsbedingungen sowie die Qualität der Rohstoffe nicht nachvollziehbar.
Problematisch sind außerdem Kosmetikprodukte, die invasiv verarbeitet werden. Dabei handelt es sich ebenfalls häufig um Wirkstoffampullen, die offiziell auf die Haut aufzutragen sind. Tatsächlich werden sie aber häufig injiziert.
Diskurs Dermatologie: Welche Folgen kann das für Hersteller und Behandler*innen haben?
Astrid Tomczak: Sowohl das Arzneimittel- als auch das Medizinproduktrecht sehen Straf- und Bußgeldregelungen vor. Für den Unternehmer, der Arzneimittel ohne Zulassung im Inland vertreibt, drohen Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder Geldstrafen. Wer Medizinprodukte ohne CE nach Deutschland einführt, kann ebenfalls mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr sanktioniert werden. Stoffe und Stoffgemische, die dazu bestimmt sind, injiziert oder in den Körper implantiert zu werden, gelten nach Art. 2 Abs. 2VO (EG) Nr. 1223/2009 nicht als kosmetische Mittel (Kosmetikprodukte). Das heißt auch, dass sie im Falle einer solchen Anwendung wie Arzneimittel oder Medizinprodukte ohne Zulassung behandelt werden können. In jedem Fall ist der Behandler bei Schadensfällen haftungstechnisch komplett auf sich gestellt.
DISKURS Dermatologie: Sehr geehrte Frau Tomczak, vielen Dank für das Gespräch!