Aktuell Derma

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in Gesellschaften, die den hohen Anspruch an sich selbst stellen, freiheitlich zu sein, ist die Frage, was grundsätzlich erlaubt und was demgegenüber reguliert werden muss, um zu einem ebenso liberalen wie solidarischen, ebenso chancenreichen wie abgesicherten, ebenso selbstverwirklichenden wie rücksichtsvollen Miteinander zu kommen, ein systemimmanen-

tes Spannungsfeld, dessen Koordinaten im (je nach aktuellem gesellschaftlichem Klima/Zeitgeist mehr oder weniger) friedlichen öffent- lichen Diskurs aller relevanten Gruppen und Kräfte fortlaufend neu verhandelt werden. Diese kooperative Kartierung des öffentlichen (und privaten) Raums ist in der Regel ein in großen Zeitspannen ablaufender, allmählicher Prozess, der nur aufgrund plötzlich auftreten- der, einschneidender Ereignisse in einen stark beschleunigten „Turbo-Modus“ gezwungen wird.

Wir leben insofern aktuell gewiss in dem, was im englischsprachigen Raum (leicht euphemisierend) gern „interesting times“ genannt wird; Zeiten also, in denen die erwähnten gesellschaftlichen Mühlen viel zu langsam mahlen, so dass die Politik gezwungen ist, gleich auf mehreren verschiedenen Feldern quasi zeitgleich eine „Zeitenwende“ zu konstatieren und diese Erkenntnis instantan in konkretes legislatives und exekutives Handeln umzusetzen. Neben der Klima-/Energiepolitik und der Sicherheitspolitik war und ist dies auch in der Gesundheitspolitik aufgrund des Jahrhundertereignisses einer globalen Pandemie erforderlich. Auch und gerade hier stellte sich von Anfang an die bis heute immer wieder kontrovers diskutierte Frage, welche Maßnahmen angemessen sind und die postulierte Freiheit- lichkeit so wenig wie möglich einschränken, aber dennoch eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit und eine Überforderung des Gesundheitssystem verhindern und – last but not least – ein adäquates Maß an solidarischer Rücksichtnahme gegenüber den besonders vulnerablen „Risikogruppen“ gewährleisten.

Wenn in diesem Zusammenhang zuletzt immer öfter der Begriff der „Eigenverantwortung“ bemüht wird, spricht dies leider nicht nur dafür, dass angesichts für jedermann verfügbarer Impfungen und einer größtenteils mit relativ milden Verläufen assoziierten domi- nanten Virusvariante das individuelle Risiko für die meisten Menschen kalkulierbarer geworden ist. Es zeigt sich auch eine gewisse Pandemiemüdigkeit nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch bei vielen Entscheidungsträgern, die aufgrund der pandemiebedingten „Zumutungen“ ja auch über fast zweieinhalb Jahre einer Vielzahl an zermürbenden Anfeindungen ausgesetzt waren. Der Preis dieser neugewonnenen (temporären) Freiheit der Vielen ist die weiter verschärfte Gefährdung der Wenigen, die entweder nicht geimpft werden können oder aufgrund hohen Alters oder gravierender Vorerkrankungen trotz Impfung schwere Verläufe befürchten müssen. Wenn

im öffentlichen (Innen-)Raum die Minimaleinschränkung des Maskentragens fast überall aufgehoben ist, ist es dann wohl aktuell die „Eigenverantwortung“ dieses Personenkreises, die eigene Wohnung möglichst gar nicht mehr zu verlassen.

Besonders erfreulich finde ich es hingegen in diesem (weiteren) Zusammenhang, dass in der aktuellen Ausgabe von DISKURS Dermatologie gleich mehrere in der Ästhetik praktizierende Kolleg*innen ihre ärztliche Eigenverantwortung so deutlich formulieren, wie es Dr. med. Mustafa Narwan aus Düsseldorf („Meine Aufgabe als Arzt ist es einzuschätzen, ob die Vorstellungen realistisch und umsetzbar sind. (…) Nur wenn die Patientin bzw. der Patient realistische Erwartungen hat oder über die Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung aufgeklärt wurde, führe ich eine Behandlung durch.“) (s.S. 64f), Dr. med. Michaela Fuchs aus München („Sobald es übertrieben künstlich wirkt oder zur Schädigung des Gewebes führt, hört bei mir das Verständnis für den Optimierungswunsch defini- tiv auf.“) (s.S. 58f) und Herr Steffen Giesse aus Ludwigshafen („Es steht für uns außer Frage, dass wir alle unsere Behandlungen und die damit erzielbaren Erfolge tatsächlich ausschließlich in einem ganz seriösen, fachlich fundierten Zusammenhang darstellen.“)
(s.S. 14ff) tun.

Ihre

Dr. med. Andrea Schulz
Schriftleiterin DISKURS Dermatologie