Mit Stammzellen gegen chronisch-venöse Wunden
Interview mit PD Dr. med. Mansur Duran (Gelsenkirchen)
PD Dr. med. Mansur Duran ist als Facharzt für Gefäßchirurgie, Facharzt für Chirurgie, Endovaskulärer Chirurg (DGG) und Endovaskulärer Spezialist (DGG) Chefarzt der Klinik für Gefäß- und endovaskuläre Chirurgie im Marienhospital Gelsenkirchen. Im Interview spricht der Experte über eine vielversprechende Stammzelltherapie bei chronisch-venösen Wunden.
Herr Dr. Duran, können Sie uns kurz den Leidensdruck von Patient*innen mit chronisch-venösen Ulzera (CVU) schildern?
Dr. Duran:
Die Patient*innen haben oft einen langen Leidensweg hinter sich mit z.T. massiven Einschränkungen im Alltag. So ist beispielsweise der Gang in die Sauna oder ins Schwimmbad für sie nicht möglich; sie können an diversen Alltagsaktivitäten nicht mehr teilnehmen. Viele haben auch berufliche Probleme, u.a. durch häufige stationäre Aufenthalte über mehrere Wochen. Grund sind Wundinfektionen bis hin zu Blutvergiftungen mit aufwendigen Wundbehandlungen und Operationen. Dies führt nicht selten dann zur Arbeitslosigkeit und zu psychosozialen Folgen.
Welche „klassischen“ Standardbehandlungen zur Wundheilung standen Ihnen bislang für diese Patient*innen zur Verfügung, und welche Limitationen bzw. „Unmet Needs“ sehen Sie für dieses Krankheitsbild?
Dr. Duran:
Die Ursache für einen CVU ist in der Regel eine chronisch-venöse Insuffizienz, also ein Venenleiden. Wenn dieses nicht adäquat behandelt wird, kann es zu chronischen Wunden am Unterschenkel kommen. Zunächst gilt es erst einmal, die Grunderkrankung zu therapieren, sprich die Vene zu entfernen. Wenn es trotzdem zu einem Ulkus kommt, stehen meist chirurgische Maßnahmen im Vordergrund, wie zum Beispiel eine Abschabung im Rahmen eines operativen Eingriffs. Zudem gibt es noch die Möglichkeit der Vakuum-Therapie und als letzte Option, wenn die Wunde soweit sauber ist, noch eine Haut-Transplantation.
Aber im Prinzip sind wir hier limitiert und reden von Wunden, die Monate oder sogar Jahre nicht zur Abheilung kommen, wenn die beschriebenen Maßnahmen nicht zu einem anhaltenden Erfolg führen. Die Patient*innen werden dann stationär behandelt, oft mehrfach operiert, um die Wunde zu stabilisieren, und – sofern dies gelingt – in den ambulanten Sektor entlassen. Allerdings machen wir häufig die Erfahrung, dass sie nach wenigen Wochen mit dem gleichen Problem einer Wundinfektion wieder im Krankenhaus vorstellig werden.
Sie haben als Studienleiter frühen Einblick in die neue Behandlungsoption mit allogenen ABCB5- positiven dermalen mesenchymalen Stromazellen (MSCs) zur Behandlung therapieresistenter Patient*innen mit CVU (im Rahmen einer Phase IIb-Studie) erhalten. Was erwarten Sie sich künftig von diesem innovativen Behandlungsansatz mit Stammzellen für Ihre CVU-Patient*innen?
Dr. Duran:
Wir reden bei CVU von Wunden, die therapieresistent, d.h. über Monate und manchmal über Jahre hinweg offen sind. Chronische Wunden stagnieren im Entzündungsstadium und durchlaufen nicht den natürlichen Abheilungsprozess. Mit den allogenen Stromazellen können wir die Wundheilung wieder anregen. Die Stammzellen sind in der Lage, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und die Wundheilung wieder in Gang zu setzen. So kann es dann zu einer Verkleinerung der Wunde und im weiteren Verlauf zu einer kompletten Abheilung kommen.
Können Sie schon erste übergeordnete Erfahrungen aus den laufenden Studien teilen?
Dr. Duran:
In der abgeschlossenen klinischen Studie der Phase IIa wurden 31 CVU- Patient*innen untersucht. Dazu gibt es auch schon publizierte Ergebnisse. Dort wurde gezeigt, dass das Stammzelltherapeutikum in 80% der Fälle eine Verkleinerung der Wunde und in 20% der Fälle sogar eine komplette Abheilung bewirkte. Ich bin erst in der Phase IIb, wo es vor allem um die Dosisfindung geht, als Studienleiter eingestiegen, und wir sind hier noch in der Rekrutierungsphase. Die Ergebnisse der aktuellen Studie müssen wir daher noch abwarten, aber die Studie der Phase IIa hat schon gezeigt, dass dieses Medikament effektiv wirkt.
Es gibt ja inzwischen eine erste genehmigte somatische Zelltherapie bei chronisch-venösen Wunden, die aufgrund der Nationalen Marktgenehmigung durch das Paul-Ehrlich-Institut seit September 2021 bereits von Wundspezialist*innen in Kliniken eingesetzt werden kann. Bei welchen Patient*innen wenden Sie das Zelltherapeutikum (außerhalb der Studien) bereits an?
Dr. Duran:
In Frage für die Therapie mit Amesanar® kommen Patient*innen mit therapieresistenten chronischen Wunden. Bei den klinischen Studien ist die Patient*innenselektion sehr limitiert, d.h. beispielsweise, dass Patient*innen mit Wunden mit einer Größe von mehr als 50 cm2 nicht an der Studie teilnehmen dürfen. Solche Patient*innen kämen dann für Amesanar außerhalb der Studie in Frage. Ich hatte die Gelegenheit, die erste Patientin mit Amesanar hier in Deutschland zu therapieren. Sie hatte eine solch große Wunde, die fast den gesamten Unterschenkel betraf. Die Patientin war schon mehrfach bei uns zur stationären Aufnahme. Bei ihr hatten wir im Vorfeld alles ausprobiert, von Operationen über Vakuum-Therapie bis zur Haut-Transplantation. Aber diese Wunde kam nicht zur Abheilung. Dort, wo die Stromazellen lokal von uns aufgetragen wurden, kam es zu einer Granulation des Gewebes und zur Austrocknung und damit im Prinzip zur Abheilung dieser Wunde.
Wie bewerten Sie demnach bei dieser Patientin den konkreten Behandlungserfolg?
Dr. Duran:
Für mich ist das definitiv ein Erfolg! Ich bin jetzt hier seit fast zweieinhalb Jahren im Marienhospital in Gelsenkirchen tätig und habe die Patientin die ganze Zeit mit begleitet und mit therapiert, auch chirurgisch mit einer Haut-Transplantation, was leider auch nicht zum Erfolg geführt hatte. Und jetzt, durch die Stammzelltherapie mit Amesanar, kam es zu einer deutlichen Verkleinerung und gar zur Abheilung dieses Wundbereichs, in dem wir die Zellen angewendet hatten.
Könnten Sie uns noch kurz den Erstattungsprozess schildern und bewerten inkl. der Reaktion der Krankenkasse?
Dr. Duran:
Als die Möglichkeit aufkam, Amesanar als Medikament nun bei uns einzusetzen, hatte ich direkt diese Patientin im Kopf und bei ihrer Krankenkasse angefragt. Der Erstattungsprozess ist so, dass man die Kasse anschreiben und den Fall erläutern muss. Die Sachbearbeiterin dort rief mich dann direkt an, und ich musste nochmal die Gründe für die Anwendung dieses Medikamentes erklären. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Stammzelltherapie zum Erfolg führen kann bei einer Patientin, die mehrere Jahre lang ohne nachhaltigen Erfolg ambulant und stationär behandelt wurde. Und auch diese Kosten waren immens. Sie sind teilweise sogar höher als so eine einmalig angewendete Stammzelltherapie – und das kann man natürlich so entsprechend der Krankenkasse auch gegenüber verargumentieren. Wichtig sind dann aber Bilder zum Behandlungserfolg, wo man sieht, dass es zur Wundheilung kam, damit sie verstehen, warum es sich lohnt, ein solches Medikament einzusetzen.
Gibt dazu Learnings, die Sie anderen Erstanwendern weitergeben könnten?
Dr. Duran:
Tipps sind immer schwierig. Man muss natürlich immer individuell entscheiden, welche Patient*innen kommen wirklich in Frage für eine solche Stammzelltherapie. Dabei ist auch die Einschätzung zur Compliance der Patient*innen wichtig. Diese muss sichergestellt sein, sonst wird es keinen nachhaltigen Erfolg geben. Das ist ein extrem wichtiger Aspekt für die Auswahl geeigneter Patient*innen.
Können Sie uns den Wirkmechanismus der ABCB5+ MSCs und ihren Effekt auf die Wunde bzw. die Heilungsprozesse im Körper erklären?
Dr. Duran:
Im Prinzip besteht die Wundheilung aus drei aufeinander folgenden Phasen. Die erste Phase ist die Entzündungsphase, die Inflammation, wo Proteine/Zytokine freigesetzt werden, die dann zur Entzündung führen. Die zweite Phase ist die Granulationsphase, wo die Wunde sich dann in der Abheilung befindet. Die dritte Phase ist schließlich die Epithelisierung, sprich da wächst dann wieder Haut über diesen Wundbereich. Und die Patient*innen, die wir aktuell haben, befinden sich alle in einer Entzündungsphase. Die Stammzellen wirken hier antiinflammatorisch, d.h. sie bewirken, dass Zytokine freigesetzt werden und diesen Entzündungsprozess durchbrechen. Damit ermöglichen sie die Fortführung des normalen Abheilungsprozesses und somit den Verschluss dieser Wunde. Es ist also nicht so, dass die Stammzellen neue Haut bilden, sondern sie durchbrechen den Entzündungsprozess und ermöglichen so den normalen, regulären Wundheilungsprozess.
Die Anwendung von Amesanar® ist genehmigt worden zur Anwendung durch einen spezialisierten, CVU- erfahrenen Dermatologen, Chirurgen oder einen Arzt mit der Schwerpunktbezeichnung Angiologie oder mit der Zusatzbezeichnung Phlebologie. Welche Tipps zur interdisziplinären Zusammenarbeit können Sie im Zusammenhang mit der Behandlung geben?
Dr. Duran:
Im Prinzip ist die Anwendung einfach. Die Stammzellen werden beim Hersteller bestellt und dann am selben Tag, an dem die Operation oder die Anwendung stattfinden soll, produziert und morgens zur Klinik transportiert. Die Zellen werden in Heidelberg produziert, und da es zu uns nach Gelsenkirchen ungefähr drei bis vier Stunden Fahrt sind, setzen wir die Operation bzw. Anwendung für die Mittagszeit an. Das Stammzelltherapeutikum kommt in einer Spritze. Die Wunde muss vorher ein bisschen abgeschabt werden, damit die Fibrinbeläge weg sind. Dann werden die Zellen auf die Wunde geträufelt. Und mehr ist es im Prinzip gar nicht.
Welche Tipps für die Anwendung können Sie bislang Stammzelltherapie-unerfahrenen Kolleg*innen geben?
Dr. Duran:
Vor einer Stammzellentherapie braucht man keine Angst zu haben.
Im Prinzip machen die Zellen nichts anderes, als den Körper in die Lage zu versetzen, die reguläre Wundheilung eigenständig wieder voranzutreiben. Und das ist der einzige Effekt dieser Zellen. Sie durchbrechen den „Circulus vitiosus“, in dem die Wunde stagniert. D.h. die Zellen sorgen dafür, dass die Entzündungsphase durchbrochen wird und die reguläre Wundheilung wieder von alleine ablaufen kann.