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Neues BGH-Urteil zur Patient*innenaufklärung

Interview mit Astrid Tomczak (München)

Die Patient*innenaufklärung ist als essenzieller Bestandteil jeder medizinisch-ästhetischen Behandlung seit Jahren die Sollbruchstelle in unzähligen Gerichtsverfahren zwischen Behandler*innen und Patient*innen. Sie soll sicherstellen, dass Patient*innen vor einem Eingriff ausreichend über Chancen, Risiken und mögliche Alternativen informiert werden, um eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können. In der ästhetischen Medizin unterliegt sie aufgrund der oftmals fehlenden medizinischen Notwendigkeit der Behandlungen besonders strengen Maßgaben. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Laufe der Jahre sein Verständnis bezüglich verschiedener Aspekte, die eine rechtswirksame Aufklärung auszeichnen, kontinuierlich konkretisiert. In den Jahren 2022 (Urt. vom 20.12.2022, VI ZR 375/21) sowie 2024 (Urt. v. 5.11.2024, Az. VI ZR 188/23) sind hierzu weitere wegweisende Entscheidungen veröffentlicht worden. Im Gespräch mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) haben wir die beiden Urteile und ihre Implikationen für die tägliche Praxis diskutiert.

Astrid Tomczak

DISKURS Dermatologie: Frau Tomczak, an welcher Stelle ist die Patient*innenaufklärung gesetzlich geregelt?

Astrid Tomczak: Die Patientenaufklärung ist in § 630e des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), dem sogenannten Patientenrechtegesetz, geregelt. Dieses Artikelgesetz ist 2012 in Kraft getreten und hat erstmals viele der über die Jahre im Richterrecht entwickelten Grundsätze der Patient*innen-Ärzt*innenbeziehung kodifiziert. In Vorbereitung auf den Gesetzeserlass hatte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung ergeben, dass zwei Drittel der Patient*innen ihre Rechte beim Arztbesuch nicht oder nur teilweise kennen. Bei auftretenden Defiziten im Behandlungsalltag schien deshalb eine Stärkung der Patient*innenrechte notwendig. Neben weiteren Regelungsinhalten wurde das Behandlungs- und Ärzt*innenhaftungsrecht, die Stärkung des Patient*innenschutzes, ihrer -beteiligung und -information niedergeschrieben.

Ein zentraler Regelungsinhalt ist die oben erwähnte Patient*innenaufklärung. § 630e BGB schreibt vor, dass Patient*innen vor einem medizinischen Eingriff umfassend über die Art, den Umfang, die Durchführung, die zu erwartenden Folgen und Risiken sowie mögliche Alternativen der Behandlung informiert werden müssen. Die Aufklärung muss dabei so erfolgen, dass Patient*innen eine selbstbestimmte Entscheidung treffen können. Zudem sieht § 630d Abs. 2 BGB vor, dass eine wirksame Einwilligung von Patient*innen eine ordnungsgemäße Aufklärung voraussetzt.

DISKURS Dermatologie: Wie muss die Patient*innen­ aufklärung nach Auffassung des Bundesgerichtshofs erfolgen?

Astrid Tomczak: Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass die Patient*innenaufklärung zwingend mündlich erfolgen muss. Schriftliche Unterlagen dürfen nur als Ergänzung dienen, beispielsweise zur Wiederholung des Gesagten oder zur Veranschaulichung mit Bildern. Es reicht also nicht aus, der Patientin bzw. dem Patienten lediglich einen Aufklärungsbogen auszuhändigen und ihn unterschreiben zu lassen. Vielmehr muss ein persönliches Gespräch stattfinden, in dem die Risiken und Chancen der Behandlung erörtert werden und Patient*innen die Möglichkeit haben, Verständnisfragen etc. zu stellen. Dabei müssen auch schwerwiegende und seltene Risiken angesprochen werden, sofern sie für die Entscheidung der Patient*innen relevant sind. Das Erfordernis einer mündlichen Aufklärung ist zwar bereits im Gesetz geregelt (vgl. § 630e Abs. 2 BGB) wurde nun aber durch die Karlsruher Richter weiter konkretisiert. Im zugrunde liegenden Rechtsstreit stützte sich der klagende Patient auf einen Aufklärungsfehler, den der BGH auch als solchen erkannte. Der aufklärende Arzt hatte es unterlassen, den kompletten Aufklärungsbogen mündlich durchzugehen und sich damit nicht ausreichend versichert, dass dem Patienten alle Implikationen der geplanten Behandlung verständlich und bewusst waren. Während die Vorinstanzen (OLG Frankfurt/ LG Darmstadt) der Ansicht waren, dass es wegen der „angemessenen Kombination zwischen Aufklärungsbogen und persönlichem Gespräch“ nicht notwendig sei, den gesamten Inhalt des Aufklärungsbogens im mündlichen Gespräch zu wiederholen, erkannte dies der BGH als rechtsfehlerhaft an.

DISKURS Dermatologie: Welche rechtliche Bedeutung haben beim Aufklärungsgespräch ausgehändigte Unterlagen?

Astrid Tomczak: Schriftliche Unterlagen sind nur als ergänzende Information zulässig und dürfen die mündliche Aufklärung nicht ersetzen. Der BGH hat entschieden, dass der für eine selbstbestimmte Entscheidung notwendige Inhalt immer mündlich vermittelt werden muss. Ein Aufklärungsbogen kann zwar unterstützend wirken, beispielsweise um Patient*innen die Möglichkeit zu geben, das Gespräch nachzuvollziehen oder sich später noch einmal mit den Risiken auseinanderzusetzen. Er kann jedoch nicht als alleinige Grundlage der Aufklärung dienen. Ärzt*innen dürfen sich daher nicht auf die bloße Aushändigung eines Formulars berufen.

DISKURS Dermatologie: Welche Schlüsse lassen sich für die tägliche Aufklärungspraxis der Ärzt*innen ziehen?

Astrid Tomczak: Für die Praxis bedeutet das Urteil des BGH, dass Ärzt*innen ihre Aufklärungsgespräche noch sorgfältiger dokumentieren und sicherstellen müssen, dass alle relevanten Risiken mündlich besprochen wurden. Die Patient*innen müssen ausreichend Gelegenheit haben, Fragen zu stellen und ihre Bedenken zu äußern. Besonders wichtig ist, dass seltene, aber gravierende Risiken explizit erwähnt werden, damit Patient*innen eine fundierte Entscheidung treffen können. Eine reine Verweisung auf schriftliche Unterlagen reicht nicht aus.

DISKURS Dermatologie: Worauf ist in Zukunft bei Aufklärungsgesprächen mit Patient*innen verstärkt zu achten?

Astrid Tomczak: Ärzt*innen sollten sicherstellen, dass das Aufklärungsgespräch individuell auf Patient*innen zugeschnitten ist. Dies bedeutet, dass Ärzt*innen prüfen müssen, ob die Patientin bzw. der Patient die Aufklärung verstanden hat, ob es Rückfragen gibt und ob möglicherweise Unsicherheiten bestehen. Die Dokumentation dieser Gespräche wird immer wichtiger, um im Streitfall nachweisen zu können, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung erfolgt ist. Zudem sollten Ärzt*innen vermeiden, sich ausschließlich auf standardisierte Formulare zu verlassen, sondern aktiv das Gespräch mit den Patient*innen suchen und die schriftlichen Unterlagen deutlich sichtbar auf den Einzelfall anpassen.

DISKURS Dermatologie: Welchen Aspekt der Aufklärung hat der BGH in seinem Urteil aus 2022 aufgegriffen?

Astrid Tomczak: Hier ging es um die mögliche Einhaltung einer „Sperrfrist“ zwischen Aufklärung und Einwilligung vor einer Behandlung. Der Gedanke von § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB greift die bisherige Rechtsprechung auf, wonach Patient*innen vor einem geplanten Eingriff so frühzeitig aufgeklärt werden müssen, dass sie die Gründe für und gegen den Eingriff sorgfältig abwägen und auf dieser Grundlage ihre Entscheidung frei und selbstbestimmt treffen können. Der BGH hat hier klargestellt, dass die Regelung keine bestimmte Wartezeit zwischen der Aufklärung und der Einwilligung vorsieht, deren Nichteinhaltung die Einwilligung unwirksam machen würde. Es gibt also keine Vorgabe, dass zwischen der Aufklärung und der Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen muss.

Zu welchem Zeitpunkt die Patient*innen nach einer ordnungsgemäßen und rechtzeitigen Aufklärung ihre Entscheidungen treffen – sei es für oder gegen die Einwilligung –, bleibt ihnen selbst überlassen. Fühlen sie sich direkt nach dem Aufklärungsgespräch in der Lage, eine wohlüberlegte Entscheidung zu treffen, steht es ihnen frei, ihre Einwilligung sofort zu erteilen. Benötigen sie jedoch noch Bedenkzeit, wird grundsätzlich erwartet, dass sie dies der Ärztin bzw. dem Arzt mitteilen und zunächst von einer Einwilligung – etwa unmittelbar nach dem Gespräch – absehen. Eine andere Bewertung ist nur dann geboten, wenn für Ärzt*innen erkennbar ist, dass die jeweilige Patientin bzw. der jeweilige Patient noch mehr Zeit für eine Entscheidung braucht, sofern dies medizinisch vertretbar ist.

Die Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff ist zudem kein Rechtsgeschäft, sondern stellt eine Erlaubnis oder Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen dar, die in die Rechtsposition von Patient*innen eingreifen. Die Einwilligung kann sich dabei auch stillschweigend aus dem Verhalten und den Umständen ergeben.

DISKURS Dermatologie: Sehr geehrte Frau Tomczak, vielen Dank für das Gespräch!