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Nicht-melanozytärer Hautkrebs: SteigendeFallzahlen und eine neue Therapieoption

A. Müller

Im Rahmen der diesjährigen 28. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie (FOBI 2022) in München referierten Prof. Carola Berking aus Erlangen und Prof. Eggert Stockfleth aus Bochum über aktuelle Entwicklungen und Leitlinien zu Aktinischen Keratosen sowie deren effektive topische Behandlung mit dem neuartigen Mitosehemmer Tirbanibulin.

„Bestehende klinische und histologische Systeme wie die Klassifikation nach Olsen, die histopathologische Graduierung nach KIN 1–3 sowie das Zählen von Läsionen sind prognostisch nicht valide und damit im klinischen Alltag entbehrlich“, zitierte Prof. Berking einleitend aus der AWMF S3-Leitlinie „Aktinische Keratose und Plattenepithelkarzinom der Haut“, die zur Zeit aktualisiert wird. Die Leitlinie gibt laut Berking Auskunft über den natürlichen Krankheitsverlauf Aktinischer Keratosen (AK), deren spontane Remissionsraten bei 15-63% liegen. Eine Verbesserung der standardisierten Befunderhebung für AK könne durch integrierende Scores wie die AK-FAS (Actinic Keratosis Field Assessment Scale) und den AKASI (Actinic Keratosis Area and Severity Index) erreicht werden. Bei der zunehmend größer werdenden Gruppe immunsupprimierter Patient*innen liege die Läsions-spezifische Abheilungsrate bei 0%, wie in einem aktuellen systematischen Review (Sci Rep. 2022 Apr 7;12(1):5884) gezeigt werden konnte.

Erhöhtes Risiko für AK-Patient*innen

Das Risiko zur Entwicklung einer AK in ein kutanes Plattenepithelkarzinom (kPEK) veranschaulichte Berking mittels einer longitudinalen Kohortenstudie (JAMA Dermatol. 2021 May 1;157(5):559-565): In einem Beobachtungszeitraum von 10 Jahren stieg das Risiko für AK- Patient*innen, ein kPEK zu entwickeln, jährlich um 1,92%. Eine erhöhte Anzahl von AK-Läsionen, höheres Lebensalter, heller Hauttyp, die vorangegangene Diagnose eines Basalzellkarzinoms (BZK) sowie männliches Geschlecht wurden in der Studie als Risikofaktoren identifiziert. Analog dazu heißt es zur Therapieindikation von AK in der S3-Leitlinie: „Die Indikation zur Therapie von AK sollte in Zusammenschau des klinischen Bildes, der Risikofaktoren (z.B. Immunsuppression, kumulative UV-Exposition, Anzahl der Läsionen), Komorbiditäten, Lebenserwartung und des Patientenwunsches gestellt werden.“

Steigende Inzidenzraten

Berking machte auch auf die steigenden Inzidenzraten verschiedener Formen von Hautkrebs aufmerksam: In einer im letzten Jahr publizierten Studie (Eur J Cancer 2021;152:18-25) zu Langzeittrends bei Hauttumoren beschreiben die Autor*innen die zwischen 1970 und 2017 jährlich gestiegenen Inzidenzraten bei kPEK sowie BZK: Im Saarland etwa kam es zu einem Anstieg um 5,5 % bei Männern und um 5,7 % bei Frauen.

Berking wies zu Ende ihres Vortrages auf das Infoportal Hautkrebs (www. infoportal-hautkrebs.de) hin, ein Leuchtturmprojekt der Nationalen Versorgungskonferenz Hautkrebs e.V.; die NVKH ist ein Verein, der sich für die Umsetzung der Ziele des Nationalen Krebsplans und damit für eine bessere Versorgung von Hautkrebspatienten in Deutschland einsetzt. Das Webportal hat sich zum Ziel gesetzt, aktuelle, geprüfte Informationen zeitnah und niedrigschwellig zur Verfügung zu stellen.

Neuartiger topischer Mitosehemmer

„Momentan behandeln wir lediglich etwa 35% aller AK. Die allermeisten Patienten sehen wir nicht. Das ist für mich auch einer der Gründe, warum
die Inzidenzen des Plattenepithelkarzinoms und des Basalzellkarzinoms zunehmen“, so Stockfleth. Der Hautkrebsexperte stellte im Folgenden den neuartigen, topisch einsetzbaren Wirkstoff Tirbanulin (Klisyri®) aus der Klasse der Mitosehemmer vor. Der Tubulin-Polymeraseinhibitor induziert nach Ausführung Stockfleths die Unterbrechung des SRC- Tyrokinase-Signalwegs, welcher in AK und kPEK hochreguliert ist, und führe zur Apoptose.

Die Ergebnisse von zwei Phase- III-Studien (Blauvelt et al. N Engl J Med 2021 Feb 11;384(6):512-520) führten zur Zulassung des Tubulin- Polymeraseinhibitors. Anhand dieser Studien mit 702 teilnehmenden Patient*innen konnte gezeigt werden, dass eine einmal tägliche Anwendung der Tirbanibulin-Salbe 1% an lediglich fünf aufeinanderfolgenden Tagen bei Erwachsenen mit AK im Gesicht oder auf der Kopfhaut eine effektive Wirkung zeigt.

Abb. 1: Wirksamkeit von Tirbanibulin bei der Reduktion der Anzahl aktinischer Läsionen im Zeitverlauf bis Tag 57 (Intention-To-Treat-Population).

Kurzzeitige Anwendung

Das Primärziel der Zulassungsstudien war der prozentuale Anteil der Patient*innen, bei denen die Anzahl der Läsionen im Anwendungsgebiet an Tag 57 vollständig (100%) abgeheilt war: Dazu trugen die Patient*innen die Salbe 1x täglich an 5 aufeinanderfolgenden Tagen auf eine 25 cm2 große Fläche mit 4 bis 8 Läsionen auf. In Studie 1 kam es bei 44% der Patient*innen (77 von 175) der Verum-Gruppe und bei 5% der Patient*innen (8 von 176) in der Vehikel-Gruppe zur vollständigen Clearance; in Studie 2 lagen die Ab- heilungsraten bei 54% (97 von 178) der Patient*innen der Verum-Gruppe und bei 13% (22 von 173) der Patient*innen der Vehikel-Gruppe. In den Tirbanibulin-Gruppen war auch der Anteil der Patient*innen, bei denen es zu einer partiellen Clearance (≥ 75%) kam, laut den Stu- diendaten deutlich höher als in den Vergleichsgruppen; außerdem wurde die Reduktion der durchschnittlichen Anzahl der AK-Läsionen dokumen- tiert (vgl. Abb. 1).

Geringes Nebenwirkungsprofil

Stockfleth bewertete die Verträglichkeit aufgrund der Daten aus den beiden Zulassungsstudien als gut, da die Anwendung von Tirbanibulin-Salbe 1% in der Regel lediglich zu zeitlich begrenzten, leichten bis moderaten lokalen Hautreaktionen wie Schuppung und Rötung führt. Die mittleren zusammengesetzten Werte für die LSR (local skin reactions) waren laut Stockfleth insgesamt niedrig: Sie waren an Tag 8 am höchsten und klangen bis Tag 29 ab. Es sind bislang keine systemischen Nebenwirkungen bei sach- gemäßer topischer Anwendung der Tirbanibulin-Salbe bekannt. Die Daten zur Nachbeobachtung nach 1 Jahr, die ebenfalls aus den Zulassungsstudien stammen, fasste der Hautkrebsexperte folgendermaßen zusammen:

• Von den 174 Patient*innen, die Tirbanibulin-Salbe erhielten und eine vollständige (100%) Clearance an Tag 57 erreichten, entwickelten 124 Patient*innen während der Nachbeobachtung ≥ 1 Läsion im Anwendungs- bereich.

• Von diesen 124 Patient*innen hatten 72 (58%) rezidivierende AK-Läsionen und 52% hatten neue Läsionen, die bei Baseline noch nicht vorhanden waren.

• Nach 1 Jahr betrug die Kaplan-Meyer-Schätzung des Prozentsatzes der Patient*innen mit rezidivierenden Läsionen 47% und die Schätzung des Prozent- satzes der Patient*innen mit rezidivierenden oder neuen Läsionen innerhalb des Anwendungsbereichs 73%.

• Die Schätzung einer anhaltenden vollständigen Clearance betrug 27%.

Mit freundlicher Unterstützung der Almirall Hermal GmbH