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Prurigo nodularis – wenn quälender Juckreiz das Leben bestimmt

„Beim Thema chronischer Pruritus gibt es nach wie vor viele Wissenslücken – auch bei Ärztinnen und Ärzten“, erklärte Prof. Dr. Sonja Ständer (Münster) bei einer Fachpressekonferenz zum Thema Prurigo nodularis, auch bekannt als chronisch noduläre Prurigo. Ständer, die seit über 20 Jahren zum Thema Pruritus forscht und das Kompetenzzentrum chronischer Pruritus am Uniklinikum Münster leitet, begrüßt die vermehrte Aufmerksamkeit: „Die Erkrankung ist mit einer hohen Krankheitslast verbunden, außerdem gibt es bisher keine effektiven Behandlungsmöglichkeiten. Bei Prurigo nodularis besteht deshalb ein hoher medizinischer Bedarf. Ich freue mich daher, dass die Forschung in diesem Bereich in den vergangenen Jahren an Fahrt aufgenommen hat und dass derzeit moderne Wirkstoffe in klinischen Studien untersucht werden.“

Prurigo nodularis – erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität

Prurigo nodularis ist eine chronische, progressive, entzündliche Hauterkrankung [1], deren geschätzte Prävalenz in Deutschland bei 100 von 100.000 liegt. [2] Betroffen sind vorwiegend Menschen mittleren bis höheren Alters. [3] Leitsymptome der Prurigo nodularis sind ein starker chronischer Pruritus (Dauer ≥ 6 Wochen) sowie knotige Läsionen, die unterschiedlich groß sind und in ihrer Anzahl stark variieren können. Durch wiederholtes intensives Kratzen kann es zu Exkoriationen und zur Narbenbildung kommen. [4-7] Die Symptome können sich durch Hitze, Schweiß und Hautreizungen verschlimmern. [8,9]

„Es war nicht nur ein Jucken, sondern richtig schmerzhaft. Ich war zu überhaupt nichts mehr fähig. Man reißt sich zwar furchtbar zusammen, aber am normalen Leben teilnehmen, das hat bei mir nicht mehr stattgefunden, weil ich nur noch traurig war und unglücklich und verzweifelt“, schildert die von Prurigo nodularis betroffene Patientin Simone ihre Situation in einem Video. „Prurigo nodularis führt bei den Betroffenen zu einer hohen Belastung in multiplen Dimensionen“, so Ständer. Der anhaltende Pruritus, der mit Empfindungen wie Stechen, Kribbeln, Brennen und Schmerzen einhergeht, kann sich negativ auf das körperliche, mentale und emotionale Wohlbefinden von Betroffenen auswirken. [10,11] Auch der Schlaf kann durch den ständigen Pruritus erheblich gestört sein. [12] Eine Querschnittsstudie über elf europäische Länder zeigte, dass der Pruritus die größte Belastung für Menschen mit chronisch nodulärer Prurigo darstellt, gefolgt von der Sichtbarkeit der Läsionen und Blutungen der aufgekratzten Haut. [8]

Ständer hob hervor, dass es Unterschiede zwischen den verschiedenen mit Pruritus verbundenen Erkrankungen gebe: „Patient*innen mit chronischer Prurigo haben eine höhere Pruritusintensität, eine längere Pruritusdauer sowie eine stärkere Einschränkung ihrer Lebensqualität als Patient*innen mit chronischem Pruritus auf nichtläsionaler Haut.“ [12]

Die Pathogenese – ein komplexes Geschehen

Die zugrunde liegenden Ursachen der Prurigo nodularis sind bisher nicht vollständig geklärt. Man geht davon aus, dass unterschiedliche Faktoren im Rahmen eines komplexen Wechselspiels zwischen Haut, Immun- und Nervensystem eine Rolle spielen und zu chronischem Pruritus und Entzündungen beitragen. [10,11,13-17] Ein relevanter Aspekt dabei ist die Typ-2-Inflammation, die mit einer überaktiven Immunreaktion einhergeht. [13,18,19] So lassen sich in Hautbiopsien typische Marker dieses Entzündungstyps – zum Beispiel eine beträchtliche Infiltration an Eosinophilen und ein erhöhter Spiegel von Serum IgE – nachweisen. [3] „Aber auch das Nervengewebe ist beteiligt: Es kommt zur Hypoinnervation, was die an eine Neuropathie erinnernden Symptome wie Schmerzen und Brennen erklärt“, so Ständer.

Bei der Typ-2-Inflammation stehen neben anderen die Interleukine (IL)-4 und IL-13 im Zentrum des Geschehens. [20] Diese vermitteln dabei unter anderem die konstante Aktivierung des neuronalen IL-4- Rezeptors Alpha und des JAK(Januskinase)-1-Signalwegs und führen so zur neuronalen Sensibilisierung und zu chronischem Pruritus. [11,21] Zudem induzieren Typ-2-Zytokine wie IL-4 und IL-13 die Produktion von Periostin, einem matrizellulären Protein, das eine pathogene Rolle bei chronischer allergischer Entzündung und Hautfibrose spielt. [22]

Therapieziele: Prurituslinderung für Patient*innen am wichtigsten

Aktuelle Daten von Pereira et al. zeigen, dass die drei wichtigsten von Patient*innen genannten Therapieziele ein Rückgang des Pruritus,
eine Abheilung der Läsionen sowie eine Verbesserung des Schlafes sind. [23] „Doch mit den bisher verfügbaren Therapieoptionen erreichen nur fünf Prozent der Patient*innen diese Ziele“ [23], resümierte Ständer und verdeutlichte so den hohen ungedeckten medizinischen Bedarf hinsichtlich effektiver Behandlungsmethoden bei Prurigo nodularis.

Was sagt die Leitlinie?

Das im März 2022 erschienene Update zur Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von chronischem Pruritus (Ständer et. al.), welche auch die chronische Prurigo beinhaltet, sieht zunächst topische Optionen wie Steroide oder Calcineurininhibitoren vor. Eine UV-Therapie gilt als erste Wahl für die systemische Therapie. Halten die Symptome darunter weiter an, wird die Gabe von Gabapentin bzw. Pregabalin empfohlen, außerdem kann die Therapie der Leitlinie zufolge auf Immunsuppressiva wie Ciclosporin, Methotrexat und Azathioprin ausgeweitet werden. Diese haben jedoch keine Zulassung in dieser Indikation. Die Relevanz der Typ-2-Inflammation im Pathomechanismus der Prurigo nodularis findet auch in der Leitlinie Beachtung, denn als vierte Wahl wird hier die gezielte Blockade von IL-4- und IL-13 als systemische Behandlungsoption aufgeführt. Das dafür vorgesehene Biologikum hat bislang jedoch ebenfalls keine Zulassung für die Behandlung der Prurigo nodularis. [24] So besteht weiter der Bedarf an neuen zugelassenen Therapieoptionen, um die Lebensqualität der Patient*innen zukünftig verbessern zu können.

Quelle: Pressefrühstück: „Prurigo nodularis – wenn unerträglicher Juckreiz das Leben bestimmt“ im Rahmen der 28. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie; Veranstalter: Sanofi

Literatur

1. Zeidler C et al. Acta Derm Venereol 2018; 98(2): 173-179
2. Ständer S et al. Acta Derm Venereol 2020; 100: adv00309
3. Hughes JM et al. Medicines 2020; 7.pii: e4
4. Pereira MP et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2018;32(7): 1059-106
5. Zeidler C et al. Dermatol Clin 2018; 36: 189-197
6. Kwon CD et al. Medicines 2019; 6(4): 97
7. Huang AH et al. J Am Acad Dermatol 2020; 83(6):1559-1565
8. Pereira MP et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2020;34: 2373-2383
9. Iking A et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2013; 27(5):550-557
10. Mack M et al. Trends Immunol 2018; 39(12): 980-991
11. Oetjen LK et al. Cell 2017; 171(1): 217-228
12. Zeidler C et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2021;35 :738-743
13. Kowalski EH et al. Clin Cosmet Investig Dermatol 2019; 12: 163-172
14. Iking A et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2013; 27: 550-557
15. Williams KA et al. Exp Rev Clin Pharmacol 2021; 14(1): 67-77
16. Boozalis E et al. J Am Acad Dermatol 2018; 79(4): 714-719.e3
17. Steinke S et al. J Am Acad Dermatol 2018; 79(3): 457-463
18. Ständer S et al. Acta DermVenerol 2015; 95(3): 266-71
19. Fukushi S et al. Br J Dermatol 2011; 165(5): 990-996
20. Moniaga CS Diagnostics (Basel)2021; 11: 2090
21. Wang F, Kim BS. Immunity 2020; 52: 753-766
22. Yamaguchi Y. AllergolInt 2014; 63(2): 161-170
23. Pereira MP et al. Acta Derm Venereol 2021;101(2):adv00403
24. S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus, AWMF-Registernummer 013-048