Von Nähe & Distanz
Interview mit Astrid Tomczak (München)
Die Zusammenarbeit zwischen Industrie, Händler*innen und Ärzt*innen ist im Markt der Ästhetischen Medizin von jeher durch einen hohen Vernetzungsgrad geprägt. Und auch das Ärzt*innen-Patient*innen-Verhältnis dürfte von der Mehrzahl der Behandler*innen als besonders vertrauensvoll und eng bezeichnet werden. Produkte, Kongresse, Behandlungen, gemeinsame Workshops und Veranstaltungen verbinden die Marktakteure miteinander. Das ist zum einen positiv, weil diese Nähe einen schnellen Austausch, direktes Feedback, Weiterentwicklung und Vertrauen mit sich bringt. Auf der anderen Seite kommt es immer wieder zu Grenzüberschreitungen unterschiedlicher Qualität, die nicht nur persönlich, sondern auch rechtlich unangenehm werden können. Zu guter Letzt und bei aller Nähe wollen sich gerade Praxen im Wettbewerb um Patient*innen auch gerne voneinander abheben. Welche Maßnahmen hier sinnvoll sind und was lieber unterlassen werden sollte, war ebenfalls Thema unseres aktuellen Interviews mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht).
DISKURS Dermatologie: Frau Tomczak, wie sehen Sie die Entwicklungen im Markt der Ästhetischen Medizin, wenn es um das Thema Kooperationen und Netzwerk geht?
Astrid Tomczak: Ich glaube, dass es für Ärzt*innen und die Industrie wichtiger denn je ist, den Schulterschluss zu suchen. Der Markt für Ästhetische Medizin ist innovationsgetrieben und damit in gewisser Weise auch kurzlebig. Was heute als Goldstandard in Behandlungstechniken, Produkten oder Kombinationsanwendungen gilt, kann sich morgen oder übermorgen schon als „Alter Hut“ entpuppen. Um hier auf dem Laufenden zu sein und zu bleiben, ist der Austausch zwischen Anwender*innen und Herstellern oder Händlern von enormer Bedeutung.
Die Marktdynamik hat durch Fusionen und Aufkäufe in den letzten Jahren einige sehr große Anbieter generiert, die naturgemäß einen ebenso großen Einfluss auf das Marktgeschehen nehmen. Häufig sind es aber trotzdem kleine und damit relativ unbekannte Unternehmen, die mit einer Innovation aufwarten. Das Marketing dieser Newcomer ist, zumindest zu Beginn, in aller Regel nicht so durchschlagend, dass viele Anwender*innen erreicht bzw. überzeugt werden können. Umso wichtiger ist der Austausch auch unter den Ärzt*innen, die sich das Thema Ästhetik auf die Fahne geschrieben haben. So sprechen sich bemerkenswerte Neuerungen, egal ob Produkt oder Technik, über Mund- zu-Mund-Propaganda meist schnell in der Branche herum. Teil eines solchen Ärzt*innen-Netzwerks mit gleichgesinnten Kolleg*innen zu sein, ist für mich ein wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen Wachstumsstrategie für jede Ästhetikpraxis. Es muss nicht gleich der Nachbar von nebenan sein, wenn man hier Bedenken bezüglich Konkurrenz und Ideenklau hat. Die versierten Kolleg*innen, die 100 km oder mehr entfernt ihre Praxis führen, können selbstverständlich genauso wertvoll sein.
DISKURS Dermatologie: Das hört sich sinnvoll an. Welche Bedenken haben Sie in diesem Zusammenhang?
Astrid Tomczak: Kooperation bedeutet für mich persönlich eine ausgewogene, für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit. Diese sollte den Beteiligten Raum lassen, um eigene Entscheidungen zu treffen, die vom Kooperationspartner als solche respektiert werden. Vor nicht allzu langer Zeit, und das ist kein Einzelfall, hat sich ein junger Arzt zu diesem Thema an mich gewandt. Er war als Referent für einen Anbieter von Fillermaterialien tätig und führte als solcher regelmäßig Hands-on-Workshops mit guter Teilnehmerresonanz für die Firma durch. Bei einem Besuch des Außendienstes in der Praxis wurde die Kooperation Knall auf Fall beendet. Die Begründung lautete, dass der Arzt neben den Materialien seines Auftraggebers auch noch andere Fillerprodukte von Fremdfirmen einsetzte. Ein solches (Fehl)-Verhalten könne man firmenseitig nicht akzeptieren. Von Referenten werde erwartet, dass sie ausschließlich das Produktportfolio des Auftraggebers nutzten. Dies sei eine Frage der Glaubwürdigkeit.
Für mich ist es dagegen eine Frage der heilkundlichen Unabhängigkeit, die Ärzt*innen in jedem Fall wahren sollten. Nicht umsonst gilt der berufsrechtliche Grundsatz, dass die Indikation entscheidet, welches Produkt mit dem voraussichtlich größten Nutzen für die Patientin oder den Patienten zum Einsatz kommt, und nicht die Industrie. Der Arztberuf an sich ist kein kommerzieller Beruf, der sich auf die Erlaubnis zur Produktanwendung beschränkt. Auch wenn es in der Ästhetischen Medizin nicht um die Heilung von Krankheiten und Leiden geht, unterfällt ihre Ausübung doch der Heilkunde und damit den dort geltenden Grundsätzen. Ein „entweder oder“ – wie im Beispiel dargestellt – darf es daher nicht geben, wenn Ärzt*innen sich ihrer berufsrechtlichen Verpflichtungen gewahr sind. Es mag sein, dass die Filler von Firma X in 90% der Fälle die passenden Produkte sind. Für die restlichen 10% muss es aber ohne Repressalien möglich sein, auch Produkte anderer Anbieter anzuwenden.
Nicht zuletzt aus solchen, auch strafrechtlich relevanten Vorfällen hat der Gesetzgeber 2016 das Antikorruptionsrecht für das Gesundheitswesen etabliert. Ziel ist es, Bezugsentscheidungen von Angehörigen des Gesundheitswesens unabhängig von anderen Vorteilen zu gestalten. Im genannten Fall soll also der Fillerprodukteinkauf des Referenten unabhängig von seiner Referententätigkeit abgewickelt werden. Das eine darf nicht Voraussetzung für das andere sein.
Unabhängig von berufs- oder strafrechtlichen Schranken wäre es nach meiner Ansicht auch eine Frage der Glaubwürdigkeit des Referenten. Wer kann ernsthaft behaupten, ein Anbieter hätte Produkte für alle medizinisch-ästhetischen Fragestellungen in seinem Portfolio? Würde das die Teilnehmer*innen des Workshops überzeugen? Es ist doch die Kenntnis der Produktbandbreite am Markt, die Fähigkeit, das Für und Wider verschiedener Methoden und Marken gegeneinander abzuwägen, die einen guten Workshopleiter ausmachen.
DISKURS Dermatologie: Diese Grenzüberschreitungen gibt es aber nicht nur von Seiten der Industrie. Welche Erfahrungen gibt es mit Patient*innen?
Astrid Tomczak: Spätestens seit Dr. Google und den einschlägigen Informationen aus Frauenmagazinen und TV-Sendungen rund um ästhetische Behandlungen, fühlen sich einige Patient*innen in punkto Sachkenntnis auf gleicher Höhe mit den Ärzt*innen. Diese Einstellung ist nicht unbedenklich. Sie kann dazu führen, dass medizinische Ratschläge der behandelnden Ärztin bzw. des behandelnden Arztes nicht ernstgenommen oder geflissentlich überhört werden. Sie kann aber auch dazu führen, dass Ärzt*innen sich blenden lassen und die vor der Behandlung notwendige Aufklärung und Einwilligung auf die leichte Schulter nehmen. In dem Gefühl, jemanden vor sich zu haben, die/der „eh schon alles weiß“, erfolgt das Aufklärungsgespräch und die Dokumentation vielleicht nicht in der Breite und Tiefe wie sonst. Dies kann im Falle von Nebenwirkungen oder Ergebnissen, die nicht den Vorstellungen der Patientin bzw. des Patienten entsprechen, zu unnötigen Problemen führen. Eine Aufklärung nach Vorstellung der obersten deutschen Gerichte ist nur dann gründlich erfolgt, wenn der Bogen entsprechend mit Markierungen und Anmerkungen bearbeitet und auf die Merkmale und Wünsche der Patientin bzw. des Patienten hin individualisiert wurde. Ein Bogen, der lediglich Kreuzchen und Unterschriften ziert, ist dagegen nicht gerichtsfest. In der Konsequenz gilt es daher, besonders bei den scheinbar gut vorinformierten Patient*innen auf die Einhaltung der Formalien zu achten.
Gute Neuigkeiten gibt es dagegen bzgl. der rechtlichen Dimension der Wartezeit zwischen Aufklärung und Behandlung. Der Bundesgerichtshof hat in einer im Februar dieses Jahres veröffentlichten Entscheidung seine Rechtsprechung zum Thema Bedenkzeit konkretisiert (BGH, Urt. v. 20.12.2022, VI ZR 375/21). Danach ist es Sache der Patient*innen, nach der Aufklärung über den passenden Zeitpunkt des Eingriffs zu entscheiden. Es müsse keine zwingende Bedenkzeit eingehalten werden, so das Karlsruher Gericht. Eine Patientin bzw. ein Patient könne auch sofort nach der erfolgten Aufklärung durch die Ärztin oder den Arzt entscheiden, eine Behandlung vornehmen zu lassen.
Diese Rechtsprechung bildet die tägliche Realität in ästhetischen Praxen ab, denn Patient*innen kommen in aller Regel mit dem Wunsch nach sofortiger Behandlung in die Praxis. Wer sich für den Fall einer späteren gerichtlichen Auseinandersetzung wappnen will, kann natürlich trotzdem einen entsprechenden handschriftlichen Vermerk auf den Aufklärungsbogen setzen. Dieser kann nochmals ausdrücklich den Verzicht auf eine weitere Bedenkzeit, den Wunsch nach sofortiger Behandlung und die Patient*innenunterschrift mit Uhrzeit und Datum beinhalten.
DISKURS Dermatologie: Bei aller Kooperation gibt es aber doch auch die Notwendigkeit, die eigene Praxis ins rechte Licht zu setzen. Was tut sich Neues im Wettbewerbsrecht?
Astrid Tomczak: Hier gibt es tatsächlich ein sehr interessantes Urteil vom Landgericht München I (Urteil vom 13.02.2023 – 4 HKO 14545/21). Auf Betreiben der Wettbewerbszentrale wurde das Gütesiegel des Magazins Focus Gesundheit von den Richtern auf seine wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit überprüft. Das Siegel ist auch bei vielen Ärzt*innen in der Ästhetischen Medizin ein beliebtes Werbetool, um die Kompetenz der eigenen Praxis zu unterstreichen. Die Richter sahen das jedoch anders. Bei Patient*innen, die der Empfehlung des Focus-Gütesiegels „TOP-Mediziner“ oder „Focus-Empfehlung“ folgen, würde der Eindruck einer neutralen und sachgerechten Prüfung vor der Auszeichnung erweckt werden. Sie würden daher davon ausgehen, dass so ausgezeichnete Ärzt*innen eine Spitzenstellung unter den Ärzt*innen gleicher Fachdisziplin einnehmen. Dass die Siegel hingegen durch die Bezahlung von € 2.000 erworben werden können, sei nirgendwo erwähnt worden. Damit werteten die Richter das komplette Konzept als wettbewerbswidrig. Wer ein solches Siegel erworben hat, sollte von einer Verwendung absehen.
DISKURS Dermatologie: Sehr geehrte Frau Tomczak, vielen Dank für das Gespräch!