„Die Sicherheit der Behandlung ist für uns das A und O“
Interview mit Dr. med. Tanja Fischer (Potsdam),
Dr. med. Simone Vogel (Potsdam) und Dr. med. Claus Köster (Mannheim)
Die International Society for Aesthetic Competence (ISAC) beschäftigt sich seit vielen Jahren mit ästhetischer Medizin, insbesondere mit deren Nebenwirkungen. Ein wichtiger Aspekt ist das Nebenwirkungsregister, bei dem sich Patient*innen und Ärzt*innen melden können. Bei auftretenden Nebenwirkungen Rat zu geben, ist eine zentrale Säule der Gesellschaft. Neben Forschung und Entwicklung werden die Innovationen der Industrie evaluiert und ein Ausbildungsprogramm mit einem Trainerpool von über 100 Experten implementiert. Im Interview erläutern ISAC-Präsidentin Dr. med. Tanja Fischer, ISAC-Vizepräsidentin Dr. med. Simone Vogel und ISAC-Mitglied Dr. med. Claus Köster die Zielsetzungen der Gesellschaft.
Vielleicht könnten Sie unseren Leser*innen zunächst kurz die „Basics“ umreißen: seit wann existiert die ISAC und was waren die Beweggründe für deren Gründung?
Dr. Fischer:
Also, die ISAC gibt es seit 14 Jahren. Der ursprüngliche Anlass war, dass ich selber ein Präparat gespritzt habe, angeblich „deutsche Markenqualität“, auflösbare Hyaluronsäure, und plötzlich hat eine Patientin Knoten davon bekommen, sterile Abszesse. Ich habe dann bei Kolleginnen und Kollegen herumtelefoniert, aber keiner konnte mir konkret weiterhelfen und so richtig darüber reden wollte auch niemand. Ich war also in einer Situation, wo ich Hilfe brauchte und keine bekam. Und so fing das Ganze an, dass wir gesagt haben, wir müssen ehrlich sein, wir Ärzte müssen uns austauschen, wir müssen für die Patienten da sein und wir müssen das Richtige tun. So kam es dann zur Gründung der ISAC mit dem Hauptziel, Patienten und Ärzte zu unterstützen, wenn Probleme auftreten. Das hat sich dann immer weiterentwickelt, weil wir dann mehr ins Grundsätzliche gegangen sind und genau wissen wollten: wie risikobehaftet sind die Treatments eigentlich wirklich? Welche Nebenwirkungen gibt es überhaupt, und wie häufig sind diese? Und nicht zuletzt wollten wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir Ärzte plötzlich in diesem boomenden Markt auch noch die ganzen Nebenwirkungen beheben müssen, die bei Behandlungen durch Nicht-Mediziner auftreten. Um all das zu strukturieren und systematisieren, haben wir uns in der ISAC zusammengeschlossen.
Dr. Köster:
Lassen Sie mich die angesprochene Nebenwirkungsproblematik einmal mit einem Vergleich beschreiben: jeder angehende Pilot muss im Vorfeld intensiv trainieren, muss immer und immer wieder im Simulator alle möglichen Situationen, die während Start, Flug und Landung auftreten können, komplett durchspielen – und erst dann darf er irgendwann einmal Passagiere transportieren. Auch wenn das Absturzrisiko äußerst gering ist, muss er im Fall der Fälle sofort wissen, was zu tun ist – und genauso ist es bei jeder ästhetischen Behandlung. Die Hyaluronsäure aber wurde quasi wie ein „ungetestetes Flugzeug“ auf den Markt geworfen, und es hieß am Anfang, es gibt gar keine Nebenwirkungen, das funktioniert alles super, und man ist da auch in gewisser Weise als Behandler naiv an das Thema herangegangen. Mittlerweile weiß man sehr viel mehr, die möglichen Nebenwirkungen haben sich in der Praxis gezeigt und es gibt gute, sichere Interventionsmöglichkeiten.
Warum sollte man Mitglied bei ISAC werden?
Dr. Fischer:
Zum einen geht es darum, im kollegialen Austausch immer auf dem allerneuesten Stand zu bleiben, was auftretende Nebenwirkungen und die verfügbaren Interventionsmöglichkeiten betrifft. Wir alle zusammen haben eben naturgemäß diesbezüglich einen wesentlich größeren Erfahrungspool als jeder einzelne für sich. Durch diesen Austausch haben wir nicht nur das gute Gefühl, im Sinne unserer Patientinnen und Patienten für alle Eventualitäten gewappnet zu sein, wir wissen auch aus unserer extensiven Gutachtertätigkeit, dass Patienten vor allen Dingen dann einen Arzt verklagen, wenn sie das Gefühl haben, dass dieser sich nicht richtig kümmert. Der Richter fragt dann immer, was haben Sie denn getan, um das zu verhindern? Und wenn man dann sagen kann, statt meine Samstage beim Golfen zu verbringen, habe ich mich regelmäßig über diese Problematik mit Kollegen ausgetauscht und stetig weitergebildet, um bestmöglich vorbereitet zu sein und jederzeit fachgerecht eingreifen zu können, ist das eben nicht nur ein professioneller Standard, den man seinem eigenen Berufsethos zuliebe pflegen sollte, sondern auch ein ausgezeichnetes und äußerst hilfreiches Argument, falls es doch einmal zu rechtlichen Streitigkeiten kommen sollte.
Welche Bedeutung hat Sicherheit in der ästhetischen Medizin für Sie, für ISAC, die Ärzt*innen, die Industrie und die Kund*innen?
Und welche Dienstleistungen bietet die Gesellschaft in diesem Kontext Patient*innen und Ärzt*innen an?
Dr. Vogel:
Die Sicherheit der Behandlung ist für uns das A und O–und das auf zwei Ebenen. Einmal Sicherheit insofern, als dass mein Behandler, der Arzt, bei dem ich mich als Patient in Behandlung begebe, so ausgebildet sein soll, dass er weiß, welche im jeweiligen Fall die bestmögliche Injektionstechnik ist mit dem geringsten Komplikations- und Nebenwirkungsrisiko. Für diese optimale Ausbildung steht die ISAC. Wir machen die Notfalltrainings. Wir sprechen darüber, wo Gefahrenzonen sind, wo man wie am besten injizieren kann und wie man dann, falls doch mal eine Komplikation auftritt, das auch sehr schnell erkennt, um schnellstmöglich intervenieren zu können, mit den hierfür jeweils am besten geeigneten Maßnahmen. Und wenn das etablierte Interventionsschema einmal nicht greift und man trotz aller Schulung einmal nicht mehr weiter weiß, dann sind wir eben auch ein großer Zusammenschluss mit Kollegen aus vielen Fachrichtungen, die sich gegenseitig unterstützen.
Das heißt, ich kann mich dann auch schnell und unkompliziert umhören, ob ein anderer Kollege oder eine andere Kollegin diese spezielle Situation schon mal erlebt und was dann letztlich geholfen hat. Oder man kann auf die praktische Expertise seines Netzwerkes zurückgreifen, wenn es z.B. zu einem Granulom kommt, wo man als Behandler gegebenenfalls auch gar nichts dafür kann, weil der Patient vielleicht ein älteres Material, das noch nicht so gut war, noch im Körper hatte, und ein plastischer Chirurg aus der Gesellschaft kann dabei helfen, das operativ bestmöglich für den Patienten zu lösen. Das ist dann quasi die zweite Sicherheitsebene für uns und unsere Patienten, dieses Kompetenz-Netzwerk, das die ISAC eben auch ist.
Hyaluronsäure ist ein häufig verwendetes Produkt in der ästhetischen Medizin, das auch von Heilpraktiker*innen gespritzt werden darf. Warum sehen Ärzt*innen dies kritisch?
Dr. Fischer:
Ja, das können wir. Und zwar sind das z.B. Patienten, die „blaue Flecken“ haben, die keine blauen Flecken sind, weil hinten dran das Gewebe abstirbt. Und dann hat man ein Fenster von circa zwölf Stunden, in dem man unbedingt handeln muss.
Zu Frau Dr. Vogel kam eine Patientin mit einem Gefässverschluss an der Nase, welcher durch Massage noch zur Erblindung hätte führen können. Der Behandler hatte diesen Gefässverschluss jedoch als blauen Fleck abgetan und dementsprechend nicht richtig reagiert. Die Patientin hatte 12 Stunden Schmerzen und mithilfe der Auflösung des injizierten Material war die Gefahr gebannt.
Bietet die ISAC für das Komplikationsmanagement Fortbildungen oder Zertifizierungen an?
Dr. Köster:
Ja, das ist eine unserer wichtigsten Säulen. Alle Mediziner, die zumindest mal einen unserer Kurse besuchen, kennen die großen Risiken und die entsprechenden Interventionsmöglichkeiten. Die Schulungen sind nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, also hands-on.
Können Sie uns Ihr deutschlandweit standardisiertes Kurskonzept I-Secure noch etwas näher erläutern?
Dr. Fischer:
Ja, sehr gern. Das war wirklich ein Herzensanliegen, das wir da etabliert haben. Wir haben ja ein weltweites Board, das ISAC World Board, in dem über 60 Koryphäen aus 25 Nationen vertreten sind. Innerhalb dieses Gremiums haben wir eine ausführliche Umfrage gemacht zu den Komplikationen in der Praxis und wie man damit umgehen sollte. Beispiel vaskulärer Notfall, drei Schritte: Behandlung unterbrechen – das Muster erkennen (Gibt es Schmerzen? Gibt es weitere Symptome?) – Hyaluronidase spritzen, also auflösen. Dieses Schema ist so einfach, dass man es auch in einer Stresssituation wie einer akuten Komplikation nicht vergisst. Ob hinterher noch die Creme bevorzugt wird oder Antibiotika oder Tabletten, das darf man auch gerne individuell machen; aber den initialen weltweiten Konsensus, den sollte man unbedingt einhalten. Leider ist dieser in Deutschland noch nicht ausreichend etabliert, und deshalb haben wir ein entsprechendes Kurskonzept konstruiert. Es besteht aus vier Stunden Theorie, anschließend einer Prüfung und dann noch zwei Stunden praktische Anwendungen und Erfahrungsaustausch. In so einem dezidierten Kontext spricht man dann auch eher mal über einen konkreten Ernstfall und traut sich, Fragen zu stellen. Und das Ganze wird am Ende zertifiziert.
Arbeitet die ISAC auch mit Aufsichtsbehörden zusammen und wie werden Sicherheitsstandards gewährleistet?
Dr. Fischer:
Es ist sehr erfreulich, dass die Ärztekammern unseren standardisierten und zertifizierten Kurs mit Fortbildungspunkten belohnen. Ich denke aber, das sollte nur der Anfang sein; es wäre einfach toll, wenn die Teilnahme für ästhetisch tätige Ärzte einfach zu einer gewissen Selbstverständlichkeit wird.
Welche Rolle spielen staatliche Regulierungen überhaupt in der ästhetischen Medizin?
Dr. Vogel:
Es ist ein Fakt, dass die Behandlung von Nebenwirkungen, die durch Hyaluronsäure-Injektionen hervorgerufen werden, in der Regel nicht von den Krankenkassen abgedeckt werden. Und das ist für die betroffenen Patienten – neben der eigentlichen Nebenwirkung – nochmal ein harter Schlag, weil da dann durchaus mal einige tausend Euro an Zusatzkosten zusammenkommen können.
Dr. Fischer:
Gehen wir vielleicht noch einen Schritt weiter zurück: wer darf spritzen? Und wer sollte eigentlich spritzen dürfen? Ich würde mir an dieser Stelle tatsächlich eine stärkere staatliche Regulierung wünschen. Warum darf ein Heilpraktiker oder eine Kosmetikerin Injektionen durchführen, bei denen es ernsthafte medizinische Komplikationen geben kann? Zumindest sollten die genannten Berufsgruppen verpflichtet sein, einen assoziierten Arzt zu benennen, der im Fall von Komplikationen sofort angerufen werden kann, um zeitnah einzuschreiten. Die Nachsorge einer eventuellen Komplikation sollte ganz klar geregelt sein, damit der Patient schnell die richtige Diagnose und die richtige Hilfe bekommt.
Dürfen Nicht-Mediziner Nebenwirkungen überhaupt medizinisch sinnvoll behandeln?
Dr. Fischer:
Sobald Arzneimittel involviert sind, lautet die Antwort ganz klar nein.
Mit welchen Partnern arbeitet die ISAC zusammen?
Dr. Fischer:
Wir arbeiten im Prinzip mit der ganzen Industrie zusammen, die zertifiziert ist. Wir wollen auch gerne Industriepartner zertifizieren,
die Hyaluronsäuren herstellen, die CE-zertifiziert sind, die einen hohen Standard und einen wissenschaftlichen Background haben.
Gibt es aktuelle Forschungsergebnisse oder Studien, an denen die ISAC beteiligt ist?
Dr. Fischer:
Die ISAC hat in der Tat Forschungsprojekte, zum Beispiel analysieren wir Nebenwirkungen von Hyaluronsäuren im Gewebe. Da sind wir sehr, sehr emsig, weil nur solche Erkenntnisse uns dann letztlich auch in der Praxis weiterbringen.
Dr. Köster:
Ich muss vielleicht ergänzen, dass auch die Wissenschaft hier noch ziemlich am Anfang ist. Wie die Hyaluronsäuren überhaupt immunologisch reagieren. Und das hat mit Sicherheit mehrere Effekte, warum bestimmte funktionieren, manche nicht. Wie die Vernetzungen sind. Das ist dann ein Weg von der Grundlagenforschung bis hin zur relativ anwendungsnahen Forschung Da stecken wir noch am Anfang, aber es ist wichtig, dass man überhaupt mal beginnt, hier standardmäßig Wissenschaft zu betreiben, gerade im Kontext mit den Nebenwirkungen.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft in Bezug auf die Erweiterung Ihres Angebots?
Dr. Vogel:
Wir würden z.B. sehr gerne mit den Unikliniken mehr kooperieren, mehr Ärzte auch dort vor Ort ausbilden. Unser Ziel ist letztendlich, dass auch an kleineren Kliniken, wo aber ein Notdienst vorhanden ist, den Kollegen, die vielleicht überhaupt nichts mit der ästhetischen Medizin zu tun haben, trotzdem bekannt ist, dass es diese Komplikation gibt. Selbst wenn ein Patient sich vorstellt und von sich aus gar nicht auf die Idee kommt, dass seine aktuellen Beschwerden etwas mit einer durchgeführten Injektion zu tun haben könnten, sollte der durch uns fortgebildete Arzt vor Ort diesen Zusammenhang selbst erkennen.
Langfristig ist es unser Traum, ein aussagekräftiges Komplikationsregister aufzubauen, dem alle Kollegen regelmäßig ihre Vorfälle melden, damit wir auch mal eine Übersicht erlangen, wie viele Komplikationen es überhaupt gibt im Verhältnis zu der Anzahl vorgenommener Injektionen.
Wie sehen Sie die zukünftige Rolle der ästhetischen Medizin in der Gesellschaft?
Dr. Köster:
Ich denke, dass diese Rolle tendentiell noch größer werden wird, als sie es ohnehin schon ist. Nehmen Sie nur einmal die Zahnmedizin: reduziert auf das rein medizinisch Notwendige, bleibt da eigentlich recht wenig übrig. Und bei der ästhetischen Dermatologie und Chirurgie steigen die Zahlen auch von Jahr zu Jahr. Dieses Verständnis, dass die Ästhetik längst in der Medizin angekommen ist, wird weiter zunehmen. Und mit einer stetig wachsenden Anzahl von Behandlungen wird es auch eine stetig wachsende Zahl potenzieller Nebenwirkungen geben.
Weitere Informationen zur ISAC:
Quelle: VideoART GmbH