Diabetes und Hormonerkrankungen als Nebenwirkungen einer Krebsimmuntherapie
Checkpoint-Inhibitoren haben die Behandlung von Krebs revolutioniert. Sie aktivieren die Immunabwehr gegen Tumoren, sodass körpereigene Abwehrzellen wieder in die Lage versetzt werden, Krebszellen angreifen zu können. Eingesetzt werden sie unter anderem bei schwarzem Hautkrebs und Nierenzellkrebs, mit oft beachtlichen Erfolgen – aber auch Nebenwirkungen. Denn das aktivierte Immunsystem kann auch gesunde Zellen angreifen.
„In bis zu 40 Prozent der Fälle sind hormonbildende Organe wie Schilddrüse, Hirnanhangsdrüse oder die Nebennieren betroffen“, erklärt Professor Dr. med. Andreas Fritsche, Past-Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Besonders gefährlich sei auch eine selten auftretende Entzündung der Bauchspeicheldrüse, bei der insulinproduzierende Zellen zerstört werden. „Die Folge ist ein insulinpflichtiger Autoimmun-Diabetes, der sogenannte Checkpoint-Inhibitor assoziierte Diabetes mellitus, kurz CIADM“, so der Diabetologe und Ernährungsmediziner an der Universität Tübingen.
Diabetes als lebensbedrohliche Nebenwirkung
CIADM tritt meist innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Immuntherapie auf. Er ähnelt dem klassischen Typ-1-Diabetes, geht aber immer mit einem völligen Insulinmangel einher. Häufig kommt es zu einer sogenannten Ketoazidose, einer gefährlichen Übersäuerung des Blutes. In 40% der Fälle sind Autoantikörper nachweisbar, wie sie auch bei Typ-1-Diabetes vorkommen. „CIADM darf keinesfalls mit einem vorbestehenden Typ-2-Diabetes verwechselt werden“, warnt Fritsche. „Nur eine intensive Insulintherapie mit Schulung und Begleitung kann hier Leben retten.“
Genau wie beim Typ-1-Diabetes erfordert die Behandlung eine so genannte Basal-Bolus-Insulintherapie: Es müssen sowohl das Grundbedürfnis an Insulin als auch die Insulinspitzen zu den Mahlzeiten abgedeckt werden. Diese komplexe Therapieform setzt voraus, dass Betroffene umfassend geschult und engmaschig begleitet werden.
Kliniken brauchen mehr endokrinologisch-diabetologische Kompetenz
Trotz der Schwere der Erkrankung fehlen in Deutschland bislang verlässliche Daten zur Häufigkeit der Checkpoint-Inhibitor-assoziierten endokrinen Nebenwirkungen. Denn es existiert kein zentrales, vollständiges Register zu Zahlen und Behandlungsdetails der mit Checkpoint-Inhibitoren behandelten Patientinnen und Patienten.
Schätzungen zufolge entwickeln bis zu 17% eine potenziell lebensbedrohliche Hypophysitis – Entzündung der Hirnanhangdrüse – und etwa 1-2% der Behandelten einen CIADM. Bei einem angenommenen Behandlungskollektiv von 100.000 Personen würde das 17.000 Personen mit Hypophysitis und 1.000 bis 2.000 Betroffene mit Autoimmun-Diabetes CIDAM bedeuten. Hinzu kommt eine noch größere Zahl an Patient*innen, die Schilddrüsenüber- oder -unterfunktionen entwickeln.
Die DDG und die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) fordern daher, an allen onkologischen Zentren Endokrinologie-/Diabetes-Units einzurichten. Hormonelle Fehlfunktionen – etwa der Schilddrüse, der Nebennieren, der Hirnanhangsdrüse oder des Pankreas – treten auch in Kombination auf. Diese Kombination verschiedener hormoneller Störungen erschwert die Stoffwechselkontrolle und macht eine individuelle, engmaschige Betreuung erforderlich.
Zugang zur richtigen Behandlung kann Leben retten
Wie wichtig spezialisierte Versorgung ist, zeigen aktuelle Auswertungen: Kliniken mit einer Zertifizierung der DDG weisen bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes als Hauptdiagnose eine geringere Krankenhaussterblichkeit auf – und dass, obwohl sie häufig Menschen mit einer höheren Krankheitslast behandeln. Diese Ergebnisse unterstreichen den Nutzen fachlich spezialisierter Versorgungseinheiten.
Quelle: Deutsche Diabetes Gesellschaft e.V., Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e.V.
