Reputationsverlust für 24 Stunden „Ruhm“?
Interview mit Astrid Tomczak, München
Social Media und Online-Werbung haben unbestreitbar einen festen Platz in der Patient*inneninformation und -akquise eingenommen. Gerade Praxen mit Selbstzahlerleistungen und medizinisch-ästhetischen Angeboten kommen an einer Präsenz auf Instagram und Co. nicht mehr vorbei. Die Frage nach dem „Ob“ hat der Markt also längst bejaht, die Frage nach dem „Wie“ ist dagegen nicht so ohne weiteres zu beantworten. Heilmittelwerberecht, Berufsrecht, Strafrecht, Urheberrecht, Datenschutz und viele andere Rechtsbereiche können bei Postings eine Rolle spielen. Denn auch bei Online-Werbemaßnahmen handelt es sich entgegen landläufiger Ansicht nicht um Aktivitäten im rechtsfreien Raum. Damit einher gehen generell auch die Fragen des Images und der Reputation. Wie sollen potenzielle Patient*innen die Ärztin bzw. den Arzt oder die Klinik wahrnehmen und welches Publikum soll angesprochen werden? Was es zu beachten gilt und welche Entwicklungen sich in diesem spannenden Bereich abzeichnen, haben wir mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) im aktuellen Interview diskutiert.
Frau Tomczak, welche Entwicklungen beobachten Sie bei Online-Werbemaßnahmen für ästhetische Behandlungen?
Astrid Tomczak: Zunächst lässt sich festhalten, dass immer mehr Ärzte und Kliniken diese Form von Werbemöglichkeiten für sich entdecken. Neben Facebook und Instagram erlangt dabei auch TikTok zunehmend an Bedeutung. Das ist deshalb interessant, weil diese Plattform zunächst nur ein sehr junges Publikum um die 20 ansprach. Dies ändert sich nun und so wird auch hier vermehrt für medizinisch-ästhetische Behandlungen geworben. Interessant finde ich es gerade in innovativen Bereichen wie der Online-Werbung, Entwicklungen auf dem US-amerikanischen Markt zu beobachten. Hier wird schon lange strategisch und sehr professionell von Ärzten agiert. Das heißt unter anderem, dass spezialisierte Agenturen engagiert und von diesen detaillierte Redaktionspläne gemacht werden, um eine durchgängige Bespielung aller relevanten Kanäle „aus einem Guss“ zu ermöglichen. Sämtliche Plattformen werden miteinander verknüpft und kontinuierlich betreut. Schnelle Reaktionen auf Kommentare und Anfragen von Usern sind sichergestellt. Und es gibt eine Maßgabe, wie mit schlechten Bewertungen oder kritischen Anmerkungen umzugehen ist, um einem möglichen Imageschaden vorzubeugen. Hierzulande kümmert sich der Arzt oft genug noch selbst um die Postings – und das sieht man leider auch manchmal. Der rote Faden fehlt, Bild- und Textsprache sind nicht durchgängig und die Postings kommen zu unregelmäßig. Gute Agenturen sind zudem zumindest mit den rechtlichen Grundlagen vertraut und umgehen so die gröbsten Fehler.
Gibt es auch in den USA rechtliche Diskussionen zu Online-Werbemaßnahmen?
Astrid Tomczak: Die gibt es tatsächlich. Erst vor kurzem wurde durch eine Plastische Chirurgin, die Liposuktionen live über TikTok aus ihrem Operationssaal übertrug, ein kontroverser Austausch losgetreten. Im November 2022 setzte das State Medical Board of Ohio vorübergehend die Lizenz der Ärztin, die in Powell, Columbo praktiziert, aus. Neben anderen Vorwürfen des Fehlverhaltens erklärte das State Medical Board, dass sich die Ärztin während einiger Videos/Live- Streams auf einen Dialog mit ihren Online-Zuschauern eingelassen hatte, um auf deren Fragen zu antworten, während der chirurgische Eingriff aktiv weiterlief.
Ein Patient benötigte nach einer dieser online übertragenen Fettabsaugungen eine Notfallbehandlung. Es wurde ein perforierter Darm und eine schwere bakterielle Infektion diagnostiziert. Das State Medical Board vertrat die Ansicht, dass die Fettabsaugung eine sogenannte „blinde“ Operation sei, die eine kontinuierliche Konzentration auf den Verbleib der Kanülenspitze im Gewebe erfordert. Die Ärztin wäre mit ihrer Aufmerksamkeit bei der Kamera und ihren Zuschauern gewesen und hätte daher weder den Patienten angesehen noch durchgehend die Position der Kanülenspitze ertastet. Offenbar gab es mehrere solcher Komplikationen. Die Ärztin war schon früher verwarnt worden. Damals war sie aufgefordert worden, die Privatsphäre ihrer online behandelten Patienten besser zu schützen.
Nach diesem Vorfall haben sich einige angesehene Plastische Chirurgen geäußert und diese Art von Werbung auf das Schärfste kritisiert. Gerade im OP sei es von äußerster Wichtigkeit, die Konzentration auf den Patienten und die Informationen des Anästhesisten, der OP-Schwester und evtl. mitoperierender Kollegen zu halten. Das sei bereits Herausforderung genug. Zusätzlich eine möglichst gute Figur vor der Kamera zu machen, könne auf Kosten der Sicherheit des Patienten und der Qualität des Ergebnisses gehen. Leider hat dieser Vorfall auch gezeigt, dass es nicht um einen Einzelfall handelt.
Wie sollte Ihrer Meinung nach Social-Media-Werbung für ästhetische Behandlungen konzipiert sein?
Astrid Tomczak: Ich denke, worüber wir uns alle einig sind, ist, dass Patienten nicht als Werkzeuge für Werbemaßnahmen des Arztes missbraucht werden dürfen. Nach einer Umfrage von Medscape vom April 2022 berichteten 6% der 1.144 befragten Ärzte von unangemessenen Postings mit Patientenbildern auf Social Media Plattformen. Patienten sollten vorab ausreichend darüber aufgeklärt werden, wenn ihre Bilder öffentlich verwendet werden. Das Einverständnis ist am besten schriftlich einzuholen und es ist natürlich auch genau zu definieren, wofür und wie lange es gilt.
Werbung für Wunscheingriffe sollte insgesamt verantwortungsbewusst, unaufgeregt und realistisch sein. Marktschreierische, übertriebene Werbung, die Behandlungen verharmlosend darstellen oder mit Billigangeboten locken, verstoßen nicht nur gegen das Heilmittelwerberecht und die Gebührenordnung der Ärzte; sie wecken falsche Erwartungen bei Patienten und kommerzialisieren den Arztberuf auf eine unwürdige Art und Weise.
Ob Ärztinnen sich einen Gefallen tun, wenn sie offenherzig und leicht bekleidet durch ein Insta-Reel huschen, oder Ärzte sich in Gangster-Manier auf Seidenlaken und mit nacktem Oberkörper mit der Filler-Spritze „im Anschlag“ präsentieren sollten, halte ich für äußerst fraglich. Hier könnte das ärztliche Berufsrecht zum Tragen kommen, denn standesgemäßes Verhalten sieht definitionsgemäß anders aus. In oben zitierter Medscape-Umfrage sind immerhin 75% der befragten Ärzte der Meinung, dass Ärzte sich aufgrund ihres Berufs einer besonderen Verantwortung bewusst sein müssten und damit auch einen höheren moralisch-ethischen Anspruch erfüllen sollten. Und wie wir wissen, vergisst das Netz nichts. Es ist sehr schwer, einmal gepostete Inhalte komplett zu löschen. Daher sollte man sich immer vorher überlegen, welche Informationen in welcher Form öffentlich geteilt werden.
Was ist Ihre Empfehlung an Ärzt*innen, die erfolgreich Social-Media-Werbung machen möchten?
Astrid Tomczak: Ich würde immer die Zusammenarbeit mit einer erfahrenen Agentur empfehlen. Diese sorgt zum einen für Kontinuität und Inhalte, zum anderen im Idealfall für die Verknüpfung aller Online-Kanäle mit der Website und ein durchgehendes Monitoring der Follower-Aktivitäten. Der Arzt oder die Klinik sollte sich vorab überlegen, welche Inhalte über Social Media transportiert werden sollen. Auf dieser Basis wird ein Redaktionsplan erstellt, der langfristig für den Aufbau der Online-Reputation sorgt. Lauter, schriller und immer verrückter als die anderen, ist aus meiner Erfahrung kein Erfolgskonzept, auch nicht für den privaten Social-Media-Account. Es ist für Patienten nicht immer klar ersichtlich, wann der Arzt als Privatmensch und wann er als Arzt agiert. Daher ist eine gewisse Zurückhaltung sicher klug. In diesem Zusammenhang finde ich die Initiative der DGPRÄC [Deutsche Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie; d.Red.] erwähnenswert. Hier wurde eine TaskForce zum Thema Social-Media-Werbung zusammengestellt. Sie hat Empfehlungen für ihre Mitglieder im Umgang mit den Sozialen Medien und elektronischer Kommunikation erarbeitet. Neben der Netiquette werden hier auch Ratschläge zur Arzt-Patienten-Beziehung über Soziale Medien, Hinweise zur Schweigepflicht etc. gegeben. Ich denke, das ist ein guter Ansatz, der in Zukunft von anderen Verbänden für deren Facharztgruppen ausgebaut werden sollte. Zu guter Letzt sollte die Präsenz im Netz nichts vorgaukeln, was die Realität nicht erfüllen kann. Das betrifft alle Aspekte wie die Praxisausstattung, das Leistungsangebot, die Erfahrung des Arztes, aber auch seine Persönlichkeit.
Sehr geehrte Frau Tomczak, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte S. Höppner.