Aktuell MÄC

Rund um das Fettgewebe: Klare Indikationsstellungen, Standardisierung und Vereinheitlichung

Auf dem 14. Nürnberger Frühjahrssymposium Plastische Chirurgie, das virtuell am 20. Mai 2021 unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Bert Reichert, Nürnberg, und Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) abgehalten wurde, stand das Thema Fettgewebe im Mittelpunkt.

Lipödem und Liposuktion

Das Lipödem ist eine chronische und progrediente Fettverteilungsstörung noch nicht geklärter Ursache, die vorrangig bei Frauen auftritt. Zu den Kardinalsymptomen gehören laut Dr. Maria Wiedner, Köln, die symmetrische lokalisierte Fettvermehrung und Ödembildung hauptsächlich an den Extremitäten, die Dysproportionalität mit Aussparung von Händen und Füßen sowie Schmerzen, insbesondere Druck- und Spannungsschmerzen, mit begleitendem Schweregefühl sowie eine Hämatomneigung. Mögliche Langzeitfolgen umfassen orthopädische Probleme, Immobilität, chronische Wunden und nicht zuletzt psychische Belastungen. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen sind Lipohypertrophie, Adipositas und Lymphödem.

Die konservative Therapie – die inder Regel lebenslang notwendig ist– umfasst Lymphdrainage, Kompression und Bewegungstherapie und zielt auf eine Minderung der Beschwer- den ab. Von Bedeutung ist auch die psychologische Unterstützung der Betroffenen. Kommt es unter einer mindestens sechsmonatigen Therapie zu keiner Linderung der Schmerzen und Beschwerden und ist die Lebensqualität eingeschränkt, stellt die Liposuktion eine geeignete chirurgische Behandlungsmaßnahme dar.

Die DGPRÄC berichtet mit Blick auf eine mögliche Kostenübernahme durch die Krankenkassen aktuell von Entwicklungen [1], wonach das Bundessozialgericht die Liposuktion beim Lipödem als „individuellen Heilversuch“ einordnet. Dies würde Krankenhäusern im Einzelfall auch eine Regelung außerhalb der vom Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) verabschiedeten befristeten Erprobungsrichtlinie für eine Liposuktion bei Lipödem im Stadium III ermöglichen. [2] Die Richter nannten dazu drei Voraussetzungen [1]:

  1. Es muss „eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung“ vorliegen.
  2. Es darf „keine andere Standardbehandlung verfügbar“ sein.
  3. Es muss nach den einschlägigen Vorgaben des G-BA „die Annahme des Potenzials einer erforderlichen Behandlungsalternative“ gerechtfertigt sein.

„Krankenhäusern ist es nun deutlich einfacher möglich, das Lipödem mit einer Fettabsaugung zu behandeln“, fasste Prof. Dr. Lukas Prantl, Regensburg, das Urteil des Bundessozialgerichts zusammen. „Für die rund 3,8 Millionen in Deutschland betroffenen Frauen wird es mit gesicherter Diagnose so leichter, Fettabsaugungen und damit die einzige ursächliche Behandlung dieser ‘Volkskrankheit‘ von ihren Krankenkassen finanziert zu bekommen“, hofft der Präsident der DGPRÄC. Genaueres wisse man erst, wenn die Urteilsbegründung vorliege.

Dr. Mojtaba Ghods, Potsdam, hat an der Wirksamkeit dieser Methode keinerlei Zweifel. Trotzdem sei es notwendig, hier noch mehr Evidenz zu schaffen und vor allen Dingen für die Diagnose feststehende Parameter zu entwickeln, auf deren Basis dann angemessene Therapieentscheidungen getroffen werden könnten, so der Leiter der AG Lipödem der DGPRÄC. Denn obwohl die Liposuktion des Lipödems eine etablierte Therapieoption in der Behandlung des Lipödems darstellt, variierendie Behandlungskonzepte zwischen den Kliniken stark. Ein Ziel der Fachgesellschaft ist es daher, eine konsensuelle „Standard Operative Procedure“ (SOP) in der operativen Behandlung des Lipödems zu schaffen. Eine Arbeit hat dazu 140 Publikationen bezüglich des Lipödems systematisch aufgearbeitet und katalogisiert. [3]

Dr. Ghods beginnt sein Potsdamer Konzept mit der Patientenselektion basierend auf der Diagnosestellung durch einen erfahrenen Lymphologen/Angiologen und der Diagnosesicherung durch einen erfahrenen Lipödem-Chirurgen nach dem 4-Augen-Prinzip. Bei der Operation selbst hätten sich zwei Methoden bewährt: die vibrationsassistierte und die wasserstrahlassistierte Liposuktion.

In einer retrospektiven 10-Jahres- Analyse hat der Chirurg den Krankheitsverlauf und die Komorbiditäten bei Lipödem-Patienten untersucht, die sich in der Spezialklinik einer Fettabsaugung unterzogen hatten.[4] Im untersuchten Kollektiv war die Prävalenz für Adipositas, Hypothyreose, Migräne und Depression im Vergleich zu vergleichbaren Nicht- Lipödem -Populationen deutlich erhöht. Trotz eines häufig erhöhten BMI weisen Lipödem-Patienten ein vorteilhaftes metabolisches Risikoprofil auf. Nach operativer Behandlung (mittleres Follow-up 20 Monate) habe sich eine signifikante Reduktion der Lipödem-assoziierten Symptome gezeigt, so Ghods. Die Autoren sehen die Notwendigkeit eines multi- modalen Therapiekonzepts für eine umfassende und ganzheitliche Behandlung. „Liposuktion kann Lipödem- assoziierte Symptome und den Bedarf an konservativer Therapie reduzieren. Der Therapieerfolg ist abhängig vom präoperativem BMI, Stadium, Alter und den Begleiterkrankungen“, fasste der Redner zusammen.

Adipositas und Lipödem

Die Prognosen für die Zunahme von Übergewicht und Adipositas in der Bevölkerung sind weltweit alarmierend. Wie Prof. Dr. Uwe Hesse, Nürnberg, ausführte, könnten schätzungsweise mehr als 50% der europäischen Bevölkerung bis 2030 unter extremem Übergewicht leiden. Neue Herangehensweisen und Zugang zu einer Behandlung seien notwendig, um die Ursachen und Auswirkungen von Übergewicht und Adipositas zu kontrollieren. Die konservative Therapie umfasst ein multimodales Konzept (MMK) mit einer Kombination aus ernährungs-, bewegungs- und ggf. verhaltenstherapeutischen Maßnahmen. Doch auch die metabolische Chirurgie könnte zunehmend an Stellenwert gewinnen. [5] Darunter werden operative Eingriffe der klassischen Adipositaschirurgie verstanden, jedoch wird hier die Indikation primär zur Verbesserung der glykämischen Stoffwechsellage bei einem vorbestehenden Typ 2 Diabetes gestellt.

Patienten mit einem BMI ≥40 kg/m2 und koexistentem Typ 2 Diabetes profitieren darunter laut Leitlinie nicht nur von einer besseren glykämischen Kontrolle bzw. reduzierten antidiabetischen Medikation, sondern auch von der nachhaltigen Gewichtsreduktion. [5] Bei Patienten mit BMI ≥35 kg/m2 und <40 kg/m2 und Typ 2 Diabetes soll eine metabolische Operation als mögliche Therapieoption empfohlen werden, wenn es nicht gelingt, die diabetesspezifischen individuellen Zielwerte zu erreichen. Für Erwachsene mit einem BMI ≥30 kg/ m2 und <35 kg/m2 und Typ 2 Diabetes kann die metabolische Chirurgie als mögliche Therapieoption in Erwägung gezogen werden; bei einem BMI <30 kg/m2 sollte sie nur im Rahmen wissenschaftlicher Studien erfolgen. [5]

Mit Blick auf das Lipödem konstatiert Prof. Hesse, dass ca. 50% der Patientinnen auch adipös seien und eine Therapie daher ursächlich die Behandlung der Adipositas einschließen sollte. Insbesondere da eine Adipositas ein Lipödem verschlechtere und ein sekundäres Lipo-Lymphödem die Folge sein könne. Die Kombination aus konservativen und operativen – einschließlich adipositaschirurgischer – Maßnahmen ermögliche eine ausgeprägte Befund- und Beschwerdebesserung. Primär sollte ein Therapieversuch mit konservativen Maßnahmen unternommen werden. Bleibt eine entsprechende Besserung aus, ist eine Liposuktion zu erwägen, wenn nicht eine Indikation zur adipositaschirurgischen Intervention besteht.

BODY-Q als Maßstab für die Lebensqualität

Patient Reported Outcomes (PRO) sind unverzichtbar bei der Ergebnisbewertung in der plastischen Chirurgie, insbesondere bei postbariatrischen und körperkonturierenden Eingriffen. BODY-Q ist ein klinisch aussagekräftiges und wissenschaftlich fundiertes PRO- Instrument, das entwickelt wurde, um die Wahrnehmung des Patienten bezüglich Gewichtsverlust und/oder Körperkonturierung zu messen. [6] Der BODY-Q wurde nach ISPOR- Standards (International Society for Pharmacoeconomics and Out- comes Research) erstellt und gilt als Standard-PRO-Instrument für Lebensqualität in der postbariatrischen und körperkonturierenden Chirurgie. In einer Studie wurde die deutsche Sprachvalidierung unter Anwendung dieser standardisierten Richtlinien durchgeführt. [7] Wie Dr. Kay-Hendrik Busch, Bonn, ausführte, ließen sich die Ergebnisse einer Lipödem-Behandlung durch Liposuktion mit BODY-Q objektivieren und stellten sich als hoch signifikant heraus. Über die Plattform Castor (https://www.castoredc.com/) soll eine umfangreiche internationale Datensammlung verfügbar gemacht werden. Langfristiges Ziel ist es, die Behandlungsqualität in der plastischen Chirurgie systematisch zu verbessern.

Autologe Fetttransplantation

Die autologe Fettinjektion ist ein geeignetes Verfahren zur Korrektur von Konturdefekten und Volumenasymmetrien. Die DGPRÄC arbeitet mit Hochdruck an regulatorischen Aspekten der Fetttransplantation. Denn die autologe Fetttransplantation ist eine zunehmend verbreitete operative Prozedur, die die Entnahme, Bearbeitung und Transplantation von Fettgewebe sowie die fachgerechte Nachsorge umfasst. Klare Indikationsstellung und fachliche Expertise seien Grundvoraussetzung, um die autologe Fetttransplantation durchzuführen, so Prof. Prantl. Der Erfolg dieses Eingriffs sei abhängig vom Einsatz der richtigen Methoden sowie der speziellen Instrumente und Materialen. Aufgrund der niedrigen Rate an postoperativen Komplikationen und Spätfolgen sei die autologe Fetttransplantation als sicheres Verfahren in der rekonstruktiven und ästhetischen Medizin anzusehen. [8] Wichtige Ziele der Leitlinie [9] – deren Aktualisierung geplant ist – sind, die Patientensicherheit während der Anwendung zu gewährleisten und das Verfahren zu standardisieren. Allerdings stünden derzeit wenige Studiendaten mit einem Evidenzgrad I oder II zur Verfügung. Die vorliegen- den anderen klinischen Daten sollten laut Prantl in einem Register zur Validierung gesammelt werden. Die Rahmenbedingungen zur Fetttransplantation beruhen auf dem Arznei- mittelgesetz (AMG), Gewebegesetz (ATMP) und Transplantationsgesetz (TPG). Ein zentraler regulatorischer Aspekt sei die Änderung bzw. Nicht- veränderung der stofflichen Beschaf- fenheit des Materials. Zu diskutieren sind hier nach aktuellem Stand die Begriffe einfaches Lipofilling, angerei- chertes Lipofilling ohne substanzielle Bearbeitung, die nicht homologe Anwendung und Zelltherapeutika, die behördlich mit den drei o.g. Gesetzen in Einklang gebracht werden sollen.

Quelle: Virtuelles 14. Nürnberger Frühjahrssymposium Plastische Chirurgie „Rund um das Fettgewebe“, 20. Mai 2021

Literatur

  1. Pressemitteilung der DGPRÄC. 12. April 2021, unter https://www.dgpraec.de
  2. Pressemitteilung G-BA. Nr. 25/2019, unter https://www.g-ba.de
  3. Ghods M et al. Handchir Mikrochir Plast Chir 2018; 50: 400-411
  4. Ghods M et al. Dermatologic Therapy 2020; e14534
  5. S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen 2018, AWMF- Registernummer: 088-001
  6. Klassen AF et al. Plast Reconstr Surg Glob Open. 2016 April; 4 (4): e679
  7. Hermann N et al. Handchir Mikrochir Plast Chir 2019 August; 51(4): 255-261
  8. Prantl L et al. Handchir Mikrochir Plast Chir 2016; 48(06): 330-336
  9. S2k-Leitlinie: Autologe Fetttransplantation 2017, AWMF-Registernummer: 009/017

B. Baierl