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Schönheitsoperationen & Strafrecht Teil I – Wo ist die Indikation?

Interview mit Astrid Tomczak, München

Der Bereich der Wunschmedizin macht seit Jahren sprunghafte Entwicklungen. Ob es sich um Kinderwunschbehandlungen, genetische Diagnostik, Wunschsectio oder eben die klassischen minimal-invasiven oder invasiven Schönheitsbehandlungen handelt, die Fallzahlen gehen in allen Bereichen steil nach oben. Dadurch hat sich die traditionelle, indikationsgebundene Medizin stark verändert. Neben sie ist eine gesellschaftlich genutzte Medizin getreten, welche sich auch durch eine neue Patientengruppe mit wertebezogenen Interessen auszeichnet. Dies hat auch Auswirkungen auf das Verständnis des ärztlichen Auftrags. Der Arzt wird zum Dienstleister an Patienten, die wie Kunden agieren und ihre körperlich-ästhetischen Ansprüche realisiert sehen möchten. Diese Entwicklung wirft neben medizin-ethischen Fragen auch eine Reihe von rechtlichen Fragen auf, die wir in einer mehrteiligen Serie mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) diskutieren möchten.

MÄC: Frau Tomczak, warum ist eine Indikation medizinisch und rechtlich so wichtig?

A. Tomczak:

Die Indikation diente seit jeher der Umsetzung des hippokratischen Eids und findet sich im Ärztegelöbnis und in der Berufsordnung der Ärzte (M-BOÄ) wieder. Sie ist aus medizinischer Sicht keine feststehende Tatsache. Sie ist vielmehr das Ergebnis eines komplexen Abwägungsprozesses des Arztes. Hier werden zum einen die individuellen Gegebenheiten des Patienten, zum anderen der Stand der Forschung zu einer bestimmten Erkrankung, die Aussichten auf Heilung und die Anwendung unterschiedlicher Therapieoptionen berücksichtigt.

Aus rechtlicher Sicht ist die Indikation grundsätzlich die Ausgangslage, die eine medizinische Behandlung rechtfertigt. Will der Arzt tätig werden, muss es einen Grund geben, der sein Tun legalisiert. Andernfalls verletzt er die körperliche Unversehrtheit seines Patienten und wir befinden uns mitten in strafrechtlichen Überlegungen. Maßstab ärztlichen Handelns sind im Falle indizierter Behandlungen die Erkenntnisse und Erfahrungen, die sich im medizinischen Standard niederschlagen, und selbstverständlich die Grundsätze eines gewissenhaften Arztes (vgl. § 1 Abs. 2 MBO-Ä).

Und damit sind wir mittendrin im Spannungsfeld wunschmedizinischen Handels. Der Grund für ärztliches Handeln war lange Zeit die Intention, Heilung herbeizuführen, Leiden zu mindern oder Diagnostik zu ermöglichen. Der Arzt behandelte also Kranke. In der Wunschmedizin fehlt dieser Aspekt jedoch. Es gibt keine medizinische Rechtfertigung für die Behandlung. So stellt sich die Frage: wo ist die Indikation und damit die Erlaubnis eine Therapie anzuwenden, die nach traditioneller Sicht medizinisch nutzlos ist? Ist die Patientenautonomie in diesen Fällen höher einzustufen als das ärztliche Schadenvermeidungsprinzip? Lässt sich das Konzept der indikationsbasierten Medizin mit gewissen Anpassungen auch auf Schönheitsbehandlungen übertragen? Das sind die Aspekte, denen man sich in diesem Zusammenhang stellen muss, und daran anknüpfend natürlich auch strafrechtliche Überlegungen im Prozessfall.

MÄC: Gibt es denn Überlegungen, die aus diesem Dilemma herausführen können?

A. Tomczak:

Es gibt vor allem die Realität in den OP-Sälen, die uns hier zu einem guten Stück leiten muss. Wir können, wenn es um das Thema Indikation im Zusammenhang mit Schönheitsbehandlungen geht, verschiedene Fallgruppen unterscheiden. Wir haben zum einen die rekonstruktive plastische Chirurgie, die Unfall-, Brandopfern oder Patienten mit angeborenen Deformitäten helfen möchte, ein funktionelles und ästhetisches Ergebnis durch eine entsprechende Intervention zu erreichen. Hier ist es sehr eindeutig, dass die klassische medizinische Indikation vorliegt und lediglich durch einen ästhetischen Anspruch des Patienten und Behandlers flankiert wird. Dies wird auch vom Strafrecht so bewertet, indem die Behandlung als ärztlicher Heileingriff verstanden wird.

Eine weitere Fallgruppe beschäftigt sich mit den psychischen Beeinträchtigungen durch gewisse körperliche Aspekte. Ein ärztlicher Heileingriff wird angenommen, auch wenn hier- zulande keine regelhafte Erstattung solcher Eingriffe durch die gesetzlichen Krankenkassen erfolgt. Grund hierfür ist die fehlende medizinische Indikation.

Und zu guter Letzt gibt es die Behandlungen, die aus rein kosmetischen Erwägungen, also ohne einen entsprechenden Heilzweck, gewünscht werden. Diese Eingriffe werden nach herrschender Meinung aus dem Bereich der ärztlichen Heileingriffe herausgenommen. Für sie müssen daher andere rechtliche Maßstäbe angelegt werden. Stichwort sind beispielsweise die erweiterten Aufklärungspflichten. Hier kommt auch die bereits oben aufgeworfene Frage der Patientenautonomie vs. dem Schadenvermeidungsprinzip zum Tragen.

Selbstverständlich ist es sehr schwierig, im konkreten Einzelfall eine exakte Grenzziehung zwischen diesen drei Fallgruppen zu erreichen. Sie können jedoch Anhaltspunkte zum korrekten Vorgehen bieten. Ganz entscheidend werden aber, und das zeigt sich immer wieder in den entsprechenden Gerichtsverfahren, die medizinischen Einzelbewertungen und der jeweils geltende ärztliche Standard sein. Diese erlangen im Zusammenhang von strittigen Fragen normativen Charakter. Nun mag eingewendet werden, dass Grundlage für die Eingriffe bei allen Fallgruppen eine Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde ist und der Arzt in seiner Praxis nicht „Nicht-Arzt“ sein kann, auch wenn er kosmetisch arbeitet. Das ist selbstverständlich richtig. Ob ein medizinischer oder ein kosmetischer Beweggrund vorliegt, ändert jedoch die zu beachtenden rechtlichen Leitplanken im Arzt-Patienten-Verhältnis.

MÄC: Und was für die Indikation gilt, gilt auch für die Kontraindikation?

A. Tomczak:

Die Kontraindikation existiert natürlich, aber auch sie muss bei Heileingriffen und wunschmedizinischen Behandlungen unterschiedlich definiert werden. Wenn wir uns der medizinisch indizierten Behandlung zuwenden, ist kontraindiziert, was keine Aussicht auf Heilung verspricht oder die Situation des Patienten sogar noch verschlimmert. Das heißt, der Arzt weiß von vorneherein, dass die gewählte Therapie keinen Erfolg haben und die Erwartung des Patienten an den Heilerfolg enttäuscht werden wird. Hieran knüpft sich sofort die Frage, ob eine trotzdem durchgeführte Behandlung noch ein Vorgehen gemäß der medizinischen lex artis sein kann. In einem Prozess wird darzulegen sein, ob die Behandlungsentscheidung mittels Kriterien aus der medizinischen Wissenschaft und einer sorgfältigen Risiko-Nutzen- Abwägung getroffen wurde. Und es wird zu klären sein, ob die Einwilligung des Patienten in die Behandlung folgerichtig immer nichtig sein muss. Dazu dann mehr im nächsten Teil des Interviews. Bei der Wunschbehandlung liegt wie ausgeführt keine Indikation im eigentlichen Sinne vor. Es gibt auch keinen Heilerfolg wie im klassisch- medizinischen Kontext. Trotzdem muss die Behandlung auf ein Ziel hin- arbeiten, denn nur darüber lässt sich auch definieren, ob Hindernisse diese Zielerreichung evtl. verbieten. Nach Artikel 2 Abs. 1 GG (Grundgesetz) hat jeder Mensch das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, sofern er dadurch nicht die Rechte anderer verletzt. Dazu gehört auch, subjektive Vorstellungen über den eigenen Körper und dessen Aussehen als Teil der Persönlichkeitsentfaltung zu verwirklichen. Sehen wir die wunschmedizinische Behandlung in diesem Kontext, wird auch klar, wie folgerichtig eine Kontraindikation zu definieren ist. Sie verhindert nämlich, dass der Patient seine Wünsche zu körperlichen Veränderungen mit den gewählten Methoden erreicht. Ursächlich können hier medizinische Aspekte, unrealistische Erwartungen des Patienten oder ein unausgewo- genes Risiko-Nutzen-Verhältnis im Sinne der Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung sein. Denn auch nicht- indizierte Behandlungen müssen selbstverständlich entsprechend den jeweils geltenden medizinischen Standards erfolgen.

MÄC: Sehr geehrte Frau Tomczak, wir bedanken uns für das Gespräch und freuen uns auf die Fortsetzung der Serie unter dem Titel Schönheits- operationen & Strafrecht, Teil II – Geht die Patientenautonomie über alles? in der nächsten Ausgabe.

Das Interview führte S. Höppner.