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Zwischen Wunsch und Realität – Interview mit Astrid Tomczak, München

Die Grenzen zwischen kosmetischen Anwendungen und ästhetischer Medizin verschwimmen zunehmend. Akteure beider Seiten, also Ärzt*innen und Kosmetiker*innen, nehmen jeweils Behandlungen aus dem anderen Bereich in ihr Angebot auf. So ist ein zunehmender Trend zur Angliederung von kosmetischen Instituten an Arztpraxen zu beobachten. Vormals meist ein Konzept für Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten, gibt es längst auch andere Facharztrichtungen, die Gefallen an einer gewerblich geprägten Geschäftseinheit finden. Auf der anderen Seite sind „Medical Beauty“-Behandlungen und Anwen- dungen der apparativen Kosmetik ein stetig wachsender Markt, dessen Angebot nahezu unüberschaubar ist. Befeuert wird diese Idee vom One-stop-Shop („wir bieten alles an“) auch durch die technischen Entwicklungen auf Seiten spezialisierter Gerätehersteller in Kosmetik und Medizin. Der Wunsch vieler Patient*innen nach nicht- oder minimal-invasiven Behandlungen hat Anwendungen wie den Hyaluronpen, den Plasmapen oder auch die Kryolipolyse hervorgebracht. Das führt nicht selten zur Frage, wer eigentlich welche Technologien anwenden darf und wo die Grenzen zwischen Kosmetik und Ästhetischer Medizin verlaufen. Im Interview mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) haben wir uns dazu ausgetauscht.

Astrid Tomczak

DISKURS Dermatologie: Der Verteilungskampf um Patient*innen und Kund*innen ist offenbar härter geworden. Welche Strategien beobachten Sie im Markt der Ästhetik und Kosmetik?

Astrid Tomczak: Wie schon in der Einleitung angesprochen, gibt es eine Tendenz, möglichst viele Dienstleistungen aus einer Hand anzubieten. Der Grundgedanke dazu liegt klar auf der Hand. Wenn die Patient*innen oder Kund*innen schon einmal den Weg zum Anbieter gefunden haben, sollen möglichst viele ihrer Wünsche und Bedürfnisse direkt vor Ort erfüllt werden. So muss die Kosmetikkundin nicht extra zum Arzt gehen, um sich die Lippen mit Hyaluron füllen zu lassen oder kleine Fettpölsterchen loszuwerden. Das macht die Kosmetikerin mit dem Hyaluronpen und der Kryolipolyse. Andersherum muss die Ästhetikpatientin für ihr „Facial“ nicht mehr zur Kosmetikerin, denn das bekommt sie jetzt, zusammen mit ihren Lieblingskosmetikprodukten, auch bei Ärzt*innen.

Dies führt in der Konsequenz zu einer weiteren Entwicklung: je individueller und umfassender das Angebot ist, desto besser funktioniert auch die Differenzierung zum Wettbewerb. Was in der Kosmetik schon lange praktiziert wird, nämlich mehrere Anwendungen in einer Sitzung zu kombinieren, findet nun auch zunehmend Eingang in die Ästhetische Medizin. Die Patient*innen dürfen sich über individuell zugeschnittene Behandlungskonzepte freuen, die füllen, straffen und konturieren, und das vielfach im Rahmen einer Anwendung. Denn der Faktor Zeitersparnis ist ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Aspekt in der Wahl des passenden Anbieters.

DISKURS Dermatologie: Das hört sich ja zunächst vorteilhaft für Kund*innen bzw. Patient*innen an. Weniger Wege, weniger Zeitaufwand. Wo sehen Sie die Problembereiche?

Astrid Tomczak: Es gibt im Prinzip zwei große Bereiche, die kritisch zu betrachten sind. Der eine betrifft die aggressiven und teilweise irreführenden Werbestrategien von Anbietern. Der andere Aspekt sind mögliche Verstöße gegen das Heilpraktikerrecht.

Wer sich auf Instagram oder anderen sozialen Medien umsieht, ist oftmals erstaunt, welches Bild sich einem bietet. Da gibt es z.B. „Fachärzte für Ästhetische Medizin“. Das ist insofern kurios, als dieser Facharzttitel im deutschsprachigen Bereich nicht erworben werden kann, weil es sich um keinen hier existenten oder anerkannten Facharzttitel handelt. Bei im Ausland erworbenen Titeln steht es um eine Anerkennung schlecht, da die deutsche Weiterbildungsverordnung keinen Facharzt für Ästhetische Medizin kennt. Die Wahl des Begriffes kommt bei Patient*innen aber natürlich gut an. Denn wenn jemand Facharzt für diesen Bereich ist, begibt sich der/die Patient*in gefühlsmäßig in kompetente Hände. Dabei dauern reguläre Facharztausbildungen in Deutschland im Schnitt 5-6 Jahre und bestehen aus theoretischen und praktischen Lernphasen. Online- Universitäten, die Qualifikationen zum Facharzt für Ästhetische Medizin anbieten, lehren nur theoretisch und über einen Zeitraum von 12 Monaten. Die Bezeichnung ist also irreführend. In einem ähnlich gelagerten Fall hatte sich ein HNO-Arzt mit der Weiterbildung plastisch-ästhetische Operationen auf Jameda wie ein Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie führen lassen. Dies bescherte ihm eine Geldstrafe von € 4.500,00 (OVG Berlin-Brandenburg, AZ: OVG 90 H 3.18).

Ein weiteres Dauerthema sind die vielfach werblich genutzten Vorher-nachher-Bilder, die laut Heilmittelwerberecht für ästhetische Eingriffe inkl. Faltenunterspritzung unzulässig sind (LG Frankfurt am Main, Az. 3-06 O 16/21 vom 03.08.21, LG Koblenz Urteil 3 HK O 33/15 vom 15.12.2015). Ob dieses Verbot noch zeitgemäß ist, darüber lässt sich sicher trefflich streiten. Das Internet ist eine globale Markt- und Informationsplattform, die sich nicht nach deutschen Empfindlichkeiten richtet. Nach meiner persönlichen Ansicht sollte das Verbot daher abgeschafft werden. Dass diejenigen, die sich daran halten, jedoch kontinuierlich Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen müssen, ist nicht richtig. Manche Anbieterseite lässt zudem die Frage auftauchen, ob die jeweilige Praxis der verlängerte Vertriebsarm des angepriesenen Herstellers ist. Die nach Berufsrecht geforderte heilkundliche Unabhängigkeit wird bei Produktwerbung verletzt (§ 27 Abs. 3 M-BOÄ).

DISKURS Dermatologie: Sie hatten als zweiten Bereich die Vorgaben des Heilpraktikerrechts angesprochen. Wo können sich hier Wunsch und Realität ins Gehege kommen?

Astrid Tomczak: Das ist richtig. Der Trend zu apparativen Anwendungen hat auch in der Kosmetikbranche zu Veränderungen geführt. Die Einführung des Hyaluronpens erlaubt Kosmetiker*innen den Lippenaufbau sowie Volumen- oder Faltenbehandlungen. Mit dem Plasmapen werden Lider gestrafft, Narben behandelt oder pigmentierte Läsionen entfernt. Die Kryolipolyse rückt dagegen unliebsamen Fettpölsterchen zu Leibe. Wer beim Lesen dieser Aufzählung stutzig wird und diese Behandlungen eher in einer Arztpraxis verortet hätte, liegt zumindest teilweise richtig. Behandlungen, die durch ihre Gefährlichkeit notwendiger anatomischer oder fachärztlicher Kenntnisse oder einer vorher durchzuführenden Diagnoseleistung (z.B. Läsion bösartig oder nicht) bedürfen, unterliegen dem Heilkundevorbehalt. Das bedeutet, der Anwender muss für deren rechtmäßige Durchführung entweder approbierter Arzt oder Heilpraktiker sein (vgl. § 1 Abs. 1 HeilprG). Diese Vorgabe aus dem Heilpraktikerrecht wurde durch verschiedene höchst- und obergerichtliche Urteile weiter ausformuliert. Beispielhaft ist die Faltenunterspritzung sowie die Entfernung von pigmentierten Läsionen der Heilkunde zugeordnet worden (BVerwG 28.09.1965 – I C 105/63, Hamburg, OLG Karlsruhe vom 17.02.2012 – 4 U 197/11). Die Durchsetzung und damit auch die Interpretation des Heilpraktikerrechts obliegt den zuständigen Gesundheitsministerien der Bundesländer. Das bedeutet, ob eine Behandlungsmethode der Heilkunde zugeordnet wird oder nicht, wird in Deutschland ganze 16 Mal entschieden. Das sorgt für gehörige Verwirrung im Markt.

Eine vom Spa Business-Verlag 2018 durchgeführte Anfrage bei den Landesgesundheitsämtern in Deutschland ergab, dass 13 Bundesländer den Hyaluronpen der Heilkunde zurechnen, drei waren dagegen unentschlossen. Und: es kommt auf feine Unterschiede an. Denn verfügt der Pen über wirksame Sicherheitsmechanismen, die zu große Hyaluronabgaben und ein zu tiefes Eindringen des Hyalurons verhindern, ist die Zuordnung zur Heilkunde folgerichtig zu verneinen (VG Minden, Urt. v. 15.03.2022, Az. 7 K 2767/19). Neun Bundesländer sahen eine Heilpraktikererlaubnis für den Plasmapen als notwendig an, in 6 Bundesländern war keine eindeutige Zuordnung erfolgt, aus einem Bundesland kam keine Rückmeldung. Für die Kryolipolyse sahen 12 Bundesländer eine Heilkunderlaubnis vor, in drei Bundesländern erfolgte dazu keine Entscheidung, ein Land meldete sich nicht zurück. Für die Kryolipolyse liegt bisher ein Gerichtsurteil vor, welches die Ausübung der Heilkunde als gegeben sieht (VG Augsburg, Urteil v. 12.10.2017 – Au 2 K 16.1500). Bevor man sich als Kosmetikinstitut für eine dieser Anwendungen entscheidet, sollte man daher gut recherchieren und auch bei den zuständigen Behörden nachfragen. Der Wunsch von Kosmetikinstituten, in diesen Bereichen tätig zu sein, ist nachvollziehbar, macht jedoch be- stehende rechtliche Einschätzungen nicht einfach irrelevant.

DISKURS Dermatologie: Sehr geehrte Frau Tomczak, vielen Dank für das Gespräch! 

Das Interview führte S. Höppner.