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Akute nicht-spezifische Rückenschmerzen: Diagnostische Befunde multidisziplinär bewerten

Fast alle Menschen sind mindestens einmal im Leben von akuten Rückenschmerzen betroffen. Die genauen Ursachen bleiben häufig unklar, da akute Rückenschmerzen häufig multifaktoriell bedingt sind. Zur Abklärung von „Red Flags“ und psycho-sozialer Beteiligung sind weitere diagnostische Maßnahmen und ggf. ein interdisziplinäres Assessment sinnvoll.

Zur Vermeidung unnötiger Belastungen für Patienten und Gesundheitswesen sollte eine weiterführende Diagnostik nur bei Hinweisen auf akut behandlungsbedürftige Verläufe erfolgen. Bei nicht-spezifischen Kreuzschmerzen erfolgt nach vier bis sechs Wochen eine bildgebende Diagnostik, wenn keine Änderung des Beschwerdebildes trotz leitliniengerechter Therapie zu verzeichnen ist, gab Dr. med. Ulf Marnitz, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in Hamburg, bei einer Session im Rahmen des diesjährigen DKOU zu bedenken.

Psychosoziale Einflussfaktoren

Die meisten chronischen Rückenschmerzen umfassen Elemente aus nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen. Außerdem bestehen Zusammenhänge zwischen chronischen Rückenschmerzen und psychosozialen Faktoren, die bei Bedarf ebenfalls abgeklärt werden sollten. Bei Verdacht auf psycho-soziale Einflussfaktoren jenseits der Struktur- und Funktionspathologie sollte vor deren diagnostischer Klärung in einem interdisziplinären Assessment einmalig eine Bildgebung erfolgen. Vor Aufnahme einer interdisziplinären multi-modalen Schmerztherapie erfolgt dann eine Besprechung zwischen Fachärzten, Psychotherapeuten und Physiotherapeuten bezüglich der strukturpathologischen, seelischen und funktionellen Befunde. Das interdisziplinäre Konsil verhindert im Idealfall unnötige diagnostische Maßnahmen, so die Einschätzung von Marnitz. [1]

Manuelle Therapie

Bei akuten nicht-spezifischen Kreuzschmerzen ist eine manuelle Therapie mit Manipulation und Mobilisation eine effektive Option. Biomechanische Interventionen können eine schnelle Schmerzreduktion und bessere Beweglichkeit erreichen, sind aber als einzelne Maßnahme nicht nachhaltig genug, so die Einschätzung von Dr. med. Jan Emmerich, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin in Kremmen. Der Patient sollte dazu ermuntert werden, weiterhin agil zu bleiben, sich nicht zu sehr zu schonen und passive Maßnahmen wie Bettruhe, Bandagen und Massagen so weit wie möglich auf ein Minimum zu reduzieren. Ein passives Schmerzverhalten mit ausgeprägtem Schon- und Vermeidungsverhalten sollte unbedingt vermieden werden, so der Rat des Experten.

Unter den möglichen Interventionen bei akuten und sub-akuten unspe- zifischen Schmerzen im unteren Rücken zählen sportliche Betätigung, Wärmewickel, manuelle Therapie, Akupunktur und Schulungen zu den effektivsten nicht-pharmakologischen Ansätzen. Unter den pharmakologischen Interventionen scheinen NSAIDs und Muskelrelaxantien das beste Nutzen-Risiko-Profil zu bieten. [2]

Stärkung von Motivation und Resilienz

In den letzten Jahrzehnten gab es große Fortschritte in der schmerz-psychologischen Forschung, die
auch emotionale und motivierende Aspekte berücksichtigt, um Schmerzpatienten zu verstehen. Der Erfolg einer Schmerztherapie hängt stark von sozialem Umfeld, Kommunikation mit Gesundheitsdienstleistern sowie dem beruflichen und sozialen Kontext ab.

Psychosoziale Faktoren wie Angst, Trauma, Katastrophisieren, hohe Belastungen und Kontrollverlust, mangelnde Anerkennung und Unzufriedenheit mit der Arbeit können zur Chronifizierung von Schmerzen beitragen (vgl. Abb. 1). [3] Daher sind die Stärkung der Motivation bzw. Resilienz, des Optimismus, der Impulskontrolle und der Empathie ebenfalls wichtige Erfolgsfaktoren für die Therapie von akuten Rückenschmerzen. [4]

Abb. 1: Psychosoziale Faktoren der Schmerzempfindung. (Quelle: mod. nach [3])

Ausschluss von „Red flags“

Die meisten Fälle (etwa 85%) verlaufen unkompliziert, jedoch sollte zumindest ein Ausschluss so genannter „Red Flags“ erfolgen. Bei akuten lumbalen Rückenschmerzen sollten Warnhinweise auf Frakturen, Tumoren, Infektionen und Radikulopathie berücksichtigt werden, erläuterte PD DR. med. Jörg Franke, Chefarzt der Klinik für Orthopädie in Magdeburg.

Tumoren sollten bei Patienten im höheren Alter (>50 Jahre), Tumoren in der Vorgeschichte, Fieber, nächtlichem Schweiß/Schmerzen, ungewolltem Gewichtsverlust (min. 10% des Körpergewichts innerhalb von sechs Monaten) sowie Schmerz, der in Rückenlage zunimmt, näher abgeklärt werden. Ein Verdacht auf Infektionen kann zum Beispiel bei nächtlichen Schmerzen, aber auch unter Immunsuppression oder nach einem Auslandsaufenthalt gegeben sein.

Quelle: Virtuelle Session „Akuter lumbaler Rückenschmerz: Evidenz“ im Rahmen des DKOU, 27. Oktober 2021

Literatur

1. Konno SI, Sekiguchi M. J Orthop Sci. 2018;23(1):3-7. doi:10.1016/j.jos.2017.11.007.

2. Gianola S, Bargeri S, Del Castillo G, et al. Br J Sports Med. 2021;bjsports-2020-103596. doi:10.1136/bjsports-2020-103596.

3. Andrejeva N, Baumeister D, Eich W, Tesarz J. Schmerz. 2021;35(1):21-29. doi:10.1007/ s00482-020-00523-4.

4. Flink IK, Reme S, Jacobsen HB, et al. Pain psychology in the 21st century: lessons learned and moving forward. Scand J Pain. 2020;20(2):229-238. doi:10.1515/sjpain-2019- 0180