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Georg Christoph Biller – Zu Füßen Bachs

Mein Fazit vorab

  • Großartiges charakteristisches Titelbild und wertvoller Umschlagtext!
  • Das Buch ist einmalig: Hintergründig, trotzdem witzig und abwechslungsreich, flüssig geschrieben, interessant gegliedert und spannend und brisant bebildert!
  • Die ausschließlichen Schwarz-Weiß-Bilder sind für mich eher ein Gewinn als ein vielleicht befürchteter Verlust, weil sie das zeitlos Dokumentarische besser als Farbfotos betonen.
  • Die angedachte „Zweiteilung“ des „Großen Biller-Buches“ finde ich ebenfalls dem Anliegen gerechter werdend als ein singulärer, allzu dicker „Wälzer“.
  • Unser Georg Christoph Biller (GCB) wird sich im Himmel freuen, wenn ihm auch nicht die Freude zuteil wurde, das erste Exemplar in seinen irdischen Händen halten zu können; doch himmlische Telepathie wird ihm die Botschaft nahe bringen.
  • Es ist nicht ganz einfach, eine dem immensen Lebenswerk von GCB und dem ihm zugeeigneten Buch gerecht werdende Buchbesprechung in der gegebenen Kürze zu leisten, doch ich habe mit dem Herzblut eines F.d.C. („Freund des Chores“, Zitat Biller) und eines FFE (Fan ForEver) unseres wunderbaren und einmaligen Thomaskantors f.d.E. (für die Ewigkeit) und Menschen versucht, mein Bestes zu geben.
  • Letztlich gilt mein Dank dem großartigen Autor Manfred J. Hofmann und Herrn Prof. Peter Winterhoff-Spurk vom J.G. Seume Verlag für das wunderbare Buch, das einen bleibenden, unverrückbaren Meilenstein in der Geschichte des Thomanerchores und auch der Bachpflege darstellt, das in die Bibliothek eines jeden Bachverehrers weltweit gehört und das ich – einmalig und wunderbar! – mit Unterstützung des mdm Verlages noch vor seiner Veröffentlichung besprechen durfte!

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Thomaskantor Prof. Georg Christoph Biller mit seinen „Jungs“ im Probensaal vor der Porträtwand seiner Vorgänger bei der Wiedereröffnung des modernisierten Alumnats am 14. April 2013.

Als Ende 2017 das „ kleine Biller- Büchlein“ „Die Jungs vom hohen C“ erschien, schrieb ich am Schluss meiner Buchbesprechung (vgl. Osteoporose & Rheuma aktuell, Ausgabe 2/2018) „Deshalb bin ich von der Hoffnung getragen, dass Prof. Biller – für mich Thomaskantor f.d.E. (für die Ewigkeit) – nach Stabilisierung seines Gesundheitszustandes Zeit und Muße finden wird, in einer 2. Auflage noch mehr Leser – zweigeteilt in Leser mit Insider-Bezug zum Chor, wie die Sänger und Betreuer selbst, und Leser, die dem Chor und seinem Kantor aus ihrer “konsumieren- den“ und bewundernden Entfernung begegnen – zu erreichen.“

Nach dieser zweiten Auflage gibt es nun – welch glückliche Fügung – endlich auch ein von mir lange herbeigesehntes „ Großes Biller-Buch“, dessen erster Teil – autobiografisch orientiert – in Anlehnung an seine Abschiedsrede vom 22-jährigen Thomaskantorat am 18.6.2015 in der Thomaskirche zu Leipzig den Titel „Georg Christoph Biller – Zu Füßen Bachs“ trägt und am 13.06. um 16.30 Uhr im „forum thomanum“ in Leipzig der Öffentlichkeit vorgestellt werden wird, was Biller selbst leider nicht mehr erleben kann, da er – für uns alle viel zu früh – am 27. Januar 2022 an den Folgen einer schweren und langwierigen Krankheit verstarb. Ich bin mir der großen Ehre bewusst, dass ich dieses von Manfred J. Hofmann – in den letzten Jahren enger Wegbegleiter und Freund des Thomaskantors Georg Christoph Biller – als Autor geschaffene und vom J.G. Seume Verlag unter Leitung von Prof. Peter Winterhoff- Spurk herausgegebene, großartige
und faszinierende Buch schon vor seiner offiziellen Vorstellung besprechen darf, dessen zweiter Teil unter dem Titel „Georg Christoph Biller
– Erinnerungen und Reflexionen“ zu seinem 1. Todestag herauskommen und auf seine außergewöhnliche Persönlichkeit in der Würdigung durch Freunde und Zeitzeugen abheben wird. Seine letzten an den Autor gerichteten und im Vorwort zitierten Worte zur Annahme des Manuskriptes durch den J.G. Seume Verlag sprechen auch mir aus tiefstem Herzen: „Darüber freuen wir uns alle!“.

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Der Autor (l.) bei einer persönlichen Begegnung mit Thomaskantor Prof. Georg Christoph Biller.

Prof. Dr. A.G.M. Ton Koopman – Präsident des Bacharchivs Leipzig – bringt in seinem Geleitwort Georg Christoph Billers – von seinen „Jungs“ abgekürzt liebevoll GCB genannt – Lebenswerk so auf einen Nenner: „Für Georg Christoph Biller war die Musik das Wichtigste in seinem Leben. Sein Kindheitstraum erfüllte sich, er wurde Thomaner [unter den Thomaskantoren Prof. Erhard Mauersberger und Prof. Hans-Joachim Rotzsch – Ch.G.] und war später Erster Präfekt dieses weltberühmten Chores. (…) Er wurde Thomaskantor, der sechzehnte in der Nachfolge von Johann Sebastian Bach. Biller ging voller Elan an die Arbeit. Er brachte den Thomanerchor wieder auf ein hohes musikalisches Niveau. (…) Sein musikalisches Tun war Verkündigung, war Gottes-Dienst.“ Diese hier verdichtete „Lebensessenz“ GCBs lässt sich in den chronologisch aufgeführten Lebensetappen wunderbar kurzweilig nachlesen, die im Ergebnis vieler persönlicher Gespräche von Manfred Hofmann mit Christoph Biller – er nennt seinen Freund fast durchgehend so – gemeinsam trotz krankheits- bedingter Zunahme seiner Sprachstörungen„ erarbeitet“ wurden.

Ohne meine bisherigen „kulturellen“ – also nicht direkt medizinischen – Buchbesprechungen in unserer Zeitschrift herabwürdigen zu wollen, muss ich gestehen, dass mich dieses fast in einem Rutsch gelesene Buch am allermeisten bewegt hat, gibt in ihm doch ein außergewöhnlicher Künstler und einmaliger und wunderbarer Mensch Einblick ins Innerste seines Wesens und seiner Seele – und das von Kindheit an, in der für ihn schon unabwendbar feststand, dass er dereinst Thomaner werde wolle! Und er wurde es – und was für einer! Einer, dem ich aus tiefster Seele für seine 22 Jahre als Thomaskantor danken möchte, in denen er das Wort Gottes mit seinen Jungs kongenial musikalisch umgesetzt und dadurch auch die Herzen von Menschen erreicht hat, denen bis dato das „Soli Deo Gloria“ noch fremd geblieben war.

Welche aus den vielen wunderbaren Begebenheiten und Anekdoten soll ich nun quasi als „Appetizer“ herausgreifen? Eine schlüssige Antwort kann ich nicht geben, sondern nur als pars pro toto einige wenige ansprechen. Da ist zunächst sein jetziger und am 11. September 2021 als 18. Thomaskantor nach J.S. Bach ins Amt eingeführter Nachfolger, der Schweizer Dirigent und Katholik Andreas Reize, der auf den Seiten 203-205 seine Bewunderung für Georg Christoph Biller so zum Ausdruck bringt: „Georg

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Thomaskantor Andreas Reize (l.) mit seinem Vorgänger und Alt-Thomaskantor Prof. Biller.

Christoph Biller ist und war für mich immer ein großes Vorbild, ein großer Thomaskantor, der den Thomanerchor und die Stadt Leipzig wesentlich geprägt hat. An ihm orientiere ich mich gerne, wenn ich als Thomaskantor auch in seine Fußstapfen treten werde. Es gilt, auf das Bewährte aufzubauen und in Absprache mit den verschiedenen Institutionen die Aufgaben des Thomanerchores weiterzuführen.“ Dieser wunderbare Übergang – nach vielen segensreichen Jahren der Billervertretung und fünfjährigem Thomaskantorat durch Prof. Gotthold Schwarz – wurde auch durch wieder- holte Besuche von Andreas Reize bei GCB forciert, der mir in einem trotz sprachlicher Schwierigkeiten sehr freundschaftlichen und für mich unvergesslichem Telefonat Ende vergangenen Jahres offenbarte, dass „Andreas Reize ein guter Thomaskantor werden wird!“ Und Prof. Billers Urteil hat größtes Gewicht!

An dieser Stelle könnte man verschiedene jahrhundertealte Bräuche (Stubenfeier, Sterngucken, Stubensiegel, Schlüsselbeißen, Walzerfahrt zum Mond u.v.a) im „Kasten“ – dem Alumnat/Internat der Thomaner – wiedergeben, doch besser ist es, sie selbst zu lesen und dadurch in die unmittelbare Welt der einmaligen Leipziger Sängerknaben einzutauchen, wobei besonders auch die Streiche (Marmeladenstreich, Schulschwänzen mit ärztlicher Bescheinigung, Sprengung der Unikirche, morgendlicher Fahnengruß, haarige Geschichten u.v.a.) zusammen mit seinem Mitthomaner im 1. Sopran, Martin Petzold, inzwischen Kammersänger und weltberühmter Bachinterpret und engster Freund Billers bis zu dessen irdischem Ende und sicher bis in alle Ewigkeit, zum freudigen Schmunzeln Anlass geben; aber auch schwerste Zeiten standen sie beide in gegenseitiger, tiefster Verbundenheit durch. Auch bei seinem sog. „Ehrendienst“ bei der NVA (Nationale Volksarmee der DDR), vor dem sich in Wahrheit jeder gerne gedrückt hätte, zeigte unser GCB großen Erfindungsreichtum, um – mit einigen guten Kameraden im Schlepptau – mittels musikalischer Kreativität dem öden Soldatenalltag entfliehen zu können. Legende sind auch einige geflügelte Worte Prof. Billers, die noch heute in den verschiedensten Thomanergenerationen bei den jährlichen Treffen ehemaliger „Thomasser“ die Runde machen: „Das Amt des Thomaskantors ist für mich reserviert.“ „Das stärkere Argument gewinnt, und das stärkere Argument habe ich.“ „Wie steht’s mit der Liebe?“ „Mein System ist, dass ich keins habe.“ „Ihr seid nichts Besonderes, ihr könnt nur etwas Besonderes.“ Legende ist auch, dass er fast jedem Thomaner einen Spitznamen gab und dabei sehr erfinderisch war. Über den Ursprung seines eigenen Spitznamens – Loni – schweigt sich dieses wunderbare Buch leider aus.

Deshalb schweige ich jetzt auch und lasse quasi zum Abschied Martin Petzold in einem von Claudius Böhm im Gewandhausmagazin aufgezeichneten persönlichen Nachruf für seinen Freund zu Wort kommen: „Zwei Tage vor seinem Tod sprachen wir über Schopenhauer und er zitierte den Satz: ‘Ich glaube, dass, wenn der Tod unsere Augen schließt, wir in einem Licht stehen, von welchem unsere Sonne nur der Schatten ist‘. Und sein Gesicht leuchtete. Er wusste, dass er bald sterben würde. Dass er mich als Freund zu sich gerufen hat, bewegt mich immer noch zutiefst. Bei den Klängen aus der ‘Kunst der Fuge‘ ist er entschlafen.“

„Mein“ Thomaskantor f.d.E. Prof. Georg Christoph Biller platzierte bei seiner Abschiedsrede am 18. Juni 2015 in der Leipziger Thomaskirche nach einem Gedicht von Reiner Kunze den großen J.S. Bach zu Füßen Gottes und äußerte die Hoffnung, dass er dereinst wenigstens zu Füßen Bachs sitzen dürfe. In Würdigung seiner Lebensleistung zur Ehre Gottes und zur Erbauung der Menschen bin ich überzeugt, dass sein getreuer Diener „GCB-Loni“ Georg Christoph Biller ebendort ruht, umgeben von vielen Generationen seiner „Thomasser“, die – in Anlehnung an Wolf Biermann im Prolog des Buches – ihm den Engeln gleich zur Begrüßung ein himmlisches Ständchen darbringen, wie sie es vorher über 22 Jahre unter ihrem Kantor auch schon auf Erden zur Ehre Gottes und zur Freude, Erbauung und zum Trost der Menschen getan haben. So bleibt gerade in der heutigen Zeit zu hoffen und zu wünschen, dass sich alle Menschen darauf besinnen, sich so auf Erden zu verhalten, dass sie dereinst den Klängen dieses „himmlischen Thomanerchores“ teilhaftig werden können!

Weitere Informationen, „Blick ins Buch“ sowie Vorbestellung unter: www.seume-verlag.de