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Intelligentes Wundpflaster kontrolliert Entzündungen

Chronische Wunden sind eine große medizinische Herausforderung, die jedes Jahr Kosten in Milliardenhöhe für die Gesundheitssysteme verursachen. An der ETH Zürich wird für diese Problematik ein neues Produkt entwickelt: ein selektives, schwammartiges Hydrogel, das Entzündungssignale reduziert und aktiv die Heilung fördert.

Pioneer Fellow Börte Emiroglu mit dem Wundpflaster, einem weichen, schwammartigen Hydrogel. | (Foto: Gian Marco Castelberg / ETH Zürich)

Die akademische Laufbahn von Pioneer Fellow Börte Emiroglu führte sie aus der Türkei nach Zürich – nach einem Master-Studium direkt in die interdisziplinäre Welt der biomedizinischen Technik der ETH Zürich. „Ich wusste damals nicht einmal, was ein Hydrogel ist“, erinnert sie sich an die Anfänge ihrer Doktorarbeit am Labor für makromolekulares Engineering unter der Aufsicht von Professor Mark Tibbitt. Doch genau das Unbekannte faszinierte sie und es wurde ihr Ziel, ein intelligentes Wundpflaster zu entwickeln, das den Heilungsverlauf chronischer Wunden aktiv beeinflussen kann. Ihre Lösung basiert auf körnigen Hydrogelen, die entzündungsfördernde Signale aus dem Gewebe einfangen und gleichzeitig heilungsfördernde Prozesse unterstützen.

Chronische Wunden – etwa im Zusammenhang mit Diabetes oder Durchblutungsstörungen – sind ein weit verbreitetes medizinisches Problem. Viele Betroffene leiden über Monate oder sogar Jahre an offenen Hautstellen, die kaum heilen. Häufig liegt das an einer übersteigerten Immunreaktion: Der Körper geht nicht zur Regeneration über, sondern bleibt in einer Dauerschleife anhaltender Entzündungsaktivität.

Hier hat das Start-up Immunosponge von Emiroglu und Apoorv Singh, ebenfalls Forscher in Tibbitts Labor, seinen einzigartigen Ansatz gefunden. Das von ihnen entwickelte Wundpflaster wirkt gezielt auf diese molekularen Signale ein, die den Kreislauf aufrechterhalten. „Wir möchten eine Wunde aus dem Entzündungszustand herausführen und ihr die richtigen Anweisungen zur Heilung zu geben“, sagt Emiroglu. „Das Gewebe soll erkennen: Jetzt ist es Zeit für Regeneration.

Wie ein Schwamm, nur viel präziser

Wie genau funktioniert das Wundpflaster? „Stellen Sie sich einen Schwamm vor“, sagt Emiroglu, „ein Material mit hoher Saugfähigkeit.“ Technisch gesehen besteht der Schwamm aus winzigen Gelpartikeln – sogenannten Mikrogelen –, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind. Werden sie in großer Zahl zusammengefügt, entsteht eine weiche, schwammartige Struktur. „Im Labor sieht das Material aus wie Wackelpudding“, erklärt Emiroglu.

Diese Struktur lässt sich mit so genannten Liganden bestücken. Dies sind Oberflächenmoleküle, die spezifische Signalmoleküle binden. Auf diese Weise kann der Schwamm zwischen nützlichen und schädlichen Signalen unterscheiden. „Wir wollen nicht einfach alles aufsaugen, so wie es ein Küchenschwamm tut, sondern selektiv nur die entzündungsfördernden Moleküle entfernen, die im Gewebe Schaden anrichten, – und gleichzeitig heilungsfördernde Prozesse anstoßen“, so Emiroglu.

Das Konzept ist stark von der Natur inspiriert. „Der Stoffaustausch ist in der Natur über kurze Distanzen effizient, insbesondere bei einzelligen Organismen“, erklärt die Forscherin. „Sobald aber komplexere Organismen entstehen, braucht es Strukturen, die den Massentransport effizient organisieren – so funktionieren und kommunizieren Zellen innerhalb eines Gewebes.“ Genau diese Prinzipien inspirierten Emiroglu und dienten ihr als Vorbild für das intelligente Wundpflaster.

Die Technologie basiert auf vielen kleinen Bausteinen, um eine anpassbare, funktionelle Struktur zu schaffen. „Wir sind in der Lage, diese Bibliothek von Bausteinen zu erweitern, was uns in Zukunft ermöglichen wird, unsere Technologie für verschiedene Patientengruppen und Grunderkrankungen anzupassen“, so Emiroglu. Entsprechend können sie die Gelkügelchen mit verschiedenen anderen Oberflächenliganden bestücken, sodass je nach Gewebedefekt andere Infektionsbotenstoffe abgefangen werden können.

Anwendung über die Wundheilung hinaus

Aktuell konzentrieren sich die Forschenden auf chronische Hautwunden. Doch die Technologie könnte auch bei inneren Gewebeschäden helfen, beispielsweise bei der Heilung von Knochen, Knorpel oder Sehnen. „Diese Gewebe können eine eingeschränkte Blutversorgung aufweisen, sodass sie während der Regeneration häufig einen effizienten Stoffaustausch benötigen“, erklärt Emiroglu. Im Gegensatz zu heutigen Methoden wie mechanischen Absauggeräten oder unspezifischen Wundauflagen, die eine Wunde komplett austrocknen, bekämpft das Wundpflaster von Emiroglu eine der eigentlichen Ursachen und ist für die Anwendung in einem frühen Stadium vorgesehen.

Bei der Überführung der Technologie in ein Wundpflaster geht es um weit mehr als Forschung im Labor: „Wir lernen, wie der Markt funktioniert, was Klinikerinnen und Kliniker brauchen und wie wir unsere Forschung in ein wirksames Produkt überführen können“, erklärt Emiroglu. Dabei verändert sich auch ihre Perspektive. „Wir kommen aus der Grundlagenforschung, wo wir selten mit Anwendern in Kontakt sind“, sagt sie. „Jetzt sprechen wir mit Ärztinnen, Pflegefachpersonen, Marktführern und anderen Fachleuten und lernen ihre Sichtweise kennen.“ Für Emiroglu steht fest: „Wir nehmen uns bewusst Zeit für die Entwicklung. Es geht nicht darum, möglichst schnell etwas auf den Markt zu bringen, sondern etwas von langfristigem Wert zu schaffen.

Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

Literatur

1. Emiroglu DB et al. Granular biomaterials as bioactive sponges for the sequestration and release of signaling molecules. Adv. Healthcare Mater. 2024, 13, 2400800, doi: 10.1002/ adhm.202400800

Das intelligente Wundpflaster besteht aus einem granulären Hydrogel. Die kleinen Gelpartikel können so gestaltet werden, dass sie gezielt Entzündungs- signale abfangen oder heilende Moleküle abgeben. | (Bild: Apoorv Singh / ETH Zürich)