Mit Wissenschaft gegen das Altern: Wie viel seriöse Medizin steckt im Lifestyle-Trend Longevity?
Es ist ein uralter Menschheitstraum, die Alterung zu vermeiden oder sogar die Alternsuhr zurückdrehen zu können. Neben der Verlängerung der individuellen Lebenserwartung („life span“) ist die Verlängerung der individuellen Gesundheitsspanne („health span“) ein besonders erstrebenswertes Ziel.
So haben die Vereinten Nationen für das aktuelle Jahrzehnt (2021 bis 2030) die „Dekade des gesunden Alterns“ – United Nations Decade of Healthy Ageing (2021–2030) – proklamiert [1] und die WHO definiert: „Healthy Ageing is developing and maintaining the functional ability that enables well-being in older age“. [2] Der Aktionsplan umfasst zahlreiche Facetten des Lebens älterer Menschen mit 4 wesentlichen Handlungsfeldern: altersfreundliche Umwelt, Bekämpfung von Altersdiskriminierung („Ageism“), integrierte gesundheitliche Versorgung und Langzeitversorgung. Gefordert wird insbesondere ein diskriminierungsfreier Zugang zu medizinischen Dienstleistungen, auch im Bereich der Prävention.
Die Begrifflichkeit „Longevity“ subsumiert Maßnahmen und wissenschaftliche Aktivitäten, die darauf abzielen, das Leben zu verlängern und die Gesundheit bis ins hohe Alter zu erhalten.
Geroscience: Alterungsprozesse sind die Basis von Alterskrankheiten
Neben der Prävention von Krankheiten nimmt die „Geroscience“ [3] – darauf ausgelegt, die Gerontologie als Lehre von den Alterungsprozessen und die Geriatrie als Lehre von den Alterskrankheiten zu verbinden – die Prävention biologischer Alterungsprozesse in den Fokus: Die biogerontologische Forschung belegt, dass sich „physiologisches Altern“, „pathologisches Altern“ und Alterskrankheiten nur quantitativ unterscheiden und molekulare und zelluläre Alternsmarker („hallmarks of aging“ [4], zum Beispiel epigenetische Veränderungen oder Telomerverkürzung) der gemeinsame Nenner aller alterstypischer Gebrechen sind. Für diese Kernaussage der Geroscience sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen prototypisch: Zunächst häufen sich in Gefäß- und Herzzellen und -strukturen über Jahrzehnte hinweg inapparent Schäden an („garb-aging“) [5], bis schließlich die Schwelle für eine klinische Manifestation überschritten ist.
Die Altersmedizin umfasst darüber hinausgehend ein Bündel von Maßnahmen, um dem Kardinalsyndrom der Altersmedizin, der „Frailty“ (Gebrechlichkeit), vorzubeugen oder diese zu behandeln (Zusammenfassung in [6]). Gebrechliche ältere und alte Menschen sind beeinträchtigt durch verminderte Kraft und Ausdauer und reduzierte physiologische Funktionsreserven und gefährdet durch eine erhöhte Vulnerabilität für Komplikationen und den Verlust von Autonomie in ihrer Lebensführung. Der ganzheitliche Ansatz der Geriatrie zielt dabei darauf ab, Frailty als multidimensionales Syndrom physischer, psychischer und sozialer Beeinträchtigungen in allen Facetten zu adressieren.
Kardiovaskuläre Prävention trägt wissenschaftlich belegt zur Langlebigkeit bei
Die Pathogenese der Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Alter hat eine erhebliche Schnittmenge mit den molekularen Alterungsprozessen; kardiovaskuläres Altern und Langlebigkeit sind miteinander verbunden. Die kardiovaskuläre Prävention mit Fokus auf den klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren macht auch bei älteren Menschen Sinn und wird ausdrücklich von den europäischen und deutschen kardiologischen Fachgesellschaften empfohlen. [7,8] Die „Life‘s Essential 8“ der kardiovaskulären Gesundheit, die die American Heart Association 2022 vorgestellt hatte [9], wurden in einer Nachfolgepublikation 2023 altersunabhängig auch für betagte Menschen empfohlen [10], da eine Optimierung der Life‘s-Essential-8-Komponenten den Alterungsprozess auf multiplen molekularen und zellulären Pfaden günstig beeinflussen und so zu einer verlängerten Lebens- und Gesundheitsspanne beitragen kann. Im Detail werden praxisrelevante Maßnahmen in folgenden Bereichen empfohlen: Ernährung, körperliche Bewegung, Schlafdauer, Tabakverzicht, Gewichtsmanagement, Cholesterinkontrolle, Blutzuckermanagement, Blutdruckmanagement (deutsche Zusammenfassung in [11]).
Senotherapeutika sind in klinischer Erprobung
Ist jedoch „Altern“ (also nicht: „Alter“) die eigentliche Krankheit, die es zu behandeln gilt? Aus biogerontologischer und präventivmedizinischer Sicht erscheint dies nur logisch. Inzwischen werden neben der kalorischen Restriktion auch mehrere medikamentöse Behandlungsstrategien zur Behandlung des biologischen Alterungsprozesses verfolgt, unter anderem mit Rapamycin und -analoga, Senolytika und Metformin sowie GLP-1-Rezeptoranaloga. [12] Senolytika sind Substanzen oder Kombinationen von Substanzen (zum Beispiel Dasatinib und Quercetin) mit dem Ziel, seneszente Zellen, die durch akkumulierte Schäden funktionsuntüchtig geworden sind und Entzündungsmediatoren freisetzen, durch induzierte Apoptose zu eradizieren.
Fazit
Die etablierten Maßnahmen der Krankheitsprävention sind geeignet, Krankheiten zu vermeiden und die Lebens- und Gesundheitsspanne zu erhöhen. Senotherapeutika sind in klinischer Erprobung.
Quelle: Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V., 13. März 2025, Berlin
Literatur
1. UN Resolution 75/131 (2020) United Nations Decade of Healthy Ageing 2021-2030. https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N20/363/87/PDF/N2036387.pdf?OpenElement
2. WHO (2020) Decade of healthy ageing: Plan of action. https://www.who.int/publications/m/item/decade-of-healthy-ageing-plan-of-action
3. Hayden, EC (2007) A New Angle on „Old“. Nature. 450 (7170): 603–605
4. López-Otín C et al. The hallmarks of aging. Cell. 2013 Jun 6;153(6):1194-217. doi: 10.1016/j.cell.2013.05.039.
5 Franceschi C et al. Inflammaging and ‘Garb-aging‘. Trends Endocrinol Metab. 2017 Mar;28(3):199-212. doi: 10.1016/j.tem.2016.09.005.
6. Hoffmann U, Sieber CC. Ist Alter eine Komorbidität? [Is Age a Comorbidity?]. Dtsch Med Wochenschr. 2017 Jul;142(14):1030-1036. German. doi: 10.1055/s-0042-109861. Epub 2017 Jul 20. PMID: 28728197.
7. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (Stephan Gielen, Wolfgang Koenig, Ulf Landmesser*, Rona Reibis, Joachim Weil, Harm Wienbergen, *Für die Kommission für Klinische Kardiovaskuläre Medizin der DGK) (2021) Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. https://leitlinien.dgk.org/files/03_ pocket_leitlinien_praevention_aktualisiert.pdf
8Visseren FLJet al. ESC National Cardiac Societies; ESC Scientific Document Group. 2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eur Heart J. 2021 Sep 7;42(34):3227-3337. doi: 10.1093/eurheartj/ehab484. PMID: 34458905.
9. Lloyd-Jones DM et al. American Heart Association. Life‘s Essential 8: Updating and Enhancing the American Heart Association‘s Construct of Cardiovascular Health: A Presidential Advisory From the American Heart Association. Circulation. 2022 Aug 2;146(5):e18-e43. doi: 10.1161/CIR.0000000000001078. Epub 2022 Jun 29. PMID: 35766027; PMCID: PMC10503546.
10. Kumar M et al. Life‘s Essential 8: Optimizing Health in Older Adults. JACC Adv. 2023 Sep;2(7):100560. doi: 10.1016/j.jacadv.2023.100560. Epub 2023 Aug 23. PMID: 37664644; PMCID: PMC10470487.
11. Müller-Werdan U, Rosada A, Norman K. Kardiovaskuläre Prävention im Alter [Cardiovascular prevention in old age]. Z Gerontol Geriatr. 2024 Oct;57(6):447-451. German. doi: 10.1007/s00391-024-02355-8. Epub 2024 Sep 16. PMID: 39283336.
12. Guarente L, Sinclair DA, Kroemer G. Human trials exploring anti-aging medicines. Cell Metab. 2024 Feb 6;36(2):354-376. doi: 10.1016/j.cmet.2023.12.007. Epub 2024 Jan 4. PMID: 38181790.