Intramuskuläres Adrenalin als Mittel der Wahl bei Anaphylaxie
Anaphylaxie ist der bedrohlichste Zustand bei der Allergie. Häufigste Auslöser mit relativen Anteilen über 50 Prozent sind nach aktuellen Daten des Anaphylaxie-Registers Nahrungsmittel bei Kindern und Jugendlichen und Insektengifte bei Erwachsenen. Anaphylaxie kann aber auch als Berufskrankheit, etwa bei Kontakt mit Latex, Medikamenten, Chlorhexidin oder Laborchemikalien bei medizinischem Personal auftreten, betonte Professor Johannes Ring, Klinik für Dermatologie und Allergologie der TU München, bei einer Veranstaltung zum Thema im Rahmen des 14. Deutschen Allergiekongresses in Hannover.
Die Pathogenese der anaphylaktischen Reaktion beginnt mit der Mediatorfreisetzung nach Allergenkontakt, der die Funktion von Gefäßen (Vasodilatation, Permeabilitätserhöhung), Atemwegen (Bronchialobstruktion, Larynx-/Lungenödem) und Herz (Arrythmien, Ischämie, negative Inotropie) beeinträchtigt und so zu Hypovolämie, Hypoxie und Herzversagen mit potenziell tödlichem Ausgang führen kann. Zudem ist, etwa in Form einer Urtikaria, „bei fast 90 Prozent irgendwann die Haut beteiligt“, so Ring. Zu den möglichen Risikofaktoren gehört auch die Einnahme von Betablockern bei Anaphylaxie. Sie erhöhen zwar nicht die Häufigkeit anaphylaktischer Reaktionen, aber den Schweregrad ihres Verlaufs, und sollten, wenn möglich, bei prädisponierten Personen ersetzt werden. Verstärkt wird das Risiko schwerer allergischer Reaktionen und lebensbedrohlicher Anaphylaxien durch unspezifische Summationsfaktoren wie Alkoholkonsum, psychischen Stress, akute Infektionen oder schwere kardiovaskuläre Erkrankungen, so Ring weiter.
Im demnächst publizierten aktuellen Update 2019 der “S2k-Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie” liegt ein Schwerpunkt auf praktischen Empfehlungen für Alltags- und Praxissituationen. Für die notfallmäßige Anwendung von Adrenalin mittels Autoinjektor (AAI) hat die intramuskuläre Injektion klar den Vorzug vor der i.v-Gabe, auch bei wiederholter Adrenalingabe. Diese sollte bei mangelndem Effekt der Erstinjektion nach spätestens fünf Minuten erfolgen und notfalls erst danach unter Puls- und Blutdruckkontrolle von einer i.v.-Injektion gefolgt werden. Bei überschrittenem Verfallsdatum kann die Wirkung schwächer sein, doch ist die Anwendung des abgelaufenen AAI besser als gar kein Adrenalin, so Ring. Zu den wichtigen allgemeinen Maßnahmen im anaphylaktischen Schock gehört die richtige Lagerung des Patienten (meist in Trendelenburg-Position, nur bei Asthmatikern aufrecht) eine Latexfreie Versorgung mit Anlage eines venösen Zugangs und die Gabe von Sauerstoff.
Adrenalin als wesentliches Pharmakon antagonisiert mit Hypovolämie, Ateminsuffizienz und Herzversagen die gefährlichsten anaphylaktischen Effekte, hat aber eine geringe therapeutische Breite. Trotz genereller Dosierungsempfehlungen „gibt es keine Studien oder Dosis-Wirkungskurven“, so Ring. Entscheidend sei der Eintritt der Wirkung. In der Initialphase der Anaphylaxie ist die i.m.- Injektion vor allem bei Selbstmedikation die Methode der Wahl, wie Untersuchungen zeigen. Damit wird 96 Prozent des Adrenalins mit einem Autoinjektor (Fastjekt®) binnen einer Sekunde ins Muskelgewebe injiziert. Kardiovaskuläre Nebenwirkungen wie Arrythmien, koronare Minderperfusion oder Herzmuskelnekrosen können ebenso auftreten wie übersteigerte Symptomwahrnehmung bei Panikattacken. Autoinjektoren gehören ebenso zum Notfallset zur Selbsthilfe bei Anaphylaktikern wie Antihistaminikum, Kortisonpräparat oder ein Betamimetikum bei Atemnot und Asthma. Als Besonderheit des Fastjekt®-AAI hob Ring dessen mit jetzt 24 Monaten um sechs Monate längere Haltbarkeit im Vergleich zu Referenzprodukten hervor. Mögliche Indikationen für das zusätzliche Mitführen eines zweiten AAI sind ein höheres Körpergewicht, aber auch schwere Anaphylaxien in der Vorgeschichte oder eine Mastozytose.
Nach dem neuen Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung muss die Apotheke zwar den preisgünstigsten AAI abgeben, bei fehlendem Aut-Idem-Kreuz sollte aber sichergestellt sein, dass der Patient mit der Handhabung des abgegebenen AAI vertraut ist. Aufgrund pharmazeutischer Bedenken kann der Apotheker den Austausch des gelernten AAI verhindern, am besten sollte aber der Arzt dies durch das Setzen des Aut-idem-Kreuzes bei der Verordnung eines AAI unmittelbar ausschließen.
Abschließend wies Ring auf den Nutzen einer standardisierten ambulanten Anaphylaxieschulung zur tertiären Krankheitsprävention hin. Auf eine erfolgreiche Akutbehandlung sollte zudem eine Allergiediagnostik und – wenn möglich – eine Allergenspezifische Immuntherapie folgen.
Auf ein höheres Lebensalter als stärksten Risikofaktor für eine schwere Anaphylaxie sowie auf Defizite in der Therapie wies Prof. Margitta Worm von der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Berliner Charité hin. Auswertungen des Europäischen Anaphylaxie-Registers der Jahre 2007- 2018 zeigten, dass auch bei schweren anaphylaktischen Reaktionen (Grad IV) bei 30,7 Prozent der Patienten kein Adrenalin verabreicht wurde und fast ebenso viele (29,3%) mehr als eine Adrenalingabe benötigten. Studien, in denen eine unzureichende Wirkung einer initialen Adrenalingabe zwischen 15 und 32 Prozent lag, liefern die epidemiologische Evidenz für die Anwendung von zwei AAIs. In Deutschland liegt der Anteil einer AAI-Doppelverordnung insgesamt nur bei etwa 31 Prozent, doch wird Kindern und besonders Jugendlichen von 12-19 Jahren deutlich häufiger (56%) mehr als ein AAI verordnet. Gemäß der Empfehlungen von EMA und BfArM sollten ständig zwei AAI mitgeführt werden, insbesondere bei einem sehr stark ausgeprägten anaphylaktischen Schock, großer Entfernung zu ärztlicher Hilfe oder unzureichender Wirksamkeit einer Erstinjektion. Der Arzt hat folglich das Recht, seine Patienten bestmöglichst zu versorgen, insbesondere seine Hochrisikopatienten für eine schwere Anaphylaxie.
Zwischen verschiedenen Injektionssystemen gibt es deutliche Unterschiede: So hat eine aktuelle, offene, randomisierte vierwöchige Crossover-Studie bei gesunden Erwachsenen zum Vergleich der Adrenalin- Injektion mittels Autoinjektor (Fastjekt®/Epipen®) vs. Spritze pharmakokinetische Vorteile für das AAI-System ergeben. Damit ließen sich – insbesondere bei Injektion in den mittleren Oberschenkel – schneller anflutende und zugleich höhere Adrenalindosen applizieren als mit einer Adrenalin-Spritze, obwohl bei letzterer die Nadellänge optimiert wurde, so Worm abschließend.
Quelle: Symposium „Schwere Allergien – Eine gute Versorgung durch gute Teamarbeit“ im Rahmen des 14. Deutschen Allergiekongresses, 26. September 2019, Hannover; Veranstalter: Mylan Germany