Knieendoprothese – Für welche Patienten ist sie eine Option?
Nach der Leitlinien-Empfehlung der Fachgesellschaft sollten vor einer Knieendoprothese Beschwerden über mindestens 3-6 Monate und der Nachweis eines Strukturschadens mittels Bildgebung sowie ein Versagen einer konservativen Therapie vorliegen, forderte Privatdozent Dr. Stefan Kirschner (Karlsruhe) bei einer Session im Rahmen des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) 2021. Ebenfalls erforderlich sind die Aussicht auf erfolgreiche Therapie sowie der Ausschluss von Kontraindikationen.
Zur Ermittlung des richtigen Zeitpunkts für eine Knie-TEP könne der Oxford Knee Score (OKS) helfen: Nach Daten aus dem englischen Endoprothesenregister [1] steigt die Wahrscheinlichkeit einer klinisch relevanten Verbesserung durch die Endoprothese, je niedriger (schlechter) der präoperative OKS ist. Dagegen führt z.B. die Implantation eines unikondylären Ersatzes bei reinen Belastungsbeschwerden und nicht ausgeprägtem Knorpelschaden ohne konservative Vorbehandlung ebenso zu unbefriedigenden Resultaten wie ein noch vorhandener guter Gelenkspalt bei akutem Beschwerdebeginn.
Wichtig für den Erfolg ist laut Kirschner eine partizipative Entscheidungsfindung gemeinsam mit dem Patienten. Starker Knieschmerz oder eine fortgeschrittene Osteoarthrose sind sehr gute Prädiktoren für einen Operationserfolg; schlechte Knochenqualität, Multimorbidität sowie eine ausgeprägte Adipositas reduzieren jedoch die Wahrscheinlichkeit eines guten Ergebnisses stark. Entgegen landläufiger Meinung auch unter Ärzten führt eine Implantation durchaus auch bei älteren Patienten oft zu guten Ergebnissen etwa bei selbständigem Gehen, Ankleiden und Aufstehen aus dem Bett, so Kirschner unter Verweis auf das aktuelle Weißbuch Alterstraumatologie und Orthogeriatrie. [2]
Der ideale Patient für eine Knie-TEP hat für ihn eine konservativ austherapierte Gonarthrose mit Beschwerden nur am Knie bei ansonsten guter Muskulatur und perfektem Haut-, Zahn- und Nagelstatus sowie aktuellen Befunden von Kardiologe, Internist und Hausarzt. Er ist aus seriösen Quellen gut über die OP informiert, bringt ausreichend Zeit für die Reha-Maßnahmen mit und wird von seinem Umfeld unterstützt. Deutlich fraglicher ist die Indikation dagegen bei gering ausgeprägter Arthrose, jedoch erheblichen Beschwerden, die sich auf Becken, Hüfte und Knie erstrecken, ohne stattgehabte physiotherapeutische oder medikamentöse Therapie. Ebenfalls ungünstig auf den Erfolg wirken sich erhebliche Begleiterkrankungen sowie fehlende soziale Kontakte des Patienten aus.
Alter und Adipositas sind klare Risikofaktoren
Die Indikation für eine Knieprothese in jungem Alter wird zunehmend häufiger gestellt, doch steigt damit auch die Wahrscheinlichkeit einer – meist weniger zufriedenstellenden – Wechseloperation, gab Professor Dr. Karl-Dieter Heller (Braunschweig) zu bedenken. Zugleich sinkt die Zufriedenheit jüngerer Patienten oft aufgrund unrealistisch hoher Erwartungshaltungen an das „neue“ Knie. Obwohl bei Knieendoprothesen Überlebenszeiten der Implantate von über 25 Jahren bei 85% dokumentiert sind, sollte bei jungen Patienten die Indikation äußerst zurückhaltend gestellt werden. Der Grund: Patienten, die bei Implantation jünger als 50 Jahre sind, steht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Revision bevor, bei einem Alter von 58 Jahren ist dies bei etwa 50% notwendig und erst bei einem Alter über 62 Jahren „ist die Wahrscheinlichkeit der Revision fast nicht mehr gegeben“, so Heller. Schwierigste Patienten sind junge Männer mit sportlichen Ambitionen und schweren präoperativen Beeinträchtigungen. Ein besonders hohes Revisionsrisiko tragen Patienten mit zementfrei implantierter Teilprothese und einem präoperativen Alter unter 55 Jahren. Diese Patienten sind dennoch meist am zufriedensten mit ihrer Versorgung. Auch ältere Patienten profitieren hinsichtlich der Lebensqualität und Mobilität oft erheblich von einer Knieprothese. Allerdings sollte stets die direkte Implantation einer Totalendoprothese (TEP) erwogen werden. Denn bei einem Wechsel von einer Umstellungsosteotomie (UOT) oder einem unikondylären Ersatz (UKA) auf eine TEP steigt das Risiko einer Revision der TEP deutlich [3,4]: nach der UOT liegt es bei 2-4%, nach einer UKA (Schlittenprothese) sogar bei 17-28% – oft verbunden mit einer danach deutlich reduzierten Patientenzufriedenheit.
Ein „gewichtiger“ Risikofaktor für die Endoprothese ist zudem Adipositas, so Heller weiter. Probleme bereiten hier operationstechnische Schwierigkeiten, aber auch meist zahlreiche Begleiterkrankungen wie Diabetes, Hypercholesterinämie, Hypertonie sowie die gesteigerte Gesamtmortalität. Nach Daten aus Australien [5] sind 55% aller Knie-TEP-Patienten adipös. Massiv adipöse Patienten (BMI > 40) benötigen zudem ein Implantat im Mittel 13 Jahre früher als Normalgewichtige. Das erhöht die Rate der Wundinfekte und auch der Wundheilungsstörungen signifikant. Wundheilungsstörungen wiederum steigern die langfristige Rate empfundener Schmerzen und auch das Risiko einer periprothetischen Infektion in den ersten 90 Tagen nach Implantation deutlich. Gleiches gilt für die Revisionsrate, die Gefahr eines schlechteren funktionellen Resultats sowie eine erhöhte Mortalität, die alle positiv mit einem BMI > 30 korreliert sind. Eine Gewichtsreduktion gelingt jedoch in 80% der Fälle weder vor noch nach der Knie-TEP. Bei jedem fünften adipösen Patienten findet sich 12 Monate nach dem Eingriff sogar eine Gewichtszunahme. Bariatrische Chirurgie ist nur teilweise erfolgreich und erfordert zudem wegen des zunächst katabolen Zustands einen größeren zeitlichen Abstand vor der Knie-TEP. Vor allem die Hypoalbuminurie ist hier ein Risikofaktor für postoperative Komplikationen.
Speziell bei adipösen Patienten sind unzementierte Prothesen deutlich weniger von aseptischen Lockerungen betroffen als zementierte. Zu berücksichtigen ist jedoch allgemein, dass für einen Teil der im Markt befindlichen Prothesen gemäß Produktbeschreibung eine Adipositas (BMI > 30) als Kontraindikation für die Implantation gilt.
Eine Analyse von 511 Knie-TEP- Operationen fand bei Adipösen in 9% der Fälle Wundkomplikationen und eine Wiederaufnahmequote dieser Patienten von 33%. Zudem war ein größerer operativer Zugang erforderlich, die OP dauerte länger und war schwieriger.
In der Summe erfordere die Knie-TEP daher ein optimales perioperatives Patientenmanagement mit guter Vorbereitung bei bestmöglichem Gesundheitszustand, perfekter Planung sowie optimaler Nachsorge, so Heller. Er empfiehlt, eine elektive Operation nicht bei einem BMI > 40 anzubieten, Albuminwerte zu kontrollieren und über erhöhte Risiken eindringlich aufzuklären. Auch über einen Off-Label-Use bei starkem Übergewicht müsse der Patient unbedingt vorab informiert werden.
Quelle: Sitzung: BS-12 „Aktuelle Fragen der Knieendoprothetik“ beim Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie 2021 (DKOU)
Literatur
1. National Joint Registry; www.njrcentre.org.uk
2. Hg. DGOU und DGG
3. Robertson O, Dahl AW, Clin Orthop Relat Res 2015; 473:90-93
4. Pearse AJ et al., J Arthroplasty 2012; 27(10)
5. Australien Orthopedic Association National Joint Replacement Registry, Annual Report 2020, Hip, Knee & Shoulder Arthroplasty