Haarbehandlung

Haarerkrankungen: Diagnostik hilft auch Patienten mit Alopezie

Betroffene mit Haarausfall oder Alopezie haben viele Fragen: Der genaue Blick auf die möglicherweise zugrundeliegenden Ursachen hilft den Patienten – selbst wenn es nur wenige Therapieansätze gibt, wie etwa Minoxidil.

Haarausfall wird häufig als Symptom und nicht als Diagnose bezeichnet: Genetische, endokrinologische, immunologische und entzündliche Prozesse kommen als Pathogenese von Alopezien in Frage. So kann beispielsweise die androgenetische Alopezie sowohl bei Männern als auch bei Frauen durch topische Minoxidil-Anwendung gut behandelt werden. [1]

Genetik von Haarerkrankungen: Diagnose hilft Patienten

Die Ursachen von genetisch bedingten Haarerkrankungen sind vielfältig. Nur wenn man bestimmte Mutationen kennt, kann man auch gezielt danach suchen. Für die meisten Formen der monogen vererbten isolierten Alopezien gibt es keine verfügbaren Therapien. Warum lohnt sich dennoch die Mühe, bei Haarlosigkeit genau hinzusehen, nach monogenen und genetisch komplexen Formen zu differenzieren?

Die Humangenetikerin Prof. Regina Betz, Universitätsklinikum Bonn, beschrieb bei der diesjährigen DDG- Tagung, dass es aktuell keine Routinediagnostik zur Untersuchung der genetischen Faktoren bei Alopecia areata gibt. Es gibt 13 bekannte Genorte, aber keine spezifischen bekannten Mutationen. Genetiker können den komplexen Erbgang erklären, aber aktuell keine spezifische Diagnostik in die Wege leiten. Und dennoch kann die Differentialdiagnose mit Humangenetikern den Patienten helfen: Wenn die Diagnose bestätigt wird, können Zweifel über zusätzliche Symptome ausgeräumt werden. Ein aktueller Therapiealgorithmus unterstützt hier. [2]

Je nach Erbgang kann das Wiederholungsrisiko für Eltern, Geschwister und die Patienten selbst definiert werden. Das Wichtigste für die Patienten, so Betz: „Die Odyssee der Suche nach möglichen Ursachen der Erkrankung hört auf.“ Für die Wissenschaftlerin sind all diese Fälle spannend, um mittelfristig die Physiologie des Haarwachstums aufklären zu können und langfristig neue Therapieansätze bei diesen Erkrankungen zu finden. [3]

Haut und Haar: Augen auf bei Supplementen

Bei Haarausfall wird oft der Ferritinwert kontrolliert. Hier beschrieb Prof. Ralph Trüeb, Wallisellen, dass in Studien kein Zusammenhang zwischen Ferritin-Spiegeln über 10 mg/l und dem Haarausfall beobachtet wurden. Häufige Eiseninfusionen können jedoch zu Hyperpigmentierungen führen. Er warnte auch, dass die unnötige Eisensupplementation bei jungen Frauen mit hohen Ferritinspiegeln erhöhten oxidativen Stress im Gesamtorganismus auslösen könne: „Bitte Eisen bei Frauen mit Haarausfall nicht unkritisch substituieren!“ Bei einigen Formen von Alopezie kann Vitamin D hilfreich sein, so dass die Spiegelbestimmung sinnvoll ist. Bei Patientinnen mit Übergewicht beobachtet er eine höhere Prävalenz an Mikronährstoffmangel bei Vitamin D, Eisen, Vitamin B12 und B1. Auch Zink und Biotin werden bei Haarproblemen gerne substituiert: Die Gabe von Zink über längere Zeit könne zu einer Kupferverarmung und Anämie führen, die einer Eisenmangelanämie ähnelt.

Die einzige Indikation zur Zinkgabe sei ein nachgewiesener Zinkmangel. Auch eine Überdosierung von Selen könne zu Haarausfall und Toxizitäten führen. Hohe Biotinspiegel können bei bestimmten Labormesssystemen von Schilddrüsenhormonen, Herzenzymen oder dem Tumormarker S100 in der Melanomnachsorge interagieren, so dass man die Biotingabe bei Laborkontrollen ansprechen sollte, so Trüeb. [4]

Neues in der Forschung: behaarte Zellen aus der Zellkultur

Die Entwicklung von Organoiden, also von Haut aus menschlichen Stammzellen, geht immer weiter:
Aus solchen pluripotenten Stammzellen konnte ein Team aus Boston ein vielschichtiges Haut-Organoid mit Dermis, Epidermis und auch mit aussprossenden Haarfollikeln herstellen. Die Zellen wachsen dazu erst in Zellkultur mit verschiedenen Differenzierungsfaktoren und werden dann zur weiteren Entwicklung in ein Mausmodell transferiert – über insgesamt 140 Tage. [5] Prof. Timo Buhl aus Göttingen beschrieb diesen Ansatz als Modell, an dem in Zukunft viele Erkrankungen wie Haarlosigkeit, Wundheilungsstörungen und genetische Hauterkrankungen untersucht werden können [6]: Hoffnung für Patienten mit Haarerkrankungen in der Zukunft!

Quellen: Virtuelle Symposien bei der diesjährigen DDG-Tagung, 15.-17. April 2021

Literatur

1. Wolff H et al. The diagnosis and treatment of hair and scalp diseases. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 377–86
2. Betz R. Alopezien und Hypotrichosen im Kindesalter: Wann muss an genetische Diagnostik gedacht werden? Monatsschrift Kinderheilkunde 2021;169:124–132
3. DDG-Tagung 15.4.2021, PV01/02: Born to be bald – Genetik von Haarerkrankungen
4. DDG-Tagung 15.4.2021, S27/01: Haare und Metabolismus
5. Lee J et al. Hair-bearing human skin generated entirely from pluripotent stem cells. Nature 2020;582(7812):399-404
6. DDG-Tagung 17.4.2021, PV05/01: Was gibt es Neues in der Forschung?