„Ärzte sollten schon in den Ausbildungskursen für Fillerinjektionen über das Notfallmanagement aufgeklärt werden“
Interview mit Dr. med. Melanie Hartmann, Hamburg
Dr. med. Melanie Hartmann ist Fachärztin für Dermatologie und Phlebologie mit den Spezialgebieten ästhetische Dermato- logie und Anti-Aging. Hier blickt sie auf eine langjährige Erfahrung mit minimal-invasiven Unterspritzungstechniken sowie internationaler Referententätigkeit zurück. In ihrer im Februar 2018 neu gegründeten Privatpraxis “Hanse Derma“ in der Hamburger Innenstadt wird als weiterer Schwerpunkt Lasermedizin auf höchstem Niveau angeboten. Wir sprachen mit Frau Dr. Hartmann über das aktuelle Thema Gefahrenmanagement im Bereich der Ästhetik.
Ästhetische Dermatologie:
Der Trend hin zu ästhetischen Behandlungen ist nach wie vor ungebrochen. Mit der steigenden Anzahl an Treatments steigt naturgemäß auch die Anzahl der unerwünschten Ereignisse. Worauf muss man hier als Behandler speziell bei Unterspritzungen mit Hyaluronsäure vorbereitet sein?
Dr. Hartmann:
Tatsächlich ist der angesprochene Trend gerade bei diesen Behandlungen in mehrfacher Hinsicht ansteigend: es werden nicht nur mehr Hyaluronsäureunterspritzungen durchgeführt, es wird heute auch durchschnittlich mehr Produkt pro Behandlung verwendet als noch vor ein paar Jahren. Hinzu kommt auch, dass nicht mehr abgewartet wird, bis die gespritzte Hyaluronsäure langsam vom Körper wieder abgebaut wird, sondern immer früher der unterspritzende Arzt wieder aufgesucht wird, um ja nicht wieder in das „alte“ Aussehen zurückzufallen. In der jüngeren Generation ist dabei ein „Auffallen“ z.B. der unterspritzten Lippen oft sogar gewünscht, in der älteren Generation liegt die Präferenz weiterhin doch eher bei einem natürlichen Aussehen.
Bei den möglichen Nebenwirkungen nach Unterspritzungen mit Hyaluronsäure muss man grundsätzlich zwischen häufigeren, sehr harmlosen und selteneren, aber gravierenderen Nebenwirkungen unterscheiden.
Ästhetische Dermatologie:
Wie häufig treten Nebenwirkungen bei den Unterspritzungen insgesamt auf? Was sind leichte und vertretbare Reaktionen und was sind schwerere Nebenwirkungen, die sofort behandelt werden müssen?
Dr. Hartmann:
Häufig sind z.B. Rötungen an den Einstichstellen, Schwellungen, manchmal auch kleinere Blutergüsse. Diese sind leicht zu handeln, gut mit Camouflage abdeckbar und verschwinden von selbst binnen weniger Tage. Dagegen sind schwere Nebenwirkungen solche, bei denen der Körper, insbesondere die Haut des Behandelten, Schaden nimmt. Wenn z.B. versehentlich Hyaluronsäure in ein Gefäß gespritzt wurde, kann sich dieses komplett verschließen und die Durchblutung an dieser Stelle der Haut ist nicht mehr gewährleistet. Es kommt in den nächsten Stunden zu einer livedoartigen Verfärbung der Haut, manchmal Tage danach zu Bläschenbildung (nicht zu verwechseln mit Herpesbläschen) und im schlimmsten Fall auch zur Nekrose, also einem irreversible Untergang des Gewebes oder in ganz seltenen Fällen sogar zu einer Erblindung am Auge.
Ästhetische Dermatologie:
Wie gehen Sie vor, wenn solche gravierenderen Nebenwirkungen auftreten?
Dr. Hartmann:
Zunächst muss ich betonen, dass in den allermeisten Fällen alles glatt läuft! Aber es ist trotzdem natürlich unerlässlich, auf den „Fall der Fälle“ bestmöglich vorbereitet zu sein. Deshalb sollte jeder Behandler, der mit Hyaluronsäure arbeitet, in seiner Praxis ausreichend Hyaluronidase als Notfallmedikament vorhalten. Bei uns ist dies z.B. das Produkt Hylase „Dessau“ von der Firma Riemser.
Unter Hyaluronidase versteht man eine Familie von Enzymen, die komplexe Kohlenhydrate in der extrazellulären Matrix spalten und so das Bindegewebe auflockern. Substrate der Hyaluronidasen sind in erster Linie die Hyaluronsäure sowie ein Hauptbestandteil des Knorpels, das Chondroitinsulfat.
Ästhetische Dermatologie:
Wie genau wirkt Hyaluronidase im Einsatz als Notfallmedikament bei Hyaluronsäurekomplikationen und gibt es auch hierbei Nebenwirkungen oder Unverträglichkeiten? In welchen Mengen und Abständen muss das Produkt dem Patienten verabreicht werden?
Dr. Hartmann:
Durch die Spaltung der komplexen Kohlenhydrate in der extrazellulären Matrix resultiert ein gewebeauflockernder Effekt, der für eine größere Durchlässigkeit des Bindegewebes sorgt. Die langen Hyaluronsäureketten werden quasi verkürzt und verkleinert. Wie bei jedem proteinhaltigen Produkt, kann es in seltenen Fällen zu Kreislaufreaktionen oder allergischen Reaktionen kommen. Durch die Anwendung von Hyaluronidase können bestehende Infektionen verstärkt werden. Im Allgemeinen ist es aber recht gut verträglich.
Zur Lokalanästhesie wird Hyaluronidase einmalig mit dem Betäubungsmittel zusammen gespritzt. Beim Auflösen des Gefäßverschlusses muss die Anwendung so oft wiederholt werden, bis eine Reperfusion der Arterie eintritt. Wenn man zu viel oder falsch gespritzte Hyaluronsäure auflösen möchte, wird 1:1 zur aufzulösenden Menge Hyaluronsäure auch die entsprechende Menge Hyaluronidase gespritzt.
Ästhetische Dermatologie:
Wie schnell muss nach einer schweren Nebenwirkung die Gegenreaktion erfolgen und wie lange dauert diese Behandlung?
Dr. Hartmann:
Eine wegweisende Studie an einem Kaninchenmodell konnte zeigen, dass die großflächige Injektion von Hyaluronidase in einem Zeitfenster von bis zu 4 Stunden nach der intraarteriellen Injektion von Hyaluronsäure-Fillern die Ausbildung von Nekrosen verhindern kann. In vivo konnte ferner unlängst gezeigt werden, dass extravaskulär injizierte Hyaluronidase die Wand kleiner Gefäße effektiv durchdringt und der Hyaluronsäure-Filler im Gefäß schon innerhalb einer Stunde aufgelöst werden konnte. Eine Kontrolle des Ergebnisses kann und sollte zwischen 1 und 7 Tagen erfolgen. Ggf. kann diese Behandlung so oft wiederholt werden, bis ein „restitutio ad integrum“ eingetreten ist. In der Regel sind 1-3 Sitzungen erforderlich.
Ästhetische Dermatologie:
Wie lange muss man nach einer Behandlung mit Hyaluronidase warten, bevor wieder eine Hyaluronsäure-Unterspritzung durchgeführt werden kann?
Dr. Hartmann:
Obwohl Hyaluronidase eher eine kurze Halbwertzeit besitzt, würde ich mindestens 4 Wochen bis zur nächsten Hyaluronsäure-Unterspritzung warten.
Ästhetische Dermatologie:
Sollte Ihrer Meinung nach mehr Aufklärung bezüglich der Nebenwirkungs-Problematik bei Hyaluronsäureunterspritzungen betrieben werden?
Dr. Hartmann:
Unbedingt sollte auf allen Fachvorträgen, bei denen es um Hyaluronsäure-Unterspritzungen geht, auch die Wirkweise der Hyaluronidase erläutert werden! Aber Ärzte sollten dringend auch schon in den Ausbildungskursen für Fillerinjektionen über das Notfallmanagement aufgeklärt werden, und zwar noch bevor die erste Spritze angewendet wird! Den Notfalleinsatz bei Gefäßverschlüssen halte ich persönlich für am wichtigsten. Es sollte jedem Arzt klar sein, wie er die Hyaluronidase anzuwenden hat, um dem Patienten in einem Notfall schnell helfen zu können.
Ästhetische Dermatologie:
Wo findet die Hyaluronidase sonst noch ihren Einsatz?
Dr. Hartmann:
Das Enzym Hyaluronidase wird in der Ophthalmochirurgie besonders bei Katarakt- und Strabismus-Operationen schon seit Jahrzehnten als Diffusionspromotor genutzt. Durch den gewebeauflockernden Effekt wird das Bindegewebe durchlässiger, so dass das gemeinsam mit der Hyaluronidase verabreichte Lokalanästhetikum tiefer in das Gewebe eindringen kann. Bei den mittlerweile auch in dermatologisch-ästhetischen Fachpraxen vermehrt durchgeführten Ober- und Unterlidplastiken bewirkt dieser sogenannte „Spreading Effekt“ nachweislich eine raschere und umfangreichere Analgesie des Operationsgebietes. Außerdem reduziert sich das zu injizierende Betäubungsmittel-Volumen sowie die postoperativen Schmerzen der Patientinnen und Patienten.
Ästhetische Dermatologie:
Setzen Sie selbst Hyaluronidase auch in anderen Bereichen ein?
Dr. Hartmann:
Hyaluronidase hat eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten. Dazu gehört die Entfernung von Lipomen, Atheromen, Warzen, Hämangiomen, Alterskeratosen und Fibromen, des Weiteren kosmetische Eingriffe, Operationen an Finger- und Zehennägeln und die Entfernung von Abszessen. Diese Eingriffe werden derzeit aber nicht von der Zulassung abgedeckt.
Ästhetische Dermatologie:
Kommen wir zurück zu den angesprochenen leichteren Nebenwirkungen, wie behandeln Sie diese? Geben Sie auch Empfehlungen zur weiteren Behandlung zu Hause?
Dr. Hartmann:
Bei den leichten Nebenwirkungen ist Geduld am wichtigsten. Man muss Hämatome und Rötungen nicht behandeln, sie verschwinden von selbst in den nächsten Tagen nach der Unterspritzung. Ich empfehle meinen Patienten aber gerne Produkte wie ein Aloe Vera Gel, um Irritationen schneller zu lindern und die bearbeitete Haut zu beruhigen und zu kühlen. Das Auftragen kann der Patient selbst täglich zu Hause durchführen.
Ästhetische Dermatologie:
Aloe Vera ist ja eine sehr alte Heilpflanze, die als Gel kühlende, abschwellende und entzündungshemmende Eigenschaften hat. Empfehlen Sie solche Produkte auch nach anderen Behandlungen?
Dr. Hartmann:
Im Rahmen meines ganzheitlichen Behandlungskonzepts rate ich ins- besondere nach dermatologisch- ästhetischen Behandlungen mittels Laser sowie anderen Eingriffen, welche die Haut reizen, etwa Mikro- Needelings und Peelings, gern zur Anwendung von Dr. Storz® ALOE VERA 97,5% Gel, das einen besonders hohen Aloe-Vera-Gehalt hat und frei von Parabenen sowie Farbstoffen ist. Nach derartigen Therapien berichten Patienten bei Anwendung des Gels über eine angenehm kühlende und die Haut beruhigende Wirkung. Die Beobachtung zeigt zudem, dass Rötungen und irritative Reizungen sowie Brennen und Juckreiz schneller abklingen und die Regenerationsphase abgekürzt wird. Diese gute Wirksamkeit des klinisch getesteten Medizinprodukts bestätigt sich nicht nur in meiner täglichen Praxis, sondern ist überdies auch durch Studien belegt. Aufgrund der sehr guten Hautverträglichkeit eignet es sich auch für den langfristigen Gebrauch – etwa zur begleitenden Therapie juckender Hautregionen, Besänftigung der Haut nach der Rasur oder Pflege und Schutz trockener Haut am gesamten Körper.
Ästhetische Dermatologie:
Inwieweit ist der heutige Patient aufgeklärt, werden Nebenwirkungen nach ästhetischen Eingriffen von den Patienten im Vorfeld thematisiert bzw. im Fall der Fälle schnell erkannt und wahrgenommen?
Dr. Hartmann:
Auch wenn der heutige Patient meiner Wahrnehmung nach im Vorfeld eher nicht gut über die schlimmeren und zum Glück aber selteneren Nebenwirkungen der Unterspritzung aufgeklärt ist und diese daher auch kaum thematisiert, so wird doch die schmerzhafte Akutproblematik des Gefäßverschlusses von den Patienten dann sehr schnell erkannt und wahrgenommen. Umso wichtiger ist es dann, dass der Behandler rasch und adäquat reagiert.
Ästhetische Dermatologie:
Sehr geehrte Frau Dr. Hartmann, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte S. Steffens