Hyaluron | Botulinumtoxin

Zur Verschreibungspflicht von Dermal Fillers

Interview mit Astrid Tomczak, München

Die Ästhetische Medizin ist eine Branche, die wie kaum eine andere zu seltsamen Auswüchsen neigt. Seien es neue Verfahren oder Geräte, die Anwendern und Patienten wahre Wunder versprechen und wenig davon einhalten, Produkte, die jahrelang ohne probate Zulassung auf dem Markt sind, oder Firmen, die ungeniert die Technologien der Konkurrenz kopieren und als eigene vermarkten. Das alles mag es natürlich auch in anderen Bereichen geben. Allerdings geht es dort in aller Regel nicht um ein solch hohes Gut wie die Gesundheit. Einer dieser Auswüchse, der seit einiger Zeit gewisse Ausmaße annimmt, ist die „Selbstmedikation“ von Patienten mit Fillern bzw. deren Anwendung durch medizinische Laien. Im Interview mit Medizincon- sultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) haben wir diese Entwicklung und mögliche Gegenmaßnahmen diskutiert.

Ästhetische Dermatologie:

Frau Tomczak, wie kann man sich diesen Trend zur Selbstmedikation mit Fillern in der Praxis vorstellen?

Astrid Tomczak:

Zunächst geht es darum, sich mit den notwendigen Unterspritzungsmaterialien zu versorgen. Das geht sehr einfach über diverse Plattformen im Internet. Da das Netz bekanntlich grenzenlos ist, kann sich der findige Patient seine Produkte nicht nur auf deutschen Plattformen besorgen, sondern auch gleich mit Preisvergleich in Frankreich, UK oder anderen europäischen Ländern shoppen. Auch über Plattformen wie Amazon, Facebook und Instagram wird fleißig verkauft. Nach eigener Erfahrung (n=4) kann ich sagen, dass mich keine dieser Plattformen um einen Nachweis in irgendeiner Form gebeten hat. Als nächster Schritt lässt sich über diverse YouTube-Videos und Foren von Gleichgesinnten die Applikationstechnik erfahren. Und dann kann es auch schon losgehen. Es ist geradezu lächerlich einfach, wenn man als Laie den Mumm hat, sich selbst zu stechen.

Ästhetische Dermatologie:

Wie kann es sein, dass die Produkte über das Internet bestellbar sind?

Astrid Tomczak:

Medizinprodukte bekommen im Moment des erteilten CE-Zertifikats einen europäischen Reisepass ausgestellt. Das heißt, sie können mit einer „Zulassung“ in allen Ländern der europäischen Gemeinschaft rechtmäßig gehandelt werden. Da sie auch in der höchsten Risikoklasse III, zu der zum Beispiel auch Brustimplantate und Herzschrittmacher gehören, nicht apothekenpflichtig sind oder der Verschreibungspflicht unterliegen, muss der Handel nicht über eine Apotheke erfolgen. Auch ein entsprechender Nachweis – wie ein Rezept – ist nicht erforderlich. Somit kann praktisch jeder die Produkte erwerben und diese weiterverkaufen. Die Internethändler sind zudem insofern bevorzugt, als sie schwer greifbar und praktisch jeder Kontrolle entzogen sind. Während reguläre, stationäre Händler die immer strenger werdenden Auflagen der Medizinproduktegesetze erfüllen müssen und auch Lager- und Versandbedingungen zu beachten haben, ist das bei Online- Händlern nur in der Theorie der Fall. Eine insgesamt bedenkliche Entwicklung!

Ästhetische Dermatologie:

Was kann hier getan werden?

Astrid Tomczak:

Es gibt einige Maßnahmen, die relativ schnell und unproblematisch umzusetzen wären. Zunächst einmal müssen die Hersteller wieder die Kontrolle über den Handel und Verkauf ihrer Produkte zurückerlangen. Der nach der bald vollständig anzuwendenden Medizinprodukteverordnung neu einzuführende Unique Identifier, macht in Zukunft die Reisestrecke eines jeden einzelnen Produkts transparent. An dieser nur einmal vergebenen Nummer lässt sich nachvollziehen, welcher Händler die Produkte an einen Internethändler oder eine Plattform verkauft hat, statt sich auf sein vertraglich vereinbartes Verkaufsgebiet zu beschränken und ausschließlich Fachkreise zu beliefern. Solche Maßnahmen sollten durch die Hersteller mit entsprechenden Vertragsstrafen oder gar dem Verlust der Distributionsrechte geahndet werden.

Der Handel über das Internet macht zudem nur Sinn, wenn es sehr große Preisgefälle zwischen den unterschiedlichen Ländern der europäischen Union gibt. Ein einigermaßen einheitliches Preisniveau von Herstellerseite würde dem Parallelhandel den Boden mehr oder weniger komplett entziehen.

Darüber hinaus gibt es auch Möglichkeiten, die Verkaufsaktivitäten von Internetplattformen mit rechtlichen Mitteln wie z.B. der Untersagung wegen unerlaubter Markennutzung zu beschränken oder ganz zu stoppen. Die Erfolgsaussichten müssen im Einzelfall untersucht werden, aber mir sind aus der persönlichen Praxis Fälle bekannt, wo dieser Weg gut funktioniert hat. Zumal man auch sagen muss, dass nicht jeder Händler die notwendigen Mittel und das Interesse hat, sich mit rechtlichen Fußangeln auseinanderzusetzen.

Dringend notwendig sind stärkere Kontrollen der Angebote in den Sozialen Medien und der dahinterstehenden Händler. Auch ein Onlineanbieter muss irgendwo ein Lager und einen entsprechenden Produktversand haben. Bei genauerer Überprüfung, u.a. durch Probebestellungen und Vor-Ort-Inspektionen, lässt sich schnell herausfinden, ob hier lege artis gearbeitet wird. Ich bin mir sehr sicher, dass sich die Anbieterlandschaft dadurch stark ausdünnen ließe.

Zu bedenken bleibt dabei immer, dass jede Einschränkung des freien Warenverkehrs dem europäischen Rechtsrahmen und gleichzeitig auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muss, also nicht über das Ziel hinausschießen darf.

Ästhetische Dermatologie:

Was halten Sie von den Bestrebungen, mittels einer Verschreibungspflicht mehr Kontrolle auszuüben?

Astrid Tomczak:

Hierzu vielleicht ein paar grundsätzliche Dinge zur Verschreibungspflicht im Allgemeinen. Zunächst ist es so, dass klassischerweise Arzneimittel aufgrund ihres Risikoprofils einer Verschreibungspflicht unterzogen werden. Ist das Risikoprofil eines Arzneimittels bei einer Selbstmedikation durch den Patienten eher gering, können Arzneimittel auch aus der Verschreibungspflicht entlassen werden. Typische Beispiele sind Mittel gegen Erkältungen oder Schmerzmittel in geringeren Dosierungen. Zuständig ist hier der Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht. Seine Empfehlungen werden in aller Regel vom Bundesgesundheitsministerium befolgt und enden in einer Anpassung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV).

Unsere Dermal Filler sind keine Arzneimittel, sondern Medizinprodukte. Grundsätzlich können auch Medizinprodukte einer Verschreibungspflicht unterliegen. Geregelt wird dies in der Medizinprodukteabgabeverordnung (MPAV). Die Verordnung kennt derzeit zwei Fälle:

1. Anwendung des Medizinprodukts ist durch den Laien vorgesehen und enthält Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die der Verschreibungspflicht nach der Arzneimittelverschreibungsverordnung unterliegen oder auf die solche Stoffe aufgetragen sind oder

2. Es handelt sich um ein Produkt aus Anlage 1 zur Verordnung (…“Oral zu applizierende Sättigungspräparate auf Cellulosebasis“…)

Unter keinen Tatbestand lässt sich der Hyaluronfiller subsumieren. Es müsste also ein neuer Punkt geschaffen werden. Historisch ist die MPAV entstanden, um eine Umgehung der Verschreibungspflicht von Arzneimitteln, die mit Medizinprodukten kombiniert verwendet werden, zu verhindern. Beide Fallgestaltungen behandeln bisher nur Produkte, die zur Selbstanwendung durch den Patienten bestimmt sind. Dabei wurden die Sättigungspräparate aufgrund der Notwendigkeit vorheriger ärztlicher Diagnose und ihres Gesundheitsrisikos bei Fehlanwendungen durch den Patienten verschreibungspflichtig. Letzteres lässt sich natürlich auch für Filleranwendungen bejahen. Die Selbstanwendung durch den Patienten ist jedoch die unrühmliche Ausnahme und nicht die Regel. Zudem muss das entsprechende Risiko auch an konkreten Fallzahlen nachgewiesen werden. Wir erleben jedoch gerade in der Ästhetischen Medizin ein signifikantes Underreporting und für die Vielzahl der Behandlungen auch relativ wenig Problemfälle. Es dürfte also schwer werden, den Nach- weis zu führen.

Ästhetische Dermatologie:

Und was sagen Sie zur Anwendung von Fillern durch medizinische Laien?

Astrid Tomczak:

Hier liegt nach meiner Ansicht ein Kontrollversagen der Behörden vor. Wir haben hierzu klare gesetzliche Vorgaben. Ich kenne zahllose Beispiele, bei denen lokale Ordnungs- und Gewerbeämter auf Unterspritzungstätigkeiten von Kosmetikerinnen etc. hingewiesen wurden und nicht gehandelt haben. Es ist nicht genug, immer nach neuen Gesetzen zu rufen, sie müssen auch durchgesetzt werden, und daran mangelt es nach meiner Erfahrung leider.

Ästhetische Dermatologie:

Sehr geehrte Frau Tomczak, vielen Dank für das Gespräch! 􏰃

Das Interview führte S. Höppner.