Hypophosphatasie

Hypophosphatasie – eine Kasuistik

Die Osteoporose ist eine häufige metabolische Osteopathie, die für eine Vielzahl von Frakturen verantwortlich ist (> 100.000 proximale Femurfrakturen im Jahr in Deutschland). Für die Diagnostik und Behandlung der Osteoporose gibt es evidenzbasierte Leitlinien (www.dv-osteologie.org), die ein klares, strukturiertes Vorgehen bei dieser Volkskrankheit ermöglichen. Dennoch sollte bei aller Routine bei der diagnostischen Abklärung von atraumatischen Frakturen darauf geachtet werden, dass seltene metabolische Knochenerkrankungen nicht übersehen werden. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Therapie bedeutsam, da diese unter Umständen ganz anders als bei der klassischen Osteoporose durchgeführt werden muss. Im Folgenden soll dies anhand einer Kasuistik dargestellt werden.

Kasuistik

2016 stellte sich die damals 57-jährige Patientin erstmals in der endokrinologischen Praxis vor. Die Frakturanamnese ergab eine aktuelle Weber A Fraktur am Sprunggelenk rechts und eine frühere Beckenfraktur. Weiterhin waren in der Jugend auffällig häufig Frakturen aufgetreten, allerdings immer in Zusammenhang mit Sportunfällen. Die Frakturheilung der Sprunggelenksfraktur war verzögert. In der Familienvorgeschichte war eine Häufung von Osteoporose- Erkrankungen auffällig.

Die DXA-Messung zeigte einen erniedrigten T-Wert am prox. Femur von -2,8. In der Laboranalytik zeigte sich eine erniedrige alkalische Phosphatase (26 U/l, bei einem Normbereich von 35-104). Dies ließ an
eine Hypophosphatasie denken. Im Folgenden wurde noch das Vitamin B6 (Pyridoxal-5-Phosphat) bestimmt, das mit > 70 μg/l (Norm 4 – 19) deut- lich erhöht war. Die Diagnose konnte mit einer molekulargenetischen Untersuchung bestätigt werden. Es wurde heterozygot im ALPL-Gen die Variante c.406C>T (p.Arg136Cys) nachgewiesen, die in der Literatur als ursächlich für Hypophosphatasie beschrieben wurde.

Zur Therapie wurde Teriparatid eingesetzt, weil hierfür kasuistische Evidenz vorliegt, dass sich mit diesem Medikament die Frakturheilung verbessert und die skelettäre Symptomatik gebessert wird [Scharla et al. 2007, Whyte et al. 2007]. Zunächst kam es auch zu einer Verbesserung der Symptome (Heilung der Fraktur, Reduktion der Schmerzen). Im Verlauf kam es dann allerdings zu weiteren Frakturen (z.B. Rippen) und im Kniegelenk zu einer Chondrokalzinose. Im Verlauf wurde die Patientin deshalb arbeitsunfähig.

2019 wurde dann mit der Enzymersatztherapie begonnen (Asfotase Alfa, Handelsname Strensiq®). Strensiq® ist seit 02.09.2015 für die Behandlung der Hypophosphatasie mit ersten Symptomen im Kindesalter zugelassen. Die Dosierung betrug 80 mg an jeweils 4 Tagen in der Woche. Unter der Behandlung besserte sich die Symptomatik und es traten keine neuen Frakturen mehr auf. Die Patientin konnte ihre Arbeit wieder aufnehmen.

Abb. 1a-b: Unterschenkelfraktur bei der Patientin (Weber A Fraktur und Residuen älterer Fraktur im Bereich der distalen Tibia).

Interpretation

Die Ursache der Hypophosphatasie ist ein Mangel oder ein Defekt des in Leber, Knochen, Knorpel und Niere gebildeten Isoenzyms der alkalischen Phosphatase (nicht gewebespezifische alkalische Phosphatase, TNSALP). Verschiedene Formen der Hypophosphatasie (aufgrund unterschiedlicher Mutationen) sind bekannt, die sich schon im Säuglingsalter oder erst im Erwachsenenalter manifestieren. Verschiedene Vererbungsmodi und zahlreiche Mutationen (> 300) im Gen für die TNSALP sind beschrieben.

Bei der Erwachsenenform treten schlecht heilende oder wiederkehrende Frakturen auf (Metatarsal, subtrochantäre Femurfrakturen, Unterschenkelfrakturen), es kommt zu Gelenkverformungen, Muskelschwäche, Ermüdungssyndrom, Immobilität, Arthrose, Osteomalazie, Pseudogicht, Chondrocalcinose, leichter Hypercalciämie, Nephrocalcinose, frühzeitigem Zahnverlust, Zahnkaries, Zahnverfärbungen.

An Hypophosphatasie sollte man bei den erwähnten Symptomen denken sowie bei niedriger alkalischer Phosphatase im Basis-Labor. Oft ist auch das Serumkalzium leicht erhöht. Zur weiteren Abklärung ist die Bestimmung von Pyridoxalphosphat, der aktiven Form von Vitamin B6, zu empfehlen, das in den allermeisten Fällen bei Hypophosphatasie erhöht ist. Zur Sicherung der Diagnose ist eine molekulargenetische Diagnostik möglich, die von verschiedenen Laboren auch in der GKV-Versorgung angeboten wird. In der Knochendichtemessung (DXA) sind die Messwerte nicht immer erniedrigt.

In der Therapie sind Kalzium- Präparate nicht indiziert, weil sie die Hyperkalzämie-Neigung verstärken können. Vitamin D verbessert die Symptomatik nicht. Eine Behandlung mit Teriparatid hat in den publizierten Kasuistiken unterschiedliche Ergebnisse gezeigt [Whyte et al. 2007, Scharla et al. 2007]. Bisphosphonate werden wegen der potentiellen Hemmung der Mineralisation nicht empfohlen, haben aber bei leichten Verlaufsformen dennoch in Einzelfällen auch eine Verbesserung der Symptomatik gezeigt [Scharla und Lempert 2017].

Seit September 2015 steht mit Asfotase Alfa eine Enzymersatztherapie zur Verfügung. Diese hat insbesondere bei Kindern eine gut dokumentierte therapeutische Wirkung (Verbesserung von Wachstum, Vermeidung von Frakturen) [Whyte et al. 2012, Kishnani et al. 2017, Kishnani et al. 2019, Klidaris et al. 2018, Scharla und Lempert 2019]. Für erwachsene Patienten mit Hypophosphatasie ist Asfotase alfa dann zugelassen, wenn die Symptomatik bereits in Kindheit oder Jugend begann (wie im obigen Fall).

Um die medizinische Notwendigkeit und somit die Wirtschaftlichkeit der Verordnung belegen zu können, ist auf eine gute Dokumentation der Diagnose, der schwergradigen klini- schen Symptomatik, des fehlenden Erfolgs anderer Therapiemaßnahmen und des Behandlungsverlaufes zu achten. ?

Literatur

1. Kishnani PS et al. Monitoring guidance for patients with hypophosphatasia treated with asfotase alfa. Molecular Genetics and Metabo- lism 2017:122:4-17

2. Kishnani PS, Rockman-Greenberg C, Rauch F, Bhatti MT, Moseley S, Denker AE, Watsky E, Whyte MP. Five-year efficacy and safety of as- fotase alfa therapy for adults and adolescents with hypophosphatasia. Bone 2019;121:149-162

3. Klidaras P, Severt J, Aggers D, Payne J, Miller PD, Ing SW. Fracture Healing in Two Adult Pa- tients with Hypophosphatasia After Asfotase Alfa Therapy. JBMR Plus 2018;2:304-307

4. Scharla SH, Mayer KH, Lempert UG. Treat- ment of hypophosphatasia with teriparatide (human parathyroid hormone 1-34). Exp Clin Endocrinol Diabetes 2007;115(Supplement 1):S1-S99

5. Scharla S, Lempert U. Hypophosphatasia in adult patients diagnosed with osteoporosis and treated with bisphosphonates. Abstract CD 60. Deutscher Kongress für Endokrino- logie 2017. ISSN 2510-4608 Jahrgang 2017

6. Scharla S, Lempert U. Behandlung einer er- wachsenen Patientin mit Hypophosphatasie mit Asfotase Alfa. Osteologie 2019;28:69-70

7. Wagner A. Hypophosphatasie – eine Kasuistik. Anregung zur Verbesserung der Kooperation von Unfallchirurgie und Osteologie. Osteo- porose & Rheuma aktuell 2018;1: 2-4

8. Whyte MP, Mumm S, Deal C (2007) Adult Hypophosphatasia treated with teriparatide. J Clin Endocrinol Metab 92: 1203-1208

9. Whyte MP, Greenberg CR, Salman NJ, et al. (2012) Enzyme-Replacement Therapy in Life- Threatening Hypophosphatasia. N Engl J Med 366:904-913