Hypophosphatasie

Hypophosphatasie mit Enzymersatz kausal therapieren

R. Freye

Die Hypophosphatasie (HPP) ist eine seltene erbliche Stoffwechselerkrankung mit einer geschätzten Häufigkeit schwerer Verlaufsformen von 1:100.000. Zugrunde liegt ein Mangel des Enzyms alkalische Phosphatase (AP), was eine ungenügende Mineralisation der Knochen zur Folge hat. Das dadurch nicht metabolisierte Kalzium sowie Phospat können sich in anderen Organen ablagern wie z.B. in Gelenken und Nieren bis hin zum ZNS. Prof. Dr. med. Christian Wüster (Mainz) erläuterte Diagnostik und kausale Therapie mittels einer Enzymersatztherapie (EET) bei einem Symposium im Rahmen des Osteologen-Kongresses 2022 in Baden-Baden.

Aufgrund der potenziell mannig­faltigen Störungen, welche die HPP hervorrufen kann, so der Endokri­nologe, ist die Manifestation sehr different, und viele Patient*innen sind auch gänzlich asymptomatisch. Die hereditäre Erkrankung beginnt oftmals schon im Säuglings­- oder Kindesalter; hier kann es in Bezug auf das ZNS zu Krampfanfällen kommen. Meist sind aber Knochendeformitäten anzutreffen, die fälschlicherweise für eine Rachitis gehalten werden können. Bei der adulten HPP impo­nieren in der Regel Muskelschwäche und ­schmerzen.

Pathognomonisch, und dies betonte Wüster ausdrücklich, ist bei Kindern der Ausfall der Milchzähne mitsamt der Wurzel. Dies sollte auch bei Erwachsenen anamnestisch erfragt werden, weil der kausale Therapie­einsatz einer EET mit Asfotase alfa (Strensiq®) an eine Symptomatik in der Kindheit gebunden ist. Bei Asfotase alfa handelt es sich um ein Orphan Drug.

Die HPP, nicht zu verwechseln mit der Hypophosphatämie, ist definiert als angeborene systemische Osteo­pathie, verursacht durch inaktivie­rende Mutationen von Genen für die AP. Unterschieden werden mehrere klinische Subtypen, wobei der in­fantile oder jugendliche Onset meist homozygot oder compound hetero­zygot vererbt ist; hingegen wird die Erwachsenenform in der Regel als heterozygot angesehen.

Labordiagnostik und Molekularbiologie

Für die Diagnostik der HPP wird – neben der Erfassung einer klini­schen Symptomatik – natürlich die AP gemessen, welche entsprechend zu niedrig ist (bei normalem gGT), wobei andere Ursachen hierfür ausgeschlossen werden sollten. Ist außerdem im Serum Pyridoxal­-5­-Phosphat (Vitamin B6) erhöht, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass eine heterozygote HPP vorliegt, hielt Wüster fest. Bei der Messung der AP bei Kindern ist die altersabhängige Erhöhung dieses Wertes zu berücksichtigen. Es folgt eine Mole­ kularbiologie; weiterhin wird klinisch entschieden, ob eine Bildgebung sinnvoll ist. Wüster sieht durchaus einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Genotypen im AP­Gen und den klinischen Manifestationen. Dabei unterscheidet er zwischen HPP­Patient*innen mit deutlichen Symptomen, milden Symptomen und anderen, die asymptomatisch sind. [1]

Eine Mutation beispielsweise an der Position c.1001 auf Exon 10 wird immer mit einer schweren Form einer Kindheits­HPP assoziiert. Wird eine solche Mutation in der Molekularbiologie gefunden, kann dies die Begründung der Indikation und damit der Medikation mit einer EET unter­ mauern. [2] Zu beachten ist aller­dings die alte und die neue genetische Nomenklatur.

Die klinischen Symptome bei Er­wachsenen mit HPP sind entweder asymptomatisch oder unspezifisch. Neben den Arthralgien und muskulo­ skelettalen Beschwerden ist ferner auf Gangstörungen zu achten. Hin­weise auf eine HPP liefern außerdem atraumatische Frakturen, Pseudo­frakturen, Stressfrakturen, Bone bruise und eine schlechte Fraktur­heilung. Eine erniedrigte Knochen­dichte (Osteoporose) kann vorliegen, muss aber nicht. [3]

Eigene Kasuistiken zeigen enorme Verbesserungen

Als ein Fallbeispiel berichtete Wüster von einer 65­jährige Patientin aus der eigenen klinischen Praxis, die über myopathische Beschwerden und diffuse Knochenschmerzen klagte, welche seit einigen Jahren progre­dient waren. Als Kind hatte sie einen abnormalen Zahnverlust und Thorax­deformitäten, weshalb die Diagnose damals ‘Rachitis‘ lautete. Da bei ihr zudem eine niedrige Knochendichte gemessen wurde, erhielt sie Denosu­mab, welches aber keinerlei Effekte auf die Klinik hatte.

Ab 2017 wurde eine kausale Thera­ pie mit rekombinanter AP, also mit Asfotase alfa, begonnen. Zum einen war eine deutliche Stimulation der durch Denosumab supprimierten Knochenumbau­Marker zu verzeich­ nen. Und seit 2019 „sind die klinischen Beschwerden verschwunden und die Patientin schwört auf die Therapie als den Durchbruch in ihrem Leben“, so Wüster.

Die zweite vorgestellte Patientin ist jetzt 78 Jahre alt, sie saß zuvor im Rollstuhl und war entmündigt, weil sie so hilflos war. Im Erwachsenen­ alter erlitt sie multiple Frakturen und bekam zahlreiche starkwir­kende Analgetika. Bei ihr stieg unter Strensiq® die AP erwartungsge­mäß drastisch an, ebenso fiel das Pyridoxalphosphat erheblich abe. Für diese Patientin selbst war aber entscheidend, betont Wüster, dass ihr Schmerz-­Score nahezu gegen Null ging. „Inzwischen nimmt sie gar keine Analgetika mehr und sagt: ‘Mir ging es noch nie in meinem Leben so gut‘.“ Und sie benötigt keinen Rollstuhl mehr.

Wüster fasste zusammen: Von Asfotase alfa als kausale EET bei HPP haben bisher ca. 70% seiner behandelten Patient*innen profitiert. Abgenommen haben die Schmerzen wie auch die Frakturrate; verbessert haben sich die Mobilität und die Lebensqualität. Vermutlich kann von einem aktivierten Knochenumbau ausgegangen werden mit größerer Knochendichte.

Juristische Fragen zum Einsatz einer EET

Der Fachanwalt für Sozial-­ und Medizinrecht Prof. Dr. med. Dr. jur. Christian Diercks (Berlin) erläuterte, inwieweit eine Gefahr von Regres­ sen bei Verschreibung des kosten­intensiven Strensiq® besteht. Bei der Rezeptierung von Arzneimitteln ist für den Arzt im Prinzip nicht von Belang, erklärte er, wie kostenträchtig das einzelne Präparat ist. Denn die Kosten werden zwischen dem phar­mazeutischen Unternehmen und dem Spitzenverband der GKV ausgehan­delt.

Der Arzt muss lediglich die korrekte Indikation zur Verordnung eines Medikaments beachten. Der Geset­zestext – „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwen­digen nicht überschreiten“ – besagt, dass wenn mehrere gleichwertige Medikamente zur Verfügung stehen, das kostengünstigere zu bevorzugen ist. Dies impliziert, dass wenn nur ein effektives Präparat zur Verfügung steht, es keinen Komparator gibt.

Diercks empfiehlt „bei kostenintensiven Medikamenten eine präzise Dokumenta­tion, um die Parameter der Wirtschaft­lichkeit nachzuweisen.“ Bezüglich der Zweckmäßigkeit ist die Stimmigkeit der zugelassenen Indikation mit der beim Patienten festgestellten Diagnose zu überprüfen. Und es müssen die in der Fachinformation dargestellten Kriterien der Dosierung und Diagnostik eingehalten werden. Dies lässt sich, so Diercks, am besten mit standardisierten Dokumenta­tionsbögen bewerkstelligen.

Quelle: Satellitensymposium „Störungen im Knochenstoffwechsel – eine Herausforderung“ im Rahmen des Jahreskongresses der DVO – Osteologie 2022, 19. September 2022, Baden-Baden; Veranstalter: Alexion Pharma Germany

Literatur

  1.  www.alplmutationdatabase.jku.at/table/
  2. Whyte MP et al., Bone 2015; 75: 229-39
  3. Shapiro JR et al. J Bone Miner Res 2017; 32(10): 1977-80