Impressionen aus dem Berufsalltag einer zertifizierten Wundschwester

Impressionen aus dem Berufsalltag einer zertifizierten Wundschwester

  1. Blankenburg
  2. “Wir behandeln keine Wunde, sondern einen Menschen“

Bis zu vier Millionen Menschen leiden in Deutschland an chronischen Wunden mit ständigem Verbandwechseln, Schmerzen, Jucken, Nässen, unangenehmen Gerüchen. Carina Hansmann ist zertifizierte Wundschwester – und erlebt ihren Beruf Tag für Tag als außerordentlich erfüllend. Weil sich im Rahmen des richtigen Netzes im Leben von Patienten auch mit problematischen Wunden einiges zum Besseren wenden lässt.

Diese Gewissheit war irgendwie immer schon da: „Wundversorgung – das ist mein Thema“, sagt Carina Hansmann. Gelernte Krankenschwes-ter und seit vielen Jahren in der am-bulanten und stationären Pflege, in ärztlicher Praxis sowie im Osten und im Westen Deutschlands beschlagen, fasst Carina Hansmann vor 14 Jahren den Entschluss, sich als Wundschwes-ter zu spezialisieren. Eine Entscheidung, die sie immer wieder so treffen würde. Eine Entscheidung, die die Geschichte der heute 46-jährigen zu einer macht, wie sie in Zeiten, da “Pflege“ allzu schnell mit “Notstand“ assoziiert ist, eben auch geschrieben werden.

Das Wundzentrum Jena liegt im Herzen der thüringischen 100.000-Einwohner-Stadt. Carina Hansmann ist hier eine von vier Spezialschwes-tern für die Behandlung therapieresistenter Wunden. Wobei – so würde sie das nicht formulieren. „Was behandeln wir denn? Eine Wunde? Oder einen ganzen Menschen?“ Zehn bis zwanzig und mehr Patienten werden pro Tag von Carina Hansmann und ihren Kolleginnen versorgt. Dazu ist sie zu Hausbesuchen und in Pflegeheimen unterwegs und berät Patienten in Spezialsprechstunden am hiesigen Universitätsklinikum sowie in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis.

Manche Patienten kennt sie, seit sie vor 14 Jahren hier im Wundzentrum ihren Dienst angetreten hat. Wie Herrn Schmidt, so wollen wir ihn an dieser Stelle nennen, der trotz seiner fast 70 Jahre und drei Dialyse-Behandlungen pro Woche partout den Job nicht aufgeben will. Der Arbeitsalltag mag Beine und Füße hartnäckig am Heilen hindern – und hält Herrn Schmidt doch am Leben. „Das müssen wir akzeptieren“, sagt Carina Hansmann. „An jeder Wunde hängt ein Mensch“, so nennt sie ihr Motto, „zu jeder Wunde gehört eine sehr persönliche Geschichte, ein ganz individueller Schmerz. Das muss man wahrnehmen.“

In zwei Jahren hat sich Carina Hansmann – berufsbegleitend – zum “Wundmanager“ der österreichischen Akademie für zertifiziertes Wund- management sowie zur “Wundexpertin“ der Initiative Chronische Wunden e.V. qualifiziert. Blockseminare besuchen, Hausarbeiten schreiben, für Klausuren büffeln neben dem Vollzeitjob – der bewältigte Aufwand gestattet der sportlich-adrett wirkenden, zierlichen Frau mit dem festen Händedruck und dem modisch silberblonden Kurzhaarschnitt heute täglich das zu tun, „was meine Leidenschaft ist“: etwas im Leben eines anderen zum Besseren wenden. Das erfüllt. „Von ‘heilen’ würde ich nicht sprechen, das muss der Körper selbst erreichen. Aber wir können ihn dabei unterstützen.“

Chronische Wunden sind eine komplexe Herausforderung

Freilich: chronische Wunden sind eine schier endlos komplexe Herausforderung. Deshalb scheitern ja – aller medizinischen Heilkunst zum Trotz – so viele Behandlungsmühen. Bis zu vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an chronischen Wunden, wie sie etwa in Folge von Diabetes, Gefäßerkrankungen oder durch Aufliegen entstehen. Nicht immer wird zuerst dem Übel auf den Grund gegangen. Oft werden Wunden über lange Zeit versorgt, ohne die eigent-liche Ursache zu beheben. Und mancher Hausarzt ist angesichts der fast unübersichtlichen Fülle an Produkten und Methoden weit weniger “fit“ als Carina Hansmann und ihresgleichen, was den aktuellen Wissensstand zu Versorgungsmöglichkeiten betrifft.

Dass die gebürtige Geraerin im 2016 als Teil des Jenaer Wundnetzes gegründeten Wundzentrum so gern arbeitet, liegt auch daran, dass man hier verstanden hat, dass der Not der Patienten ohne interprofessionelle Haltung, ohne gezielte Diagnostik und ohne ein gemeinsames Therapiekonzept nicht beizukommen sein wird. Angegliedert an das Medizinische Versorgungszentrum Zollmann & Kollegen mit Hautarztpraxis, Chirurgie und OP-Zentrum wird jeder Patient, der im Wundzentrum behandelt wird, bei jedem Besuch auch ärztlich betreut. Sei es, dass ein Facharzt – je nach Bedarf treppauf oder treppab – persönlich herbeieilt und eine Einschätzung vornimmt, oder aber mindestens zeitgleich anhand von dokumentierenden Fotos, welche die Wundexpertinnen im Computersystem ablegen, die Situation beurteilt. Alle ein bis zwei Monate erhalten Patienten mit besonderen Wunden die Einladung zu einer interdisziplinären Sprechstunde. Einzeln auf sämtliche Behandlungszimmer in Arztpraxen und Wund-zentrum verteilt, wird dann jeder von ihnen einer Schar vonÄrzten – Dermatologen, Phlebologen, nieder-gelassenen und stationär tätigen Internisten und Diabetologen, Gefäß- und Ulkuschirurgen – vorgestellt. „Wie zur Chefarzt-Visite“, sagt Carina Hansmann. „Ich erlebe das hier als einzigartig.“ Natürlich gibt es vergleichbare Ansätze und ähnliche Netzwerke mittlerweile auch andernorts. Aber noch längst ist die Versorgung der Patienten nicht verbreitet zufriedenstellend.

Nie mehr “schief gewickelt“

Und ja: ein Sandkorn im Getriebe gefährdet den Erfolg, gleich, wo es lagert. Nehmen wir das Thema Kompression als Beispiel, weil es auch das ist, zu dem die Jenaer Wundexpertin beim 1. Nürnberger Wundkongress einen eigenen Workshop anleiten wird. Titel: “Schief gewickelt – nicht mit uns!“ Mit der Kompression, sagt Carina Hansmann und spricht aus all ihren Berufsjahren Erfahrung als Krankenschwester und Pflegefachkraft und -spezialistin, ist das oft so eine Sache: Die Verbände werden als extrem lästig empfunden, sie drücken, jucken, sind gerade im Sommer unerträglich warm, man kommt damit nicht in die Schuhe … „Patienten, die keine Kompression wollen, haben tausend Ausreden. Für den ambulanten Pflegedienst ist das nicht leicht, schließlich muss man hier auch morgen wieder einen Fuß über die Schwelle setzen.“

Wie bei Frau – nennen wir sie hier – Müller, einer Dame von über 80 Jahren, die wieder und wieder ohne Kompressionsverband zur Sprechstunde ins Wundzentrum kam. Aber immer mit einem plausiblen Grund. Oder was sie dafür hielt. Bis Carina Hansmann, die ohnehin stets jeden ihrer Handgriffe geduldig erläutert, in der Überzeugung, „es wird zu wenig mit den Patienten besprochen, warum, wieso, weshalb“, zu einem ausführlichen Vortrag über die Funktionsweise des menschlichen Gefäßsystems, die Venenmuskelpumpe und den antagonistischen Imperativ des Kompressionsverbandes ausholte. Mit Erfolg. „Die Patientin hat die Strümpfe akzeptiert und ihre Beine konnten heilen.“

Andererseits: Viele Pflegedienste trauen sich nicht, den Verband so straff zu wickeln, wie es richtig wäre, weiß die zertifizierte Wundexpertin. Vielleicht aus Furcht, den Patienten weh zu tun. Wie es in ihrer Ausbildung zur Wundmanagerin von Zeit zu Zeit gefordert war, in kurzen Hosen zu erscheinen, leitet Carina Hansmann heute in ihren eigenen Workshops die Teilnehmer an, das Verfahren gegenseitig zu üben und zugleich am eigenen Leib zu erfahren. Befremdlich wirkt das manchmal zunächst auf die, die doch als “gestandene“ Pflegekräfte vor ihr sitzen. „Das habe ich aber anders gelernt“, den Satz hört Carina Hansmann in solchen Seminaren immer wieder. Und sieht doch tagtäglich an ihren Patienten, was eine wirklich gute Kompression bewirken kann.

Die Erfahrung gibt ihr Recht. Wundversorgung, das war eben immer schon ihr Thema.

Quelle: 1. Nürnberger Wundkongress