Langzeitüberleben nach Hautkrebs: Survivorship-Programme begleiten „den Weg zurück ins Leben“
Interview mit PD Dr. med. Andrea Forschner (Tübingen)
In der Dermato-Onkologie haben immense Fortschritte in Krebsfrüherkennung, Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten dazu geführt, dass immer mehr Patient*innen lange Zeit nach der Diagnose mit der Hautkrebserkrankung leben. Wer fünf Jahre nach der Krebstherapie ohne Rückfall lebt, gilt als geheilt. Aber ist er tatsächlich gesund? Wie leben Langzeitüberlebende, sog. Survivors? Die Anforderungen und Schwierigkeiten nach einer Hautkrebserkrankung sind individuell. Zunehmend gerät in den Blick, dass Langzeitüberlebende unter den Folgen einer Krebsbehandlung leiden, Spätschäden und weitere Gesundheitsprobleme aufweisen. Hier setzen Survivorship-Programme an. Zum aktuellen Stand haben wir PD Dr. med. Andrea Forschner, Dermatologin und Venerologin, Psychoonkologin und Leiterin der Melanomambulanz am Universitätsklinikum Tübingen, befragt.
Frau Dr. Forschner, was ist bei Hautkrebserkrankten genau unter Survivorship, also Langzeitüberleben, zu verstehen?
PD Dr. Forschner: Survivors sind ganz einfach Überlebende, also alle, die nach der Diagnose einer Hautkrebserkrankung überleben. Es gibt keine allgemein anerkannte Definition. Im engeren Sinne wird mit Langzeitüberlebenden jedoch ein Patientenkollektiv beschrieben, das nach Eintritt in das metastasierte Stadium, also das Stadium III oder IV, mindestens ein Jahr überlebt hat. Aktuell läuft dazu die „Message Studie“ mit dem Ziel, mindestens 1.000 Melanom-Patienten mit Stadium III zu befragen, die mindestens ein Jahr überlebt haben. Diese Befragung soll flächendeckend in Deutschland die Lebensqualität und den Gesundheitsstatus dieser Patienten erheben. In Tübingen führen wir aktuell eine Analyse von Langzeitüberlebenden durch, die seit Eintritt in das fernmetastasierte Stadium IV mindestens 5 Jahre überlebt haben. Wir werten dabei unter anderem aus, welche medikamentösen, chirurgischen oder strahlentherapeutischen Therapien diese Patienten hatten und wer davon heute noch unter einer medikamentösen Therapie steht. Erste Ergebnisse werden wir beim ADO Kongress 2023 präsentieren.
Worin liegen denn die besonderen Herausforderungen für eine individualisierte Nachsorge bei Langzeitüberlebenden im Rahmen von Survivorship-Programmen?
PD Dr. Forschner: Wenn wir die vorhin genannte Definition berücksichtigen, dann haben wir es hier, zumindest beim Melanom, ganz überwiegend mit Patienten zu tun, die eine adjuvante Therapie mit BRAF- und MEK-Inhibitoren oder PD-1-Antikörpern gerade eben hinter sich gebracht haben. Auch wenn viele dieser Patienten tumorfrei sind, so haben sie dennoch unter Umständen noch immer Probleme. Diese können von Lymphödemen nach operativen Eingriffen im Bereich der Axilla oder Leiste bis hin zur substitutionspflichtigen Hypophyseninsuffizienz nach abgelaufener Hypophysitis reichen. Andere Patienten sind durch ihre Sorge vor einem Rezidiv stark beeinträchtigt und brauchen psycho-onkologische Unterstützung oder sie benötigen Hilfe bei Problemen im beruflichen Umfeld. Eine besondere Herausforderung stellen cerebral metastasierte Patienten dar, also Patienten mit Hirnmetastasen, die in eine Komplettremission kommen. Sie haben häufig einen multimodalen Therapieansatz hinter sich mit Strahlentherapie, neurochirurgischen Eingriffen und/oder medikamentöser Therapie. Die hierbei unter Umständen auftretenden Langzeittoxizitäten wie beispielsweise eine kognitive Einschränkung können sehr herausfordernd sein. Hieraus ergibt sich schon die Notwendigkeit individualisierter Survivorship-Sprechstunden, die interdisziplinäre Unterstützung bieten können.
Durch die dermato-onkologischen Fortschritte leben immer mehr Patient*innen lange Zeit mit der Erkrankung oder gelten als geheilt. Was bedeutet das? Wo setzen Survivorship-Programme an?
PD Dr. Forschner: Survivorship-Programme sollten da ansetzen, wo die Bedürfnisse der Patienten liegen. Genau deshalb brauchen wir für effektive Survivorship-Sprechstunden erst einmal einen aktuellen Überblick über die Probleme und Bedürfnisse der Langzeitüberlebenden. Survivorship-Programme sollen „den Weg zurück ins Leben“ begleiten und möglichst gut unterstützen. Wenn solche Survivorship-Programme gut vernetzt sind, zum Beispiel innerhalb der jeweiligen Fachgesellschaften, können sie dabei helfen, dass Patienten und Ärzte fundiertes Wissen zugänglich gemacht bekommen und Forschungsprojekte realisiert werden können. Außerdem ist der intensive Kontakt zu Patientenvertretern von immenser Bedeutung. Seit Juni gibt es auch ein Survivorship-Komitee innerhalb der ADO, um hier synergistisch vorgehen zu können und Forschungsaktivitäten zu bündeln.
Wie gehen Ärzt*innen in der Praxis mit Cancer Survivorship um? Folgen von Operationen und Therapien können sich auf die Lebensqualität auswirken. Wird das Langzeitüberleben bereits bei der Diagnose und den Behandlungen von den Behandler*innen mit bedacht?
PD Dr. Forschner: Das ist in der Tat ein sehr wichtiger Punkt. Die adjuvanten Therapiestudien wurden an Patienten durchgeführt, die zum Beispiel eine komplette Lymphadenektomie erhalten hatten, teilweise sogar zusätzlich eine adjuvante Radiatio. Beides hat ein nicht unerhebliches Risiko für Lymphabflussstörungen oder Nervenschäden. Mit den nun verfügbaren medikamentösen Therapieoptionen und der Chance auf ein Langzeitüberleben brauchen wir Daten zur Wirksamkeit der adjuvanten Therapien, auch ohne radikale Lymphadenektomie oder Strahlentherapie, die unter Umständen
eine erhebliche Morbidität mit sich bringen. Auch im Blick auf Patienten mit Hirnmetastasen lohnt es sich, die kognitiven Einschränkungen, die zum Beispiel eine Ganzhirnradiatio mit sich bringen kann, zu berücksichtigen. Auch bei multiplen cerebralen Metastasen sind zum Beispiel mit kombinierter Immuntherapie Komplettremissionen erreichbar, auch ohne Radiatio. Die Melanompatienten etwa haben heute eine gute Chance, potentielle kognitive Einschränkungen noch voll mitzuerleben. Daher ist in diesem Bereich schon jetzt eine deutlich zurückhaltendere Einstellung zu bemerken als früher. Wir Ärzte sehen unsere Patienten jetzt erfreulicherweise auch Jahre nach abgeschlossener Therapie wieder und lernen hier auch immer noch dazu, was zum Beispiel die Langzeittoxizität betrifft.
Welche Möglichkeiten bieten Survivorship-Programme, um die Lebensqualität der Patient*innen während des krebsfreien Überlebens und beim Überleben mit einer chronischen oder fortschreitenden Krebserkrankung zu verbessern?
PD Dr. Forschner: Gute erreichbare Ansprechpartner müssen den Patienten bekannt sein. Es lässt sich nicht vorhersagen, an welchem Punkt der Patient im Laufe der Zeit Unterstützung benötigt, das kann sich auch von heute auf morgen ändern. Psychosoziale und psycho-onkologische Ansprechpartner sind hier ebenso wichtig wie Ärzte, die sich in der Langzeitbehandlung von Autoimmunkrankheiten auskennen, aber auch Zahnärzte, die Patienten bezüglich Xerostomie und Kariesprophylaxe beraten. Persistierende Polyneuropathien können eine Anbindung an Neurologen oder Schmerztherapeuten notwendig machen. Survivorship-Sprechstunden dienen hier zunächst der Bedürfnisanalyse und nachfolgend der Koordination der Ansprechpartner.
Cancer Survivorship-Programme gibt es international. Wo stehen wir in Deutschland?
PD Dr. Forschner: Survivorship-Programme sind mir vor allem für die häufigsten Krebsarten bekannt: das Mammakarzinom und das Prostatakarzinom. Für Melanom- oder andere Hautkrebspatienten gibt es bisher keine etablierten Programme, was auch Patientenorganisationen wie „Melanom info Deutschland“ bemängeln. Es gibt einen guten Ratgeber der ESMO, allerdings ist dieser sehr allgemein gehalten und geht wenig auf die spezifischen Bedürfnisse von Melanom- oder anderen Hautkrebspatienten ein. Der Fokus der benötigten Survivorship-Programme liegt klar auf Patienten nach abgeschlossener Systemtherapie, die entweder tumorfrei nach adjuvanter Therapie sind oder bei nicht resezierbaren Metastasen eine Komplettremission erlebt haben. Diese Patienten sind nicht mehr in 2-/3-/4- oder 6-wöchigen Abständen bei ihren Dermatoonkologen zur medikamentösen Behandlung. Sie brauchen auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Nachsorgeprogramme.
Inwieweit kann das Risiko für eine neue Krebserkrankung verringert werden?
PD Dr. Forschner: Langzeitüberlebende sind durch andere Krebsarten mindestens genauso gefährdet wie die Normalbevölkerung. Während der akuten Therapiephase treten bei diesen Patienten mitunter andere, etablierte Krebsvorsorgeprogramme in den Hintergrund. Die hierfür empfohlenen Untersuchungen wie zum Beispiel Koloskopien oder Mammographien werden nicht immer konsequent durchgeführt. Hier muss man ansetzen, in erster Linie durch Information bzw. Aufklärung. Daneben ist natürlich das Hautkrebsscreening von hoher Bedeutung für diese Patienten.
Für personalisierte Survivorship-Programme sind Datenerhebungen wichtig. Wie steht es mit einem differenzierten Krebsregister wie in anderen Ländern, das Betroffene mit Hautkrebs erfasst?
PD Dr. Forschner: Das ist ein sehr wichtiges und zentrales Thema. Innerhalb der ADO haben wir das ADOREG-Register, das bundesweit das größte prospektive klinische Register in der dermatologischen Onkologie darstellt und in das fast 60 Hautkrebszentren Daten einspeisen. Es sind insgesamt fast 11.000 Patienten mit Hauttumoren dort erfasst samt ihrer Krankheitsverläufe und regelmäßigem Update. Mit dieser Datenbank lassen sich auch Forschungsprojekte zum Langzeitüberleben realisieren. Antragsskizzen dazu sind bereits in Arbeit. Es gab dieses Frühjahr auch einen Aufruf der deutschen Krebshilfe, Förderanträge zum Thema „Survivorship“ einzureichen. Es tut sich viel. Die „abstrakten Langzeitüberlebenden“, die man anfangs vor allem im „Plateau“ am Ende der Kaplan-Meier-Kurven finden konnte, sind ganz real mittlerweile in den Zentren angekommen und nun liegt es an uns, für diese Patienten Survivorship-Programme und -Sprechstunden zu etablieren.
Quelle: Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie