Mit Kaltplasmatherapie gegen chronische Wunden?
Interview mit Brigitte Nink-Grebe, Generalsekretärin DGfW
In der modernen Behandlung chronischer Wunden spielt die Therapie mit Kaltplasma zunehmend eine zentrale Rolle. Hierbei wird ein energetisch aktiver Luftzustand mit antimikrobieller und antimykotischer Wirkung um die Wunde erzeugt, der desinfizierende und heilungsfördernde Eigenschaften aufweist. Doch ist diese Therapieform wirklich effektiv? Worauf ist bei der Anwendung zu achten? Und gibt es bereits wissenschaftliche Evidenz? Brigitte Nink-Grebe, Generalsekretärin der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V. (DGfW) gibt zu diesem aktuellen Themenkomplex Auskunft.
Bevor wir in das Thema Kaltplasmatherapien bei chronischen Wunden einsteigen, würden wir gerne etwas mehr über Sie erfahren: Für welches Aufgabengebiet sind Sie bei der DGfW zuständig und welche Berührungspunkte haben Sie mit dem Thema chronische Wunden?
Brigitte Nink-Grebe: Mein Aufgabengebiet als Generalsekretärin der DGfW umfasst alle Teilaspekte, die zur Implementierung einer evidenzbasierten Gesundheitsversorgung notwendig sind. Dazu gehört die Entwicklung von Leitlinien nach dem Regelwerk der AWMF ebenso wie deren Umsetzung in die Praxis und die Durchführung von eigenen Forschungsprojekten, die durch den Innovationsfonds gefördert werden oder als Kooperationspartner EU- oder ZIM-geförderter Projekte.
In diesem Kontext habe ich Berührungspunkte mit Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung schwer heilende und/oder chronische Wunden entwickeln, und mit Menschen, die diese Wunden zur Abheilung bringen und einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen leisten.
Wodurch entstehen Ihrer Erfahrung nach die meisten chronischen Wunden?
Brigitte Nink-Grebe: In der S3-Leitlinine „S3-Leitlinie 091-001 Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz“ werden chronische Wunden definiert als Integritätsverlust der Haut und ggf. einer oder mehrerer darunter liegender Strukturen mit einer fehlenden Abheilung innerhalb von acht Wochen. Das ist erst mal nur ein zeitlicher Rahmen und ich schätze, dass bei leitlinienbasierter Diagnostik und Therapie der Grunderkrankung und einer zielorientierten Wundtherapie ein Großteil der sekundärheilenden Wunden als auch ein Teil der gefäßbedingten Wunden zur Abheilung gebracht werden und deren „Chronifizierung“ verhindert werden könnte.
Anders zu betrachten sind die schwer heilenden Wunden, die Symptom einer Erkrankung sind und/oder aufgrund beeinflussender Nebenerkrankungen, psychischen Beeinträchtigungen, Suchterkrankungen, Ernährungsdefiziten, reduziertem Immunstatus, reduziertem Allgemeinzustand oder einer Lokalisation an Körperstellen mit viel Bewegung in der Abheilung verzögert sind und/oder die Lebensqualität des Betroffenen einschränken. Sie basieren meist auf chronischen Gefäßerkrankungen, die primär die Venen und/oder Arterien betreffen oder sind Spätfolgen eines Diabetes mellitus wie z.B. Nervenschäden, die zu Wunden an den Füßen führen. Immobile Menschen haben ein erhöhtes Risiko, ein Druckgeschwür zu entwickeln. Unser Ziel muss immer die Abheilung der Wunde, aber auch die Vermeidung bzw. Verlangsamung der progredienten Verläufe der Grunderkrankung sowie die Verbesserung der Lebensqualität sein
Was sind die Unterschiede zwischen der herkömmlichen Wundtherapie und der Behandlung mit Kaltplasma – gibt es bereits Studien, die zeigen, dass diese Therapieform schneller anhaltende Resultate bringt?
Brigitte Nink-Grebe: Die Kaltplasmatherapie kann und soll die „herkömmliche“ Therapie – also die Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankung, eine effektive Wundreinigung und die Substitution der fehlenden Haut durch Verbandmittel – nicht ersetzen. Zu Kaltplasma (Niedertemperaturplasma) liegen nur kleinere Studien zu DFU und UCV vor, aus denen sich nicht ausreichend Daten zu den kritischen Endpunkten unserer Leitlinie ableiten ließen. In den klinischen Studien wird zwar eine vorläufige Keimzahlreduktion und ein antibiotischer Effekt der Behandlung mit Niedertemperaturplasma berichtet; weiterhin gibt es Hinweise in Studien, dass die keimreduzierenden bzw. entzündungshemmenden Eigenschaften sowie die Anregung der Zellproliferation die Wundheilung positiv unterstützen können. Ob sich daraus jedoch ein Vorteil im für die Leitlinie relevanten Endpunkt „Wundheilung“ ergibt, ist nach der bisherigen Studienlage nicht erwiesen.
Die Zwischenergebnisse der POWER-Studie (Plasma On chronic Wounds for Epidermal Regeneration) mit 47 Studienteilnehmenden zeigen eine positive Tendenz in Bezug auf die Verkleinerung der Wundfläche und Verbesserung der Lebensqualität. Die DGfW ist deshalb auf die Gesamtergebnisse der noch laufenden POWER-Studie, die als randomisiertkontrollierte Studie (RCT) durchgeführt wird, sehr gespannt.
Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Vorteile der Kaltplasmatherapie?
Brigitte Nink-Grebe: Wie schon erwähnt, gibt es derzeit noch keine Studienergebnisse, die in Bezug auf den Endpunkt „Abheilung“ einen Vorteil belegen. Signifikanz wird nur bei der Reduktion der Wundfläche erzielt, jedoch weisen die Studien ein höheres Verzerrungspotential (Risk of Bias) auf. Insofern hat die POWER-Studie die Chance, einen neuen Studienstandard mit niedrigem Risk of Bias zu setzen.
Kaltplasma ist nicht gleich Kaltplasma – es gibt viele verschiedene Anbieter von unterschiedlichen Kaltplasmatherapiearten und -geräten auf dem Markt. Haben Sie eine Empfehlung, mit welcher Art der Anwendung im Krankenhaus- und Praxisalltag am effektivsten gearbeitet werden kann?
Brigitte Nink-Grebe: Bereits im Stellungnahme-Verfahren des G-BA zur „Richtlinie zur Erprobung der Kaltplasmabehandlung bei chronischen Wunden“ hat die DGfW darauf hingewiesen, dass unterschiedliche Technologien zur Erzeugung eines Kaltplasmas existieren und deshalb die Hersteller gefordert sind, das produzierte Kaltplasma bzw. dessen Bestandteile genauer zu definieren. Es muss nach Auffassung der DGfW bei einem Medizinprodukt sichergestellt sein, dass die Bestandteile jederzeit in gleicher Zusammensetzung verfügbar sind und die geplante Wirkdosis pro Anwendung unabhängig von der Expertise des jeweiligen Anwenders erreicht wird. Das heißt, es soll reproduzierbar festgelegt sein, welche Zusammensetzung und Wirkdosis pro Anwendung auf die Wundfläche aufgebracht wird.
Des Weiteren sieht die DGfW die Klassifizierung der meisten Kaltplasma-Geräte kritisch. Entsprechend der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (MDR) Anhang VIII (Regel 4) gilt, dass alle nicht-invasiven Produkte, die mit verletzter Haut oder Schleimhaut in Berührung kommen, der Klasse I zugeordnet werden, wenn sie als mechanische Barriere oder zur Kompression oder zur Resorption von Exsudaten eingesetzt werden. In Klasse IIb werden sie eingeteilt, wenn sie vorwiegend bei Hautverletzungen eingesetzt werden, bei denen die Dermis oder die Schleimhaut durchtrennt wurde und die nur durch sekundäre Wundheilung geheilt werden können. Wenn sie vorwiegend zur Beeinflussung der Mikroumgebung verletzter Haut oder Schleimhaut bestimmt sind, sowie in allen anderen Fällen, gehören diese zur Klasse IIa. Daraus ergibt sich meiner Meinung nach die Konsequenz, dass für Plasmageräte eine IIb Zertifizierung vorliegen muss.
Meine Empfehlung lautet daher, dass man beim Einsatz von Kaltplasma einerseits auf die Klassifizierung achten soll und anderseits eine Risikoabwägung durchführen muss, um die größtmögliche Patienten- und Anwendungssicherheit während der Plasma-Therapie zu gewährleisten. Aspekte zur Risikoeinschätzung sind die Über- und/oder Unterbehandlung von Arealen, Zellschäden durch „Überdosierung“, thermische Schäden an der Wunde und/oder der umgebenden Haut sowie eine nicht ausreichende Behandlungsintensität pro cm2 mit der Folge mangelnder Wirkung anhand der Hersteller-Angaben. Vor diesem Hintergrund müssten die unterschiedlichen Verfahren ihren Effekt auf die Wundheilung jeweils separat nachweisen.
Was muss nun seitens der Anbieter und der Kliniken getan werden, damit Kaltplasma als Alternative zur klassischen Wunderversorgung vermehrt in Praxen und Krankenhäusern eingesetzt werden kann bzw. sich der Einsatz auch lohnt?
Brigitte Nink-Grebe: Es muss ein Nutzennachweis erbracht werden, der den Effekt für akute, schwer heilende und chronische Wunden sowie für die einzelnen Verfahren berücksichtigt. Verglichen werden muss der Effekt mit einer Standardtherapie, die der aktuellen Leitlinie entspricht und auch vollumfänglich umgesetzt wird.
Welche Chancen und welche Signifikanz sehen sie in der Kaltplasmatherapie für die Zukunft?
Brigitte Nink-Grebe: Zur Signifikanz kann ich derzeit noch keine seriöse Aussage treffen. Das hängt von den Ergebnissen der aktuell durchgeführten Studien und den Ergebnissen der gesundheitsökonomischen Evaluation für diese Therapieform ab. Allerdings sehe ich weiteren Forschungsbedarf bei der Anwendung von Kaltplasma bei Wunden, die mit der leitlinienbasierten Standardtherapie schwer zu reinigen bzw. zu dekontaminieren sind. Dazu zählen vor allem Wunden, deren Reinigung nicht ausreichend mit Spüllösungen unterstützt werden kann.
Bei der bereits erwähnten POWER-Studie handelt es sich um eine randomisierte, kontrollierte klinische Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit von Plasmatherapie zur Behandlung chronischer, nicht heilender Wunden im Vergleich zur Standardwundtherapie. Die positiven Zwischenergebnisse in Bezug auf Wundflächenverkleinerung und Lebensqualität der Patienten geben Hoffnung auf ebenso positive Gesamtergebnisse, die die Wirksamkeit von Kaltplasmatherapie für chronische Wunden wissenschaftlich weiter untermauern könnten.
Das Interview führte Ann-Kathrin Ohlmann
Quelle: ABOPR Pressedienst