Orthopädie

Eine Pilotstudie zur Wirksamkeit des Therapeutischen Kletterns bei chronisch unspezifischem Rückenschmerz

Marcel Dittrich

Dipl. Sportwissenschaftler
Orthopädie-Zentrum
Bad Füssing
Waldstraße 12
D-94072 Bad Füssing

E-Mail: orthopaedie.forschung@drv-bayernsued.de

M.Dittrich, G. Eichner, A. Bosse, W.F. Beyer
Orthopädie-Zentrum Bad Füssing der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd, Bad Füssing (Leiter: Prof. Dr. med. W.F. Beyer)

Schlüsselwörter:

Therapeutisches Klettern – chronisch unspezifischer Rückenschmerz – motorische Fähigkeiten – Gesundheitszustand – Schmerzintensität

Zusammenfassung:

In einer kontrollierten Pilotstudie mit Wartezeitmodell im Prä-Post-Design mit 3-monatigem Follow-Up konnten eindeutige Effekte durch ein 12-maliges, 30-minütiges therapeutisches Klettertraining bei freiwilligen berufstätigen Probanden mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen ermittelt werden. Der Probandenpool von 55 Teilnehmern im Alter von 30 bis 65 Jahren zeigte unabhängig von Geschlechts- bzw. Gruppenzugehörigkeit sowie von den soziodemographi- schen Daten statistisch relevante Verbesserungen in Bezug auf den subjektiven Gesundheitszustand, die Schmerzintensität und die Funktionsbeeinträchtigung. Insbesondere verbesserten sich die Teilnehmer im motorischen Bereich, so steigerte sich die dynamische sowie statische Rumpfkraft, aber auch die Beweglichkeit.

Keywords:

Spine surgery – rehabilitation therapy – ability to work – sports and leisure time – health

Summary

A pilot study to the effect of the therapeutic climbing on the state of health, the pain state, the functional interference as well as the body strength, the balance ability and the mobility with chronical low back pain. In a controlled pilot study with waiting period model and a pre-post-design with 3-month follow- up unequivocal effects could be determined after a 12-times as well as 30-minute therapeutic climbing intervention with voluntary employed test persons with chronical low back pain. The test person’s poll of 55 participants at the age of from 30 to 65 years showed independently to the gender or group affiliation as well as the socio-demographic data statistically relevant improvements concerning the subjective health and pain state, as well as the functional interference on account of the back discomfort. In particular the participants improved in the motor area. Above all, the dynamic as well as static body strength, but also the mobility increased.

Das Therapeutische Klettern als eine neue Therapieform findet immer häufiger Anwendung in der Rehabilita- tion nicht nur bei orthopädischen, sondern auch bei neurologischen sowie psychosomatischen Indikatio- nen. Insbesondere eine Verbesserung der konditionellen Fähigkeiten (Kraft, Koordination, Beweglichkeit), aber auch ein positiver Einfluss auf die Konzentration und auf das Körper- bewusstsein werden dem Therapeuti- schen Klettern zugeschrieben [1 & 2]. In diesem Zusammenhang wurde im Orthopädie-Zentrum Bad Füssing eine Pilotstudie durchgeführt, in der die Wirksamkeit des Therapeutischen Kletterns überprüft werden sollte.

Abb. 1: Mittlere Veränderungen der Schmerzintensität, der Funktionsbeeinträchtigung und des körperlichen sowie psychischen Gesundheitszustands der Klettergruppe zu den Messzeitpunkten (IG: t1–>t2 und t2–>t3).

Studiendesign und Untersuchungsmethode

Bei dem vorliegenden Forschungs- projekt handelt es sich um eine prospektive, quasi-randomisierte und kontrollierte Pilotstudie im Prä-Post- Design mit 3-monatigem Follow-Up und einem zusätzlichen Wartezeit- modell. Insgesamt wurden 55 Freiwil- lige zwischen 30 und 65 Jahren mit der Indikation chronisch unspezifischer Rückenschmerz geschlechtsunspezi- fisch den Gruppen zugeteilt. Das durchschnittliche Alter der Interventi- onsgruppe (IG) lag bei 48,9 Jahren (BMI=24,6), das der Kontrollgruppe (KG) bei 54,5 Jahren (BMI=25,3). Die Studienteilnehmer erhielten zwölf Trainingseinheiten (2x pro Woche) à 30 min an einer stufenlos hydraulisch verstellbaren Kletterwand. Angewandt wurden Grundtechniken des Thera- peutischen Kletterns [3].

Haupt- und Nebenzielgrößen

Zur Analyse der Hauptzielgrößen wurden die Teilnehmer anhand von Fragebögen zu ihrem aktuellen Ge- sundheitszustand (SF-12), zu alltägli- chen funktionellen Beeinträchti- gungen (FFbH-R) und zu ihrem Schmerzempfinden (mod. Schmerz- intensität in Anlehnung an Von Korff) befragt.

Darüber hinaus wurden im Hinblick auf die Nebenzielgrößen zu den drei bzw. vier Testzeitpunkten (t0 = 3 Monate vor der Intervention, nur Wartezeitgruppe / t1 = unmittelbar vor dem Interventionsbeginn / t2 = unmit- telbar nach der Intervention / t3 = 3 Monate nach der Intervention) motorische Leistungstests durchge- führt. Folgende standardisierte Sub- tests wurden angewandt:

  • zur Beurteilung der isometrischen Rumpfkraft das Back-Check- Messsystem der Firma Dr. Wolff (Flexion, Extension, Lateralflexion links/rechts),
  • für die Analyse der dynamischen Rumpfkraft ein computergestütz- tes medizinisches Trainingsgerät – Rumpfrotator der Firma Proxo- med – (Wiederholungen links/ rechts im Sitz) sowie der Global- test nach Spring,
  • zur Beurteilung des statischen und dynamischen Gleichgewichts die MFT-Disc der Firma Bodyteamwork und
    • für die Rumpfbeweglichkeit der Finger-Boden-Abstand seitlich links und rechts sowie der Sit-and- Reach-Test.

Die RPE-Borg-Skala wurde herangezo- gen, um direkt nach den Krafttests und nach jeder Trainingseinheit das subjektive Anstrengungsempfinden der Probanden zu erfassen. Um mögliche äußere Einflüsse auf die Testergebnisse zu berücksichtigen, wurde in die letzte Befragung (Follow- Up) eine Checkliste zu evtl. Änderun- gen der ADL’s in den vergangenen drei Monaten mit einbezogen (zusammen- gestellt von der Studienleitung).

Ergebnisse

Infolge der Intervention bei Proban- den mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen zeigte sich bei folgenden Subtests ein signifikanter Gruppenunterschied im Vergleich zur Kontrollgruppe (Wartezeitmodell):

  • Für die Hauptgütekriterien der psychischen Summenskala des subjektiven allgemeinen Gesund- heitszustands (SF12) sowie der Schmerzintensität (mod. nach Von Korff) konnte für die Kletter- gruppe eine signifikante Verbesse- rung mit einem großen Effekt ermittelt werden [4].
  • Für die Funktionsbeeinträchtigung aufgrund der Rückenschmerzen, gemessen anhand des FFbH-R, konnten keine statistisch relevan- ten Zusammenhänge gefunden werden (vgl. Abb. 1).
  • Bei den Nebengütekriterien dieser Pilotstudie kam es zu signifikanten Steigerungen bei den statischen Rumpfkrafttests (IPN Back-Check, Fa. Dr. Wolff ) für die Extension und Lateralflexion links (vgl. Abb. 2).
  • Bei den Tests der dynamischen Rumpfkraft konnten im Vergleich zur Kontrollgruppe eindeutige Effekte für die Wiederholungszah- len des Rumpfrotators nach links und rechts (Proxomed) und für den Globaltest nach Spring ermit- telt werden (vgl. Abb. 3).
  • Zusätzlich zeigte sich eine einheit- liche Tendenz für die Beweglich- keit der Rumpfseitneige nach links (Finger-Boden-Abstand) zum Zeitpunkt nach der Intervention.
  • Im statischen und dynamischen Gleichgewicht, gemessen mithilfe der MFT-Disc (Fa. Bodyteam- work), ergaben sich für beide Gruppen zu allen Messzeitpunkten (KG: t0–>t1 und t1–>t2 und t2–>t3 / IG: t1–>t2 und t2–>t3) signifikante Steigerungen.

Die Follow-Up-Tests (t2–>t3) zeigten weder bei der Klettergruppe noch bei der Wartezeitgruppe Veränderungen. Tendenziell blieben die Therapie- erfolge des Therapeutischen Kletterns nachhaltig – auch über 3 Monate hin- weg – erhalten. Zwischen den Gruppen bestanden zum dritten Messzeitpunkt keine statistisch relevanten Unter- schiede (t3).

Abb. 2: Mittlere Veränderungen der statischen Rumpfkraft “Back-Check“ (Flexion/Extension/Lateral- flexion links und rechts) der Klettergruppe und Wartezeitgruppe zum zweiten Messzeitpunkt (IG und KG: t1–>t2).

Abb. 3: Mittlere Veränderungen der dynamischen Rumpfkraft (Wiederholungen für die Rotation nach links und rechts sowie den Globaltest nach Spring) der Klettergruppe und Wartezeitgruppe zum zweiten Messzeitpunkt (IG und KG: t1–>t2).

Diskussion

Durch das regelmäßige Klettertraining kam es zu einer Verminderung der Schmerzintensität sowie zu einer Verbesserung des psychischen Ge- sundheitszustands, zum Teil der Rumpfkraft und der Rumpfbeweglich- keit mit 3-monatigem nachhaltigen Effekt. Die Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten und das körperliche Gesundheitsempfinden haben sich, vermutlich aufgrund der hohen Ausgangswerte, nicht auffällig verän- dert. Die Kontrollgruppe zeigte nach der Wartezeit in keinem der genann- ten Hauptgütekriterien eine statistisch relevante Veränderung. Für vier der sieben gewählten Subtests zur Bestim- mung der statischen und dynamischen Rumpfkraft konnten eindeutige statistisch relevante Effekte der Klettergruppe nachgewiesen werden.

Auch Heitkamp et al. (2009) verwie- sen auf die Wirksamkeit des Thera- peutischen Kletterns durch eine signifikante Steigerung der Rumpf- kraft. [5] Die einheitlichen Effekte beider Gruppen in Bezug auf die Gleichgewichtsfähigkeit über den Zeitverlauf hinweg lassen sich vermut- lich auf Lern- und Übungseffekte dieses Tests zurückführen und können demnach nicht dem Therapieerfolg zugeschrieben werden.

Fazit für die Praxis

Als Fazit dieser Pilotstudie kann man von einem positiven Effekt durch ein regelmäßiges therapeutisches Kletter- training bei Probanden mit chroni- schem Rückenschmerz sprechen. Diese Effekte werden in einer Folge- studie anhand von stationären ortho- pädischen Rehabilitanden mit Kontrollgruppe überprüft und vergli- chen. Erste Ergebnisse befürworten die Therapieform des Therapeutischen Kletterns insbesondere bei Patienten mit chronisch unspezifischen Rücken- beschwerden als Alternative zu her- kömmlichen Bewegungstherapien. Das Therapeutische Klettern kann demnach als eine gleichwertige oder ergänzende Möglichkeit innerhalb der multimodalen aktiven Therapieformen des Standardkonzepts der Deutschen Rentenversicherung bei chronischem Rückenschmerz gesehen werden. Nicht erfragt wurde in diesem For- schungsprojekt der motivationale Aspekt der Studienteilnehmer mit chronischen Rückenschmerzen während des Therapeutischen Klet- terns. Zu vermuten ist jedoch, dass diese aktive Therapieform sogar von den Schmerzen ablenken könnte und somit eine Erklärungsmöglichkeit für die hier dargestellten Therapieeffekte ist. Weitere Studien sollten diesen interessanten Einflussfaktor beleuch- ten. •

Quelle: Vortrag gehalten bei der 61. VSOU-Jahrestagung, Baden-Baden

Literatur

  1. Lechner C. (2006): Klettern – Neue Kraft für Muskeln und Seele. In: Die Presse 13, 18. Sept.
  2. Lazik D. (2008): Therapeutisches Klettern. Stuttgart, Thieme Verlag.
  3. Friederich H. (2009): Online. URL: http//www.hajo-friederich/institut/therapeu- tisches-klettern (Stand:15.10.2012).
  4. Cohen J. (1988): Statistical power analysis for the behavioral sciences. 2. edition. Hillsdale, New Jersey, Lawrence Erlbaum Associates.
  5. Heitkamp H.C., Frank T., Rapp W. (2009): Die Aktivierung der Rücken- und Bauchmus- kulatur beim Klettern. Dt. Zeitschrift für Sportmedizin. Jg. 60. Nr. 7-8. S.173.