Orthopädie

Kausale Therapie akuter muskulär bedingter Kreuz-/Rückenschmerzen

Dr. A. Häckel

Orales Muskelrelaxans lindert Schmerzen hochsignifikant und klinisch relevant

Akute, meist durch Muskelverspannungen bedingte Kreuz- und Rückenschmerzen zählen in der Allgemeinbevölkerung zu den häufigsten Schmerzen überhaupt. Die 7-Tages-Prävalenz liegt aktuell bei fast 15 Millionen Menschen, entsprechend einem Drittel aller Erwerbstätigen [1], und die 12-Monats-Prävalenz sogar bei 51 Millionen Menschen, entsprechend 61% der Gesamtbevölkerung. [2]

Nach neuen Daten [3] ist im Zeitraum 2006-2016 in Deutschland der Anteil hiervon Betroffener zudem um 8,4% gestiegen, berichtete der Schmerzmediziner PD Dr. Michael Überall (Nürnberg) bei einer virtuellen Fachpressekonferenz zum Thema. Mit zunehmendem Alter sind

Betroffene auch zunehmend länger durch ihre Erkrankung belastet. So leiden über 70-Jährige im Mittel 14-16 Tage pro Monat an Rückenschmerzen. Therapeutisches Ziel sollte daher eine rasche Mobilisierung sein, um der Chronifizierung vorzubeugen. Doch die Chronifizierungsrate hat über alle Altersgruppen hinweg im Laufe der Zeit sogar noch zugenommen – von 5-10% in 2009 auf 12,4-18% im Jahre 2021 – und dies, obwohl die Anwendung bildgebender Diagnostik (v.a. MRT) in diesem Zeitraum um fast 66% angestiegen ist. [4] „Offensichtlich sind die Dinge, die man damit sehen kann, häufig nicht ursächlich für die Schmerz­ erkrankung und auch nicht für die Chronifizierung“, kritisierte Überall. Erschwerend komme eine mit 30­80% sehr hohe Rate falsch­-positiver radiologischer Befunde bei schmerzfreien Untersuchten hinzu. [5]

Abb. 1: Anwendungsrelevante Pharmakologie von Pridinol.

Leitlinien-Empfehlungen zielen an der Realität vorbei

Kritisch sieht der Experte auch aktuelle therapeutische Leitlinien­Empfehlungen. So fokussiere die „Nationale Versorgungs­-Leitlinie (NVL) Nicht­-spezifischer Kreuzschmerz“ [6] primär auf die möglichst kurze und orale Gabe von NSAR, ggf. in Kombi­nation mit einem Magenschutz (PPI) bei gastrointestinalen Risiken als einzige empfehlenswerte Therapie. Vernachlässigt werden in der Leit­linie hingegen ebenfalls zur evidenzbasierten Medizin gehörende Aspekte wie die Erwartungen der Betroffenen sowie die individuellen klinischen Erfahrungen der Behandler*innen. In der Praxis sind nach einer Quer­schnittsanalyse des Praxisregisters Schmerz tatsächlich zwei Drittel aller Patient*innen mit Rückenschmerzen aufgrund klinischer oder pharmako­logischer Risikofaktoren oder Kontra­indikationen für eine symptomatische NSAR­Therapie nicht geeignet.

Nach einer aktuellen Cochrane­-Metaanalyse [7] haben NSAR bei akuten Rückenschmerzen zudem allenfalls eine mäßige Wirkung, welche den Effekt von Placebo nur gering übersteigt. Die durch NSAR im Vergleich zu Placebo bei akuten Kreuzschmerzen erzielbare Verbes­serung von 7,29 mm auf der visu­ellen Analogskala (VAS) „liegt weit unterhalb dessen, was wir überhaupt
als klinischrelevant betrachten für die Therapie“, so Überall. Bei chronischen Kreuzschmerzen sind NSAR laut einer weiteren Cochrane­Analyse [8] einem Placebo sogar nur um 3,3 mm auf der VAS überlegen.

Es gibt einen klaren Bedarf für Muskelrelaxantien

Muskelrelaxantien werden in der NVL bei nicht­spezifischen Kreuz­schmerzen nicht empfohlen. Verordnungsdaten zeigen jedoch, dass diese Wirkstoffe in den letzten Jahren deutlich häufiger eingesetzt wurden insbesondere bei der Frühversorgung von Kreuzschmerz­Patient*innen durch Allgemeinmediziner, Inter­nisten und Orthopäden. [9]

Damit sei klar, so Überall, „es gibt einen Bedarf für die Anwendung von Muskeltonus­verändernden Medikamen­ten“. Als besonders geeignet sieht er neben Methocarbamol den Wirkstoff Pridinol (z.B. Myditin®) an, dank seiner – im Vergleich zu anderen, nicht explizit für Kreuzschmerz zugelassenen Muskelrelaxantien wie Tizanidin, Tolperison, Baclofen oder Diazepam – deutlich breiteren Indikationsbeschreibung.

Pridinol ist bei zentralen und peri­pheren Muskelspasmen, Lumbalgie, Torticollis sowie allgemeinen Mus­kelschmerzen bei Erwachsenen aller Altersstufen zugelassen [10], kann unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen und notfalls auch aufgelöst und über eine Magensonde verabreicht werden. Nach neuen pharmakokinetischen Daten [11] werden Maximalspiegel eine Stunde nach Einnahme erreicht, binnen 24 Stunden wird der Wirkstoff weit­gehend renal ausgeschieden (vgl. Abb. 1).

Neben der Antagonisierung muskarinerger Acetylcholin­ Rezeptoren im Rückenmark wird inzwischen zusätzlich eine periphere Wirkung an der präsynaptischen Membran der muskulären Endplatte postuliert. Im Gegensatz zu GABA­-Modulatoren wie Etomidat werde der Acetylcholin­-Antagonismus unter Pridinol nicht durch eine Beeinträchtigung der Entladungs­frequenz inhibitorischer Moto­neurone mit erhöhter Sturzneigung erkauft. Hinsichtlich der anticholi­nergen Belastung habe Pridinol ein günstiges Risikoprofil [12] und sei damit auch für ältere Patient*innen gut geeignet, so Überall.

Neue Daten zu Pridinol liefert eine aktuelle Metaanalyse placebokontrollierter Studien [13] jeweils über 21 Tage Anwendung sowohl bei intramuskulärer Anwendung (n=72) als auch bei oraler Gabe (n=270). Hier zeigten sich unter Verum sta­tistisch hochsignifikante als auch klinischrelevante Verbesserungen im Alltag der Patienten. Dies betraf sowohl den primären Wirksamkeits­-Endpunkt „Global Response“ als auch sämtliche untersuchten sekundären Endpunkte wie Schmerzen bei Bewegung und in Ruhe, Steifigkeit und Bewegungseinschränkungen. Unerwünschte Wirkungen waren in beiden Studien nicht signifikant häufiger als unter Placebo. Ein indirekter Vergleich mit verschiedenen NSAR (Diclofenac, Ibuprofen, Piroxicam und Tenoxicam) ergebe für Pridinol ebenfalls einen Vorteil auf hohem Signifikanzniveau mit hoher Alltags­ relevanz, so Überall.

Erfolge im Behandlungsalltag bestätigen gute Studienergebnisse

Daten von 1.133 Patient*innen des Praxisregisters Schmerz [14] unter Pridinol bestätigen die Effektivität der Substanz (s. Abb. 2). Bei diesen überwiegend an akuten funktionalen Schmerzen leidenden Patient*innen wurde das Muskelrelaxans im Mittel über 12 Tage (im Median 7 Tage) im empfohlenen Dosisbereich ein­gesetzt. Die Patient*innen waren meist mit NSAR (83,7%) oder Nicht­-Opioid­-Analgetika (53,2%) vor­ behandelt. Dabei nahm unter Pridinol die Schmerzintensität hochsignifikant und klinisch relevant ab (im Median von 52,3 mm VAS auf 20,3 mm). Zu­gleich waren Schmerzlinderung und funktionale Verbesserung praktisch zu 100% korreliert. „Alle Patienten unter Therapie hatten einen Benefit beim Einsatz von Pridinol“, so der Schmerz­ mediziner. Zugleich berichtete am Ende der Therapie die Mehrzahl der Patient*innen über eine Verbesse­rung ihres Wohlbefindens. Die Rate unerwünschter, aber nicht gravie­render Wirkungen war ohne Alters­ unterschiede mit 6,2% sehr niedrig. Nur neun von 1.133 Patient*innen hatten die Therapie abgebrochen, zumeist nach Einnahme höherer als der empfohlenen Einzeldosen, was bei einer längeren Therapie beachtet werden sollte.

Abb. 2: Responderanalyse aus dem Praxisregister Schmerz.

Eine zusätzliche Responderanalyse erhärtet die positiven Daten des Praxisregisters. Eine vollständige Wirksamkeit mit Verbesserung von Schmerzintensität, schmerzbedingten Beeinträchtigungen und des habituellen Wohlbefindens ohne UAW berich­teten knapp 60% aller Patient*innen (n=566). Wie sich diese Vorteile für eine rationale Therapie im ärztlichen Praxisalltag nutzen lassen, erläutert ein vor kurzem publizierter Praxis­ Leitfaden [15], ergänzte der Experte. Er beschreibt nicht­medikamentöse Maßnahmen und Eigenaktivitäten der Patienten bei akuten Kreuz­- und Rückenschmerzen, sinnvolle Diagnostik und die an der Schmerzur­sache orientierte Therapie. Ein kurzer Fragebogen ermöglicht zudem eine Abschätzung des Chronifizierungs­risikos.

Quelle: Virtuelles Meet the Expert „Pridinol bei muskulär bedingtem Rückenschmerz: Rationale, Evidenz und Praxisaspekte“; Veranstalter: Trommsdorff GmbH & Co. KG

Literatur

  1. Eibl AD, Predel HG; Forum Sanitas 2019; 3:45-47
  2. von der Lippe E et al., Journal of Health Monitoring 2021; 6(53): 2-14
  3. GBA-Ergebnisbericht Innovationsfond- projekt:Determinanten bei der Versorgung von Patienten mit Wirbelsäulenoperationen (DEWI; 01VSF 16045)
  4. GBA-Ergebnisbericht a.a.O.
  5. Brinjikji W et al., Am J Neuroradiol 2015;36(4):811-816
  6. Verfügbar unter: www.kreuzschmerz.versorgungsleitlinien.de
  7. van der Gaag WH et al., Cochrane Database of Systematic Reviews 2020; Issue 4. Art. No.: CD013581
  8. Enthoven WTM et al., Cochrane Database of Systematic Reviews 2016; Issue 2. Art. No.: CD012087
  9. Extrapolation von Daten der Barmer Arzneimittelverordnungsberichte der Jahre 2019, 2020 und 2021 auf den Gesamtmarkt der GK-Versicherten in Deutschland
  10. Fachinformation Myditin® 3 mg Tabletten
  11. Richter M et al., Int J Clin Pharm Ther 2021; 6:471-477
  12. Ramos H et al., J Pers Med 2022; 12(2): 207
  13. Überall MA et al., Curr Med Res Opin 2022; 38(7): 1141-1151
  14. Überall MA et al., Curr Med Res Opin 2022; 38(7): 1203-1217
  15. DGS-Praxisleitfaden zur Behandlung akuter Kreuz-/Rückenschmerzen, V. 1.0, Oktober 2021. Verfügbar unter: https://dgs-praxisleitli- nien.de/download/dgs-praxisleitfaden-zur-behandlung-akuter-kreuz-rückenschmerzen/