Orthopädie

Mehr Qualität und geringere Kosten

Deutsche Wirbelsäulengesellschaft fordert Einführung der Zusatzweiterbildung „Spezielle Wirbelsäulenchirurgie“

Anlässlich ihrer Vorstandssitzung in Frankfurt forderte die Deutsche Wirbelsäulengesellschaft (DWG) die Einführung der Zusatzweiterbildung „Spezielle Wirbelsäulenchirurgie“, um die Qualität der Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen zu verbessern und um die Kosten im Gesundheitswesen zu senken.

In Deutschland sind Neurochirurgen sowie Orthopäden und Unfallchirurgen für die Behandlung von ernsthaften Wirbelsäulenerkrankungen zuständig. Um als Arzt die Facharztanerkennung „Orthopädie und Unfallchirurgie“ zu erhalten, ist es erforderlich in einem 6-jährigen Ausbildungszeitraum 10 (!) Wirbelsäulenoperationen vorzunehmen. Selbst um die höchstmöglichen Qualifikationsstufen „Spezielle Unfallchirurgie“ oder „Spezielle Orthopädische Chirurgie“ zu erhalten, wird die Durchführung von nur 20 bzw. 30 weiteren Wirbelsäulenoperationen gefordert. In der Ausbildung zum „Neurochirurgen“ muss ein Arzt immerhin 100 Wirbelsäulenoperationen durchführen, jedoch spielt dabei die konservative Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen im Gegensatz zur orthopädischen und unfallchirurgischen Ausbildung kaum eine Rolle.

Die DWG ist der Ansicht, dass die bisherige Struktur und die in den Ausbildungssystemen verankerten Mindestmengen unzureichend sind, um eine sichere und qualitativ hochwertige Behandlung der Patienten mit Wirbelsäulenerkrankungen zu erzielen. Die neue Ausbildungsinitiative sieht daher eine deutlich höhere Mindestmenge von Wirbelsäuleneingriffen vor, um die Zusatzbezeichnung „Spezielle Wirbelsäulenchirurgie“ zu erhalten.

Die Breite der Fächer Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Neurochirurgie macht es erforderlich, während der Ausbildung Schwerpunkte zu setzen. In der Neurochirurgie werden daher vorwiegend Inhalte vermittelt, die sich mit wenigen Untergruppen von Wirbelsäulenerkrankungen (z.B. Bandscheibenvorfällen, Spinalkanalstenosen, Rückenmarkserkrankungen) beschäftigen. Analog werden in der „Speziellen Orthopädie“ Schwerpunkte bei der Behandlung von Wirbelsäulenverbiegungen (Skoliose, Kyphose) oder beim Wirbelgleiten (Spondylolisthese) gesetzt, während der „Spezielle Unfallchirurg“ exklusiv die Behandlung von Wirbelsäulenverletzungen erlernt. In der Praxis sind aber Kombinationen der Erkrankungen häufig. Patienten mit degenerativen Verbiegungen der Wirbelsäulen (Skoliosen) weisen fast immer Spinalkanalstenosen auf, ein Wirbelgleiten geht häufig mit einem Bandscheibenvorfall einher und Wirbelsäulenverletzungen können mit einer Rückenmarksschädigung kombiniert sein. Um eine adäquate wirbelsäulenchirurgische Ausbildung zu ermöglichen, hält die DWG es daher für erforderlich, die bisherigen Standesgrenzen bei der Facharztausbildung zu überwinden und den jungen Ärzten eine interdisziplinäre Ausbildung zu ermöglich, die alle Aspekte von Wirbelsäulenerkrankungen strukturiert und umfassend vermittelt.

Obwohl Wirbelsäulenerkrankungen weltweit die häufigste Ursache für Invalidität darstellen ist die Berufsbezeichnung „Wirbelsäulenchirurg“ in Deutschland nicht geschützt. Momentan kann sich jeder Arzt und auch jeder medizinische Hilfsberuf – egal ob qualifiziert oder nicht – „Wirbelsäulen- Chirurg“ „Wirbelsäulen-Therapeut“ oder „Wirbelsäulen-Spezialist“ nennen. Diesem verwirrenden Wildwuchs an Bezeichnungen würde mit der Ausbildungsinitiative der DWG und der damit verbundenen Einführung der Zusatzbezeichnung „Spezielle Wirbelsäulenchirurgie“ ein Ende gesetzt. Der Wirbelsäulenchirurg könnte seine geprüfte Qualifikation darstellen und als Spezialist erkannt werden. Dem Patienten bietet die geschützte Berufsbezeichnung daher eine Orientierungshilfe bei der Arztwahl und die Sicherheit, dass ausreichende Mindeststandards in der Ausbildung erfüllt wurden. Auch innerhalb der Ärzteschaft besteht die Möglichkeit, Patientenströme zielgerichteter zu lenken und damit „Irrläufer“ im Gesundheitswesen zu reduzieren. Schließlich können die Kostenträger im Bedarfsfall auf eindeutig kenntlich gemachte und hoch qualifizierte Spezialisten zurückgreifen. Die DWG hält es daher für zwingend erforderlich, eine geschützte Berufsbezeichnung „Spezielle Wirbelsäulenchirurgie“ einzuführen. Die DWG ist außerdem der Ansicht, dass der Zugang zur dieser wirbelsäulenchirurgischen Zusatzqualifikation den Fachärzten für Neurochirurgie sowie Orthopäden und Unfallchirurgen vorbehalten sein sollte, um eine möglichst hohe Qualifikation für die Patienten vorzuhalten.

Auch die Kostenträger im Gesundheitswesen könnten von der Einführung der Zusatzbezeichnung „Spezielle Wirbelsäulenchirurgie“ profitieren. Mittelfristig besteht die Möglichkeit, die Leistungserbringung auf Zusatzweitergebildete zu limitieren. Die derzeit übliche fokussierte Ausbildung in den Fachgebieten Neurochirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie verhindert gelegentlich den umfassenden Überblick über alle vorhandenen interdisziplinären Behandlungsmethoden. Momentan sind Wirbelsäulenchirurgen daher nicht immer in der Lage, die optimale Behandlungsmethode für den Patienten zu wählen, da sie in ihrer Ausbildung wesentliche Anteile des anderen Fachgebiets nie kennengelernt haben oder die dafür erforderlichen praktischen Fähigkeiten nie erlernt haben. So kommt es im schlimmsten Fall zu überflüssigen Behandlungen, die die Kosten steigern und die Diskussion um unnötige Operationen an der Wirbelsäule anheizen. Die Angebotssteuerung und die qualitativ bessere Behandlung durch die Zusatzweiterbildung „Spezielle Wirbelsäulenchirurgie“ könnte daher eine Kostenreduktion ermöglichen.

Die DWG ist überzeugt, dass die Zusatzweiterbildung „Spezielle Wirbelsäulenchirurgie“ die Qualität der Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen verbessern und die Kosten reduzieren und daher die Wirbelsäulenchirurgie in Deutschland auf ein bisher nicht dagewesenes Niveau heben könnte. ª

Quelle: Deutsche Wirbelsäulengesellschaft