Orthopädie

Nichtspezifische Kreuzschmerzen: Schmerzgeneratoren ausfindig machen

Nichtspezifische Kreuzschmerzen sind häufig schwer zu behandeln, da die Genese oft unbekannt ist und sich keine klar definierten Therapiealgorithmen etabliert haben. Die Behandlung erfolgt stets patientenzentriert und multimodal, schilderten Orthopädie-Experten im Rahmen des VSOU-Kongresses. Für Dr. med. Markus Schneider, Facharzt für Orthopädie in Bamberg, ist es wichtig, den Schmerzgenerator ausfindig zu machen und die Diagnose „nichtspezifischer Kreuzschmerz“ nicht vorschnell zu treffen.

Unspezifische Schmerzen im unteren Rückenbereich betreffen Menschen jeden Alters und tragen weltweit maßgeblich zur Krankheitslast bei. Da unspezifische Schmerzen im unteren Rückenbereich keine bekannte pathoanatomische Ursache haben, konzentriert sich die Behandlung auf die Verringerung der Schmerzen und ihrer Folgen. Das Management umfasst Aufklärung, medikamentöse Therapie mit Analgetika, nicht-pharmakologische Maßnahmen und weiteres Monitoring. Der übermäßige Einsatz von Bildgebung, Opioiden und Operationen ist dabei nach wie vor ein weit verbreitetes Problem. [1]

Patientenzentrierte und multimodale Ansätze

Schmerzen im unteren Rückenbereich umfassen verschiedene Ursachen wie beispielsweise axiale lumbosakrale und radikuläre und diffuse Schmerzen. Die Lebenszeitprävalenz von Rückenschmerzen bei Erwachsenen liegt in den USA beispielsweise bei 65 bis 80%.

Zur Anamnese zählen körperliche Untersuchungen und diagnostische Tests als wichtige Komponenten für die genaue Diagnose und Identifizierung der Pathophysiologie. Zu den Ursachen von Schmerzen im unteren Rückenbereich gehören myofasziale Schmerzen, Schmerzen in den Facettengelenken, Schmerzen im Iliosakralgelenk, diskogene Schmerzen oder Stenosen der Wirbelsäule. Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen ist ein multidisziplinärer Behandlungsansatz am effektivsten und kann multimodale medizinische, psychologische, physische und interventionelle Ansätze umfassen. [2]

Hinweise zum Facettensyndrom

Das Facettensyndrom ist eine Erkrankung der Gelenke zwischen den Wirbelkörpern mit einer Prävalenz von etwa 10 bis 40%, so Schneider. Bei der Diagnostik des Facettengelenkschmerzes gibt es keine klinische Untersuchung, die pathognomonisch ist. Außerdem besteht oft keine Korrelation zwischen den Befunden der Bildgebung und dem Auftreten von Schmerzen, betonte Schneider. Zur Bildgebung wird in der Regel ein Röntgenbild aus zwei verschiedenen Ebenen angefertigt. Ebenso eigenen sich auch Computertomografie (CT) und Kernspintomografie (MRT), um Veränderungen der Wirbelgelenke sichtbar zu machen. Eine weitere Methode, ein Facettensyndrom nachzuweisen, ist die versuchsweise Injektion von lokalen Betäubungsmitteln in den Ge- lenkbereich (diagnostische Facettenblockade). Die Injektion sollte unter Kontrolle durch ein bildgebendes Verfahren wie CT oder MRT erfolgen. Die Diagnose Facettensyndrom soll mit zwei unabhängigen Tests bestätigt werden, empfahl Schneider.

Bei Patienten mit persistierendem Facettensyndrom kann eine Facettendenervierung mittels Radiofrequenztherapie (bzw. Thermokoagulation), Kältesonden (Kryosonden) oder einer Laserbehandlung erwogen werden. Dabei wird der schmerzempfindliche Nerv „verödet“ (koaguliert), was Schmerzen über Monate oder teilweise sogar länger als ein Jahr lindern kann.

Patienten mit ISG-Schmerzen

Bei Schmerzen im unteren Rückenbereich kann auch in bis zu 38% der Fälle das Iliosakralgelenk (ISG) betroffen sein. ISG-Schmerzen werden laut Schneider in der Sprechstunde häufig unterdiagnostiziert und dementsprechend nicht ausreichend adressiert. Der Therapie-Algorithmus für Patienten mit ISG-Schmerzen umfasst konservative Maßnahmen und Interventionstechniken. Mögliche Interventionen bei einer Funktionsstörung des Iliosakralgelenks sind provokative Manöver zur Reproduzierbarkeit der Schmerzen und Lokal-anästhesie-Injektionen mit Steroiden in das ISG (intraartikulär oder periartikulär) zur Schmerzlinderung und Hochfrequenz-Denervierung (konventionell oder gekühlt). Konservative Maßnahmen umfassen Medikamente und physikalische Therapien. [3]

Die diagnostische und therapeuti- sche Wirksamkeit der verschiedenen Interventionen des Iliosakralgelenks werden unterschiedlich bewertet. Laut einem Review mit insgesamt 45 Studien ist derzeit immer noch unklar, ob bildgesteuerte intraartikuläre diagnostische Injektionen von Lokalanästhetika positive Effekte vorhersagen. Die Gesamtqualität der Daten ist auch für die Wirksamkeit von therapeutischen ISG-Injektionen mäßig, so Schneider. [4]

Medikamentöse Therapie des nicht-spezifischen Kreuzschmerzes

Zur medikamentösen Therapie des nicht-spezifischen Kreuzschmerzes werden Analgetika wie NSAR am häufigsten empfohlen, erläuterte Prof. Dr. Bernd Kladny, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in Herzogenaurach. NSAR haben analgetische und antiphlogistische Effekte bei peripheren Nozizeptor- Schmerzen und sind gut dosierbar und schnell wirksam. Zu den häufigsten schwerwiegenden unerwünschten Effekten unter NSAR zählen gastrointestinale Nebenwirkungen, die unter Umständen auch zur Hospitalisierung führen können, aufgrund von Perforation, Ulcus und Blutungen. Daher richtet sich die Auswahl eines NSAR (z.B. Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Diclofenac und Naproxen) stehts nach dem individuellen Risiko des Patienten.

Paracetamol ist eines der am häufigsten verwendeten Analgetika für Menschen mit Schmerzen im unteren Rückenbereich. Trotz seiner häufigen Anwendung wird immer noch über seine Wirksamkeit und Sicherheit für diese Indikation diskutiert, schilderte Kladny. Es gibt in der Literatur zunehmend Hinweise darauf, dass Paracetamol bei Patienten mit akuten Schmerzen im unteren Rückenbereich nicht wirksamer ist als Placebo. Bis weitere Untersuchungen vorliegen, sollte Paracetamol nicht unbedingt als Option für Patienten mit Rückenschmerzen in Betracht gezogen werden, empfahl Kladny. [5]

Opioide können zur medikamentösen Therapie des nicht-spezifischen Kreuzschmerzes zum Beispiel bei fehlendem Ansprechen auf NSAR und bei starken Schmerzen erwogen werden. Unter Opioiden sollten die Behandlungsergebnisse regelmäßig dokumentiert werden, um zu erfassen, inwiefern eine Reduktion der Schmerzen erfolgte. Wenn das Therapieziel nicht erreicht wird, sollten Opioide auch rasch wieder abgesetzt werden, empfahl Kladny.

Antikonvulsiva mit Effekten auf neuronale Kalziumkanäle wie Gabapentin und Pregabalin sind Mittel
der ersten Wahl bei chronischen neuropathischen Schmerzen. Weitere Medikamente der ersten Wahl sind SSNRI (Serotonin-Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmer, z.B. Duloxetin) und trizyklische Antidepressiva (z.B. Amitriptylin) bei neuropathischen Schmerzen jeglicher Ursache. Allerdings sind unter den SSNRI beispielsweise Fluoxetin und Citalopram bei neuropathischen Schmerzen keine Option, ebenso wie NaSSA (Noradrenerge und spezifisch serotonerge Antidepressiva, z.B. Mirtazipin), gab Kladny zu bedenken.

Quelle: „Update Kreuzschmerz – von der Tablette bis zur stationären Behandlung“ anlässlich des VSOU-Kongresses, 30. April 2021

Literatur

1. Maher C et al. Lancet.2017;389(10070):736- 747.
2. Urits I et al. Curr Pain Headache Rep.2019;23(3):23.
3. Falowski et al. J Pain Res.2020;13:3337-3348.
4. Kennedy DJ et al Pain Med 2015;16(8):1500-1518.
5. Koes B et al. Expert Rev Clin Pharmacol.2020;13(9):1059-1066.