Orthopädie

Wann ist man zu alt für ein neues Hüft- oder Kniegelenk?

Fitness, gute Vorbereitung und altersentsprechende Therapie entscheidend für OP-Erfolg

Fast ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland war im Jahr 2021 über 60 Jahre alt, 7,3 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner sogar 80 Jahre und älter – mit steigender Tendenz. [1] Viele der Seniorinnen und Senioren leiden an schmerzhafter Arthrose ihrer Hüft- und Kniegelenke. Dadurch sind sie in ihrem Alltag und ihrer Mobilität oft massiv eingeschränkt. Ein Ersatzgelenk könnte ihre Schmerzen nehmen und die Beweglichkeit wiederherstellen. Doch bis zu welchem Alter darf man einen solchen Eingriff riskieren? Zu jung – zu alt: Das „richtige“ Alter für ein Kunstgelenk und wie man es hinauszögern oder vielleicht sogar vermeiden kann, waren Themen auf der Online-Pressekonferenz der AE – Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e.V. im Vorfeld des 24. AE-Kongresses vom 9. bis 10. Dezember 2022 in Frankfurt am Main.

Bewegung ist gesund, sie ist vielleicht sogar die Basis unseres Wohlergehens. Die Behandlung der 500 Millionen Menschen, die im Zehnjahreszeitraum 2020 bis 2030 mangels Bewegung erkranken dürften, koste die Welt zusammen 27 Milliarden Dollar (entspricht 27,5 Milliarden Euro), berichtete Fiona Bull, Leiterin der WHO-Abteilung für körperliche Bewegung bei der Vorstellung des Global status report on physical activity 2022 kürzlich in Genf. [2,3] Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt deshalb mindestens 150 Minuten körperliche Aktivitäten in der Woche für Erwachsene. [4] Dies soll Krankheiten wie etwa des Herz­ Kreislaufsystems, Fettleibigkeit und Diabetes vorbeugen. „Bewegung be­einflusst die relevanten Parameter einer guten Stoffwechseleinstellung positiv“, sagt auch Professor Dr. med. Carsten Perka, Generalsekretär der AE und Ärztlicher Direktor des Centrums für Muskuloskelettale Chirurgie (CMSC) an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. In der Folge sinken die Insu­linresistenz und der Blutfettspiegel, der Kalorienverbrauch steigt, die Muskulatur wird gestärkt und die Stimmung verbessert sich. Auch das Sturzrisiko verringere sich durch regelmäßige körperliche Übung. Doch was tun, wenn man sich aufgrund von Schmerzen durch Arthrose und Ge­lenkverschleiß kaum noch bewegen kann?

Bewegung ist gesund – doch was tun, wenn man sich nicht bewegen kann?

Sind alle konservativen Möglichkeiten der Behandlung wie etwa Physio­ therapie und Schmerzmittel ausge­ schöpft, steht die Frage nach einem Ersatzgelenk im Raum. Patientinnen und Patienten haben jedoch häufig Bedenken, ob sie einem Eingriff noch gewachsen sind. Dies sei gut nach­ vollziehbar, sagt der Orthopäde und Unfallchirurg Perka: „Eine größere Operation kann bei labilem körperlichem Gleichgewicht einen erheblichen Ein­ schnitt bedeuten, von dem sich Betroffene mitunter nur langsam erholen.“

Deshalb sollte zunächst eine gründ­liche Risiko­Abwägung gemeinsam mit den Betroffenen stattfinden: „Ausschlaggebend für ein zufrieden­ stellendes Operationsergebnis in hohem Alter ist heute vorrangig die körperliche und geistige Verfassung, weniger das Geburtsdatum“, sagt er. Durch Fortschritte in Intensivmedizin und OP­Techniken könnten mittlerweile auch große Operationen bei rüsti­gen Patientinnen und Patienten im fortgeschrittenen Alter mit vergleich­ baren Ergebnissen durchgeführt werden wie bei jungen, erläutert Perka. Hier greifen altersspezifische chirurgische Operations­Konzepte mit altersmedizinischer, geriatri­ scher Begleitung. Dazu gehören der Schutz vor Auskühlung während der Operation ebenso wie kontrollierte Flüssigkeitsgabe. [5] Auch Schlüssel­ lochchirurgie statt offener Operation und optimal angepasste Narkosen schonen die Betroffenen.

Eine gute Vorbereitung auf die OP hilft, die Risiken in den Griff zu bekommen und das Ergebnis zu verbessern

Zudem gelte das Prinzip: „Better in – better out“. Perka erläutert: „Eine gute Vorbereitung auf die OP hilft, die Risiken in den Griff zu bekommen und das Ergebnis zu verbessern.“ So leide etwa jeder fünfte Patient über 70 Jahren an mindestens fünf Krank­ heiten gleichzeitig. Diese sogenannte Multimorbidität gelte es bereits in der Vorbereitungsphase zu berück­ sichtigen, so Professor Perka. Ein Diabetes etwa müsse gut eingestellt, eine Unterernährung oder ein Vita­minmangel behoben werden. Neben der klassischen Rehabilitation nach der OP habe sich auch Prärehabilita­tion bewährt: Mit gezielter Physio­therapie vor dem Eingriff könne man nicht nur das Gehen an Unterarm­ stützen trainieren, sondern auch die Atemkapazität erweitern und die Muskeln kräftigen. Eine große Rolle spielten auch bestehende Entzün­dungen, etwa der Zähne, Blase, sowie durch Wunden oder Fußpilz. Diese können gerade bei Älteren leicht zu Implantatinfekten führen und sollten deshalb vor der OP behan­delt werden. „Hier sind auch unsere Patientinnen und Patienten gefragt, Ver­antwortung für ihre Gesundheit zu über­nehmen und mitzuarbeiten.“ Durchaus realistisch sei deshalb auch ein Vorlauf von einem halben bis einem Jahr bis zur geplanten Operation.

„Bei Älteren bestehen oft Unsicherhei­ten bei der Indikationsstellung: Dabei profitieren insbesondere gut vorbereitete Seniorinnen und Senioren erheblich. Sie können nach dem Eingriff oft wieder ein selbstständiges Leben führen und mobil bleiben“, [6] so Privat­Dozent Dr. Stephan Kirschner, Präsident der AE, Direktor der Klinik für Orthopädie in den ViDia Kliniken, Karlsruhe. Eine gute Vorbereitung im Sinne einer Prärehabilitationstelle jedoch die Grundlage des Operationserfolgs dar. [7] T

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e.V.

Literatur

  1. https://www.destatis.de/DE/Themen/ Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevo- elkerungsstand/Tabellen/bevoelkerung-alters- gruppen-deutschland.html
  2.  https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/ 138244/Bewegungsmangel-mit-verheerenden- Folgen
  3. The Cost of Inaction on Physical Inactivity to Healthcare Systems, Lancet 2022; DOI: 10.2139/ssrn.4248284, https://papers.ssrn. com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4248284
  4. WHO: Global status report on physical acti- vity 2022, https://www.who.int/publications/i/ item/9789240059153
  5. Gibt es ein Alterslimit für chirurgische Maß- nahmen? R. Mennigen, N. Senninger, Zentralbl Chir DOI: 10.1055/s-0032-1328214
  6. Joint replacement surgery in elderly patients with severe osteoarthritis of the hip or knee: decision making, postoperative recovery, and clinical outcomes. Hamel MB, Toth M, Legedza A, Rosen MP. Arch Intern Med. 2008 Jul 14;168(13):1430-40
  7. Weissbuch Alterstraumatologie Ortho- geriatrie 2021, Prärehabiliation: https://www. dggeriatrie.de/images/Dokumente/220216_ Weissbuch_Alterstraumatologie_Ortho- geriatrie_DGOU_DGG_2021.pdf