Osteologie

Bei atypischen Frakturen auch seltene Ursachen in Betracht ziehen

Die Osteoporose ist die häufigste, aber bei weitem nicht die einzige Ursache von Knochenfrakturen. Eine diagnostische Abklärung anderer seltener Erkrankungsursachen kann die Therapie von Frakturen und Pseudofrakturen entscheidend beeinflussen. Zwei wichtige Beispiele hierfür sind die Hypophosphatasie (HPP) und die X-chromosomal vererbte Hypophosphatämie (XLH). Für beide meist genetisch determinierten Erkrankungen stehen inzwischen wirksame kausale Therapieansätze zur Verfügung, wie auf einem Symposium der Technischen Universität Dresden berichtet wurde.

Die Knochendichte alleine kann bei Hypophosphatasie in die Irre führen

Bei atypischen Femurfrakturen oder Frakturheilungsstörungen gelingt die Differenzierung zwischen Osteoporose und Osteomalazie etwa mit alleiniger DXA-Knochendichtemessung nicht, wie der Unfallchirurg Prof. Dr. Florian Barvencik, Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE), betonte. Deutlich besser lässt sich nach seiner Erfahrung das Verhältnis von Knochenstrukturen und Kortikalis mittels dreidimensionaler hochauflösender CT (HRPQCT) bestimmen. Der wichtigste Test, um eine Hypophosphatasie (HPP) zu erkennen, ist jedoch die Bestimmung der alkalischen Phosphatase (AP) im Serum.

Auf die seltene genetisch bedingte Osteomalazie weist bei erwachsenen Frakturpatienten ein AP-Wert unter 40 U/L hin. Bei Kindern kann dieser Schwellenwert noch deutlich darüber liegen. In diesen Fällen sollte anamnestisch auf frühzeitigen Zahnverlust, Muskelschwäche, Nephrolithiasis oder Rheuma sowie auf entsprechende mütterliche Probleme geachtet werden, die durch schlecht mineralisierten Knochen bedingt sein können. Auch erhöhte Pyridoxalphosphat(Vitamin B6)- Spiegel ohne entsprechende Substitution sind für HPP typisch.Ursache der Erkrankung, die oft als Rheuma, Arthritis, Polymyalgie oder Arthrose fehldiagnostiziert wird, ist eine der mehr als 400 bekannten Mutation des ALPL-Gens, so Barvencik. Durch die fehlende AP-Aktivität akkumuliert anorganisches Pyrophosphat und blockiert das Remodeling im Knochen. Schwere Formen sind potenziell lebensbedrohlich, aber auch bei milden Formen kommt es zu Stressfrakturen oder Frakturheilungsstörungen.

Für schwere HPP-Formen bei Kindern und Erwachsenen steht inzwischen mit Asfotase alfa (Strensiq®) eine wirksame Enzymersatztherapie (ERT) zur Verfügung. Das Enzym baut Pyrophosphat zu Phosphat ab, welches dann sowohl Remodelling als auch Knochenmineralisierung wieder aktiviert. Unter der ERT können Frakturen selbst über ein Jahrzehnt nach ihrer Entstehung noch ausgeheilt werden und Stressfrakturen binnen acht Wochen verschwinden, erläuterte Barvencik an Fallbeispielen. Entscheidend für eine Beeinflussung des Progressionsverlaufs sei jedoch die frühzeitige korrekte Diagnose gerade bei Frakturen. Absolut kontraindiziert bei HPP sind indessen Bisphosphonate, die Muskel- und Knochenschmerzen noch induzieren. „Damit gießen Sie Öl ins Feuer“, warnte Barvencik.

Wenn zuwenig Phosphat das Problem ist

Ein der HPP klinisch ähnliches Krankheitsbild mit häufigen Frakturen findet sich jedoch auch bei der X-Chromosomalen Hypophosphatämie (XLH), so Privatdozent Dr. Tilman Rachner, Osteologe an der TU Dresden. Die dominant vererbbte XLH hat von den seltenen Erkrankungen mit bis zu 5/100.000 eine relativ hohe Prävalenz. Differenzialdiagnostisch wichtige Blutparameter für die XLH sind daher niedrige 1,25 OH-Vitamin D-Spiegel, gepaart mit hohen Parathormon-Werten, als Zeichen eines sekundären Hyperparathyroidismus. Zusätzlich deuten sehr niedrige Phosphatkonzentrationen (<0,81 mmol/l oder 2,5 mg/ dL) und eine AP-Erhöhung auf eine gestörte Phosphathomöostase. Diese kann durch eine XLH oder seltenere Rachitiden bedingt sein.

Ursache der XLH ist meist eine Mutation im PHEX-Gen, von der inzwischen über 300 verschiedene Formen bekannt sind. Dadurch wird der Faktor FGF-23 vermehrt gebildet. FGF-23 reguliert physiologisch die Phosphat-Wiederaufnahme in der Niere, hemmt jedoch, wenn erhöht, den renalen Na/P- Cotransporter, welcher die Rückresorption bewirkt. Zusätzlich wird auch die Vitamin-D-Hydroxylierung über die 1-alpha-Hydroxylase und damit die Vitamin-D-vermittelte Phosphatresorption im Darm beeinträchtigt. Klinische Folge des erhöhten Phosphatverlusts sind Entwicklungsstörungen des Knochens, szintigrafisch erkennbar etwa an Looserschen Umbauzonen, oft des gesamten Skeletts. Bei Kindern führt dies während des Wachstums häufig zu ausgeprägten O-Beinen und Watschelgang sowie insgesamt verzögertem Wachstum mit Kleinwuchs. Bei Erwachsenen dominieren dagegen übermäßiger Gelenkverschleiß und Pseudofrakturen. Häufig sind auch Kieferprobleme wie Karies sowie Hörverluste. Weiter reduzieren muskuläre Einschränkungen die Lebensqualität erheblich.

Als männliche Merkmalsträger sind Söhne nicht betroffen, aber alle Töchter sind Merkmalsträger, erläuterte Rachner. Bei weiblichen Merkmalsträgern sind Kinder mit 50%iger Wahrscheinlichkeit betroffen. Spontanmutationen stellen dagegen nur einen kleinen Anteil der XLH- Erkrankungen dar.

Eine, möglichst frühzeitige, zielführende XLH-Diagnostik – die ggf. zur Überweisung an ein spezialisiertes Zentrum führen sollte – besteht für den Osteologen aus (Familien)-Anamnese, Labor mit Serumphosphat, FGF-23 und Phosphatausscheidung im Urin. Besonders eine erniedrigte TmP/GFR deutet auf FGF-23-beding- ten Phosphatverlust. Sonografisch lässt sich eine Nephrokalzinose nachweisen.

Nachteil der konventionellen Therapie, der oralen Supplementation von Phosphat und Vitamin D, ist deren oft schlechte Verträglichkeit und Compliance. Zudem muss der Kalzium-Stoffwechsel wegen des Risikos für Hyperkalziurie mit Nierensteinen und Nephrokalzinose gegenreguliert werden.

Ein deutlicher therapeutischer Fortschritt ist daher der rekombinante IGg1-Antikörper Burosumab (Crysvita®). Er bindet und hemmt FGF-23 und ist seit 2018 bei Kindern zur subkutanen Applikation alle zwei Wochen und seit 2020 bei Erwachsenen im 4-Wochen-Intervall zugelassen. In der Phase-3-Studie UX023-CL 301 [1] bei 61 Kindern von 1-12 Jahren bewirkte Burosumab im Vergleich zu oralem Phosphat/Vitamin D radio- grafisch eine signifikante Normali- sierung der Knochenstruktur und -qualität.

Eine Phase-3-Studie bei Erwachse- nen (UX023-CL303) im Crossover- Design verglich über 24 Wochen Burosumab vs. Placebo, bei anschließender Verumgabe auch für die Placebogruppe. „In der Folge erreichte man bei fast 90 Prozent der Patienten normale Serumphosphatspiegel unter der laufenden Therapie“, betonte Rachner. Eindrücklich war vor allem der klinische Befund: So waren bei Studienende 60% der – teils jahrelang bestehenden – (Pseudo-)Frakturen komplett abgeheilt und weitere 15% partiell geheilt.

Quelle: Webinar des Universitätsklinikums Dresden „Typische oder atypische Femurfraktur – Differentialdiagnostik und Behandlung“, 29. Mai 2021; unterstützt u.a. von Alexion und Kyowa Kirin

Literatur

1. Imel EA et al., Lancet 2019;393:2416-27