Osteologie

Differentialdiagnose „Hypophosphatämische Osteomalazie“

Knochenschmerzen, Muskelschwäche, Frakturen – für Fachärzte der Rheumatologie und Orthopädie kein seltenes klinisches Bild. Dennoch oder gerade deswegen sollte eine ausführliche Differentialdiagnostik erfolgen, da auch selten auftretende Erkrankungen wie die hypophosphatämische Osteomalazie die Ursache für diese Beschwerden sein könnten.

Gestörter Knochenstoffwechsel aufgrund von chronischem Phosphatverlust

Die Osteomalazie ist eine generalisierte Knochenerkrankung, die
mit einer Störung der Knochenmineralisierung einhergeht. [1] Ursächlich dafür ist entweder ein Vitamin-D-Mangel oder – im Falle der hypophosphatämischen Form der Osteomalazie – eine Störung des Phosphatstoffwechsels, die zu einer verminderten Knochenmineralisierung führen kann. Phosphatmangel kann z.B. durch Medikamente, Mangelernährung oder Erkrankungen wie die Tumor-induzierte Osteomalazie oder das Fanconi-Syndrom entstehen, kann aber auch erblich bedingt sein. [2] Die X-chromosomale Hypophosphatämie (XLH) stellt die häufigste genetisch bedingte Phosphatverlusterkrankung dar. [3]

XLH-Patienten mit ausgeprägten muskuloskelettalen Problemen

Die X-chromosomale Hypophosphatämie ist eine chronisch progressive Erkrankung, bei der Mutationen im PHEX-Gen* häufig zu einem Überschuss des Fibroblasten-Wachstumsfaktors-23 (FGF23) führen, infolgedessen ein Phosphatmangel entstehen kann. [3]

Da Phosphat u.a. essentiell für die Knochenhomöostase und Muskelfunktion ist, hat ein chronischer Mangel oftmals schwerwiegende lebenslange Folgen: Die Erkrankung manifestiert sich im Erwachsenenalter hauptsächlich als Osteomalazie und in muskuloskelettalen Beschwerden wie z.B. Kleinwuchs, Enthesopathien, Arthrosen und häufigen Pseudofrakturen. Ebenso treten Hörverlust und dentale Probleme auf. [4-6]

Osteomalazie oder Osteoporose?

Starke Knochenschmerzen und Frakturen zählen zu den typischen Symptomen einer Osteomalazie, die jedoch auf den ersten Blick auch als Osteoporose missinterpretiert werden könnten. Das Frakturmuster unterscheidet sich jedoch: Bei Patienten mit Osteomalazie sind vorwiegend stark belastete Skelettabschnitte wie das Becken und der Mittelfußknochen sowie Kreuzbein, Tibiaplateau oder Rippen betroffen (vgl. Abb. 1). [2] Hingegen werden Wirbelkörper-, Oberschenkelhals- sowie distale Radiusfrakturen eher auf eine Osteoporose zurückgeführt. [2] XLH-Patienten weisen darüber hinaus Symptome auf, die weder dem klassischen Bild einer Osteoporose, noch dem einer Osteomalazie zugeordnet werden können, z.B. eine Verdickung der Lendenwirbel mit erhöhten Knochendichtewerten bei DXA-Messungen** sowie Pseudofrakturen der tragenden Röhrenknochen wie dem Femur. [3,6-8] Diese sogenannten Looser-Umbauzonen lassen sich mittels radiologischer Untersuchungen erkennen. [2]

Abb. 1: Osteomalazie vs. Osteoporose. Typische Lokalisationen der Frakturen. Das Röntgenbild eines XLH-Patienten zeigt eine Femur-Pseudofraktur.

Quellen: linke Seite modifiziert nach [2], Röntgenbild entnommen aus [7]. Image licenced under a Creative Commons Attribution 4.0 International license [https://creative- commons.org/ licenses/by-nc/4.0] Zugriff 10/21, keine Veränderungen vorgenommen.).

Phosphat als diagnostischer Marker – auch an XLH denken

Zur weiteren Abklärung empfiehlt sich eine ausführliche Differentialdiagnostik. Der erste wichtige Hinweis für die hypophosphatämische Form der Osteomalazie, wie sie bei XLH-Patienten vorkommt, ist niedriges Serumphosphat gekoppelt mit erhöhten Phosphatwerten im Urin. [3] Ein Anstieg der alkalischen Phosphatase gilt als typisch, wenn auch nicht spezifisch für das Vorliegen einer Osteomalazie. [1,2] Charakteristische Laborparameter für XLH-Patienten sind zudem normale oder moderat erhöhte PTH- sowie erhöhte FGF23- Serumspiegel, die ursächlich für den hohen renalen Phosphatverlust sind. Zur eindeutigen XLH-Diagnose kann ein molekulargenetischer PHEX- Mutationsnachweis hilfreich sein. [3]

Benefit für XLH-Patienten mit pathophysiologisch kausaler Behandlung

Da XLH-Patienten eine erhebliche Krankheitslast mit eingeschränkter Lebensqualität aufweisen können [9], sind eine fundierte Diagnose und eine für die Behandlung dieser speziellen Krankheit zugelassene Therapie sehr wichtig. Die konventionelle Therapie bei symptomatischen erwachsenen XLH-Patienten sieht eine mehrmals tägliche orale Einnahme von Phosphat und aktivem Vitamin D vor. [3] Diese symptomatische Behandlung kann Schmerzen, Osteomalazie und dentale Probleme verbessern, doch mit unerwünschten Ereignissen (UEs) wie Hyperkalzämie, sekundärem Hyperparathyreoidismus und Nephrokalzinose einhergehen. [3]

Mit dem humanen monoklonalen Antikörper Burosumab (Crysvita®) steht seit Oktober 2020 auch erwachsenen XLH-Patienten eine pathophysiologisch kausale Therapie zur Verfügung. [10] Burosumab bindet an das durch den Gendefekt im Überschuss vorhandene Hormon FGF23 und hemmt dessen Aktivität, wodurch die renale Rückresorption von Phosphat gesteigert und die Serumkonzentration von 1,25-Dihydroxy-Vitamin D erhöht wird. [10] Bei erwachsenen XLH-Patienten erzielte die Behandlung mit Burosumab in klinischen Studien eine Normalisierung der Phosphatspiegel sowie eine Verbesserung von Steifheit, körperlichen Funktionen, Gehdistanz, Heilung von (Pseudo-)Frakturen, Schmerzen und Fatigue. [11-13] Die Mehrheit der in den Studien aufgetretenen UEs war mild oder moderat ausgeprägt; bei Erwachsenen zählten Rückenschmerzen, Kopfschmerz, Zahninfektion und erniedrigtes Vitamin D zu den häufigsten Nebenwirkungen. [10,11]

Seltene Erkrankungen wie XLH werden häufig spät oder fehldiagnos- tiziert. [3] Aufgrund ihrer fundierten Erfahrung mit muskuloskelettalen Erkrankungen bzw. Syndromen des Bewegungssystems kann insbesondere die Facharztgruppe der Rheumatologen und Orthopäden einen wichtigen Beitrag in der Diagnostik und Therapie leisten.

Anzeige, Quelle: Kyowa Kirin GmbH

Literatur

1. Reuss-Borst MA, Z Rheumatol. 2014; 73: 316-22.
2. Tiefenbach M et al., Zeitschrift für Rheumato- logie. 2018; 77: 703-718.
3. Haffner D et al., Nat Rev Nephrol. 2019; 15: 435-455.
4. Beck-Nielsen SS et al., Calcif Tissue Int. 2010; 87: 108-19.
5. Beck-Nielsen SS et al., Orphanet J Rare Dis. 2019; 14: 58.
6. Robinson ME et al., Pediatr Nephrol. 2019. 10.1007/s00467-019-04290-y.
7. Chesher D et al., J Inherit Metab Dis. 2018; 41: 865-876.
8. Cheung M et al., J Clin Endocrinol Metab. 2013; 98: E954-61.
9. Skrinar A et al., J Endocr Soc. 2019; 3: 1321- 1334.
10. Fachinformation Crysvita. Kyowa Kirin. Stand Mai 2021.
11. Insogna KL et al., J Bone Miner Res. 2018; 33: 1383-1393.
12. Insogna KL et al., J Bone Miner Res. 2019; 34: 2183-2191.
13. Portale AA et al., Calcif Tissue Int. 2019; 105: 271-284.

** DXA = dual energy X-ray absorptiometry

Kyowa Kirin GmbH, Monschauer Straße 1, 40549 Düsseldorf

Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden. Bitte melden Sie Nebenwirkungen an das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, Paul-Ehrlich-Institut, Tel: +49 6103 77 0, Fax: +49 6103 77 1234, www.pei.de Crysvita® 10 mg, 20 mg, 30 mg Injektionslösung. Wirkstoff: Burosumab. Zusammensetzung: 1 Durchstechflasche Crysvita® 10 mg, 20 mg, 30 mg enthält 10 mg, 20 mg, 30 mg Burosumab in 1 ml Lösung zur subkutanen Anwendung. Sonstige Bestandteile: L-Histidin, D-Sorbitol E420, Polysorbat 80, L-Methionin, Salzsäure, 10 % (zur Einstellung des pH-Werts), Wasser für Injektionszwecke. Anwendungsgebiete: Crysvita® wird angewendet zur Behandlung der X-chromosomalen Hypophosphatämie (XLH) bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 1 bis 17 Jahren mit röntgenologischem Nachweis einer Knochenerkrankung, und bei Erwachsenen. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Burosumab oder einen der oben genannten sonstigen Bestandteile. Gleichzeitige Anwendung von Phosphatergänzungsmitteln, bestimmten Vitamin-D-Ergänzungsmitteln, die aktives Vitamin D z.B. Calcitriol enthalten. Hyperphosphatämie, schwere Nierenerkrankung oder Nierenversagen. Nebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen: Sehr häufig: Zahnabszess (Infektion), Husten, Kopfschmerz, Zahnschmerzen, Erbrechen, Übelkeit, Durchfall, Verstopfung, Zahnverfall oder Karies, Ausschlag, Muskelschmerzen (Myalgie), Schmerzen in Händen und Füßen, Reaktion an der Injektionsstelle (wie z.B. Rötung oder Ausschlag, Schmerzen oder Jucken, Schwellung, Bluten oder blaue Flecken), Fieber, niedriger Vitamin-D-Spiegel im Blut. Häufig: Schwindel. Häufigkeit nicht bekannt: erhöhte Phosphatwerte im Blut. Nebenwirkungen bei Erwachsenen: Sehr häufig: Zahnabszess (Infektion), Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Restless-Legs-Syndrom, Rückenschmerzen, Muskelkrampf, niedriger Vitamin-D-Spiegel im Blut. Häufig: Verstopfung, erhöhte Phosphatwerte im Blut. Verschreibungspflichtig. Hinweise in der Fachinformation beachten. Pharmazeutischer Unternehmer: Kyowa Kirin Holdings B.V., Hoofddorp, NL. Stand der Information: Oktober 2020