Osteologie

Narrativ der Namensherleitung für das Os sacrum

Dr. med. univ. Julian Ramin Andresen

Fakultät für Medizin der Sigmund-Freud-Privatuniversität Freudplatz 3
A-1020 Wien
E-Mail: 61815097@mail.sfu.ac.at

Julian Ramin Andresen 1, Hans-Christof Schober 2

1 MedizinischeFakultät,SigmundFreudPrivatuniversität,Wien
2 KlinikfürInnereMedizinIV, KlinikumSüdstadtRostock, AkademischesLehrkrankenhausderUniversitätRostock, Rostock

Schlüsselwörter:
Heiliger Knochen, Kreuzbein, Os sacrale, Os sacrum, Sakrum

Einer der größten und stabilsten Knochen des menschlichen Achsenskeletts ist das Os sacrum. Als großer, dreieckiger, aus fünf Wirbeln w Knochen trägt das Sakrum die Wirbelsäule und ist im hinteren Beckenring zwischen den Beckenschaufeln über straffe, echte Gelenke und Bandhaften verankert. [6] Die Entstehung dieses Namens geht auf verschiedene Einflüsse zurück, die im Folgenden untersucht werden.

 

Abb. 1: Abbildung der Kyphose des Os sacrum im lateralen Röntgenbild.

Methodik

Die vorhandene Literatur zur Entstehung des Namens wurde gesichtet und auf religiöse, kulturelle und anatomische Bezüge geprüft.

Ergebnisse

Das Os sacrum (Kreuzbein, „heiliger Knochen“, Os sacrale), entstammt der Bezeichnung des Altgriechischen ἱερὸν ὀστέον (hieròn ostéon), hieros gleich heilig. Hieros heißt aber auch groß, weit und geräumig, wobei die griechischen Ärzte nicht ganz passend heilig wählten und somit bei der Übersetzung ins Lateinische mit dem Os sacrum gleich „heiliger Knochen“ – und nicht großer Knochen – kein Fehler gemacht wurde [3, 6].

Das Attribut „heilig“ findet sich zusätzlich in Verwendung des Knochens bei Opferriten der vorchristlichen Griechen an ihre Götter, wobei hier die Bedeutung kritisch gesehen wird, da die fleischarme Region des Sakrums als nicht unumstritten opferungswürdig erschien. [3,4] Entsprechende rituale Darstellungen finden sich hierzu nicht.

Die Rolle des Knochens beim Schutz der Genitalien (die selbst als heilig angesehen werden) und die Notwendigkeit der Unversehrtheit dieses Knochens als Nidus für die Auferstehung am Tag des Gerichts erscheinen bedeutsam. [1, 2] Im Yoga steht dieser Bereich für ursprüngliche Lebenslust und die göttliche Schaffenskraft.

Eine weitere Erklärung könnte sein, dass die Heiligkeit des Sakralknochens ein Attribut war, das von den alten Ägyptern entlehnt wurde, die diesen Knochen für Osiris, den Gott der Auferstehung und der Landwirtschaft, als heilig betrachteten. [5].

Im Deutschen heißt der dreiecksförmige, nach dorsal konvexe Knochen (s. Abb. 1) Kreuzbein in Analogie zur alten Bezeichnung für Kreutz (Erhabenheit, schwere Last (s. Abb. 2). Das alte Kreutz, im Niedersächsischen Krütz genannt, entspricht auch der deutlichen Erhabenheit am Ende des Pferderückens (s. Abb. 3), dem französischen Crouppe. [2] Mit dem Symbol des Christentums hat dieses Kreuz jedoch nichts zu tun. Das christliche Kreuz, das sogenannte Andreaskreuz, zeigt nicht die Gestalt des Kreuzes, an welches die Römer ihre Verbrecher schlugen [2].

Das Sakrum, der „heilige Knochen“, das „Heiligenbein“ ist wahrscheinlich aufgrund seiner Größe (Vertebramagna) der letzte Knochen des Achsenskeletts, welcher nach dem Tod zerfällt. [5]

 

Abb. 3: Die mit rotem Pfeil markierte Erhabenheit (Kreutz) am kaudalen Ende des Pferderückens, dem französischen Crouppe, entspricht dem nach dorsal konvexen Sakrum des Menschen. [2]

Zusammenfassung

Der Begriff des Sakrums hat sowohl eine religiöse Bedeutung als auch einen praktischen Lebensbezug – das Tragen einer Last (das Kreutz).

Abb. 2: Mit rotem Pfeil markierte Einwirkung der körperlichen und seelischen Lebenslast auf das Kreutz, dem Sakrum.

Literatur

1. Agrawal A. Musculoskeletal etymology: What‘s in a name? J Clin Orthop Trauma. 2019; 10 (2): 387-394.
2. Hyrtl, J. Onomatologia Anatomica. Geschichte und Kritik der anatomischen Sprache der Gegenwart, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Barbarismen, Widersinnlichkeiten, Tropen, und grammatikalischen Fehlern. Wilhelm Braumüller Verlag, K. K. Hof- und Universitätsbuchhändler, Wien. 1880; Seite: 457-458.
3. Kudlien F. Os sacrum [Os sacrun]. Gesnerus. 1976; 33 (3-4): 183-187.
4. Nilsson MP. Geschichte der griech. Religion. München. 1967; Band I, Seite: 144.
5. Sugar O. How the sacrum got its name. JAMA. 1987; 257 (15): 2061–2063.
6. Voss-Herrlinger, Taschenbuch der Anatomie. Stuttgart 1983; 17. Auflage, Band 1, Seite: 119.