Osteoporose, Orthopädie & Rheuma Aktuell

Die Geschichte der Osteologie – ausgewählte Episoden (Teil 1)

In einer auf insgesamt vier Teile angelegten Artikelserie gibt uns Doz. Dr. sc. med. Klaus Abendroth, Internist und Rheumatologe aus Jena, einen historischen Abriss über Meilensteine in der Geschichte der Osteologie – mit aller Sorgfalt zusammengestellt, aber ausdrücklich aus individueller Sicht und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Abb. 1: Der junge Goethe (Gemälde von Georg Oswald May, 1779). | (Bild: Public Domain)

Goethe und die Osteologie – Knochen präparieren, zählen und zeichnen 

1765 begann Johann Wolfgang Goethe sein Studium der Rechte in Leipzig, wofür er sich aber nie recht begeistern konnte. Lieber besuchte er die Poetikvorlesungen Christian Fürchtegott Gellerts oder den Zeichenunterricht bei Adam Friedrich Oeser, Direktor der Leipziger Akademie. 1770 setzte er das Jura-Studium an der Universität Straßburg fort und schloss es 1771 ab. In dieser Zeit besuchte er aber auch Vorlesungen in Medizin, speziell der Anatomie. Hier lernte er auch Herder kennen und schätzen.

1775 berief der jugendliche Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach den 26-jährigen Goethe an seinen Hof in Weimar. Er wurde 1776 Geheimer Legationsrat – eine Art Ministerpräsident – und war in die Staatsverwaltung eingebunden. Dazu gehörte auch die Universität in Jena. 1776 gründete Goethe die Weimarer Mal- und Zeichenschule, wo er selbst Vorlesungen zur Anatomie hielt. Als universal Interessierter beschäftigte er sich auch weiter mit der Anatomie. Goethe weilte oft in Jena, in Loders Anatomischer Anstalt, begann eifrig Knochen zu zählen, wie er darüber nach Weimar berichtete: „Ich weiß meine Osteologie auf den Fingern auswendig herzusagen“. Von Loder erlangte Goethe seine Kenntnisse in Anatomie und erlernte bei ihm das Präparieren. Alexander von Humboldt und Wilhelm von Humboldt nahmen gemeinsam mit Goethe 1797 an einem Präparierkurs Loders teil. Loder galt in dieser Zeit als bedeutendster Anatom Deutschlands.

Abb. 2: Justus Christian Loder, Professor für Anatomie in Jena (Stich von F. Müller nach dem Gemälde von Johann Friedrich August Tischbein, 1798). | (Bild: Public Domain)

Goethes Osteologie bestand im Zeichnen und vergleichenden Zählen der Knochen im Sinne der Suche nach Merkmalen der Verwandtschaft (Homologie) im Tierreich. In diesem Rahmen begann er 1783 mit Studien zur Anatomie des Schädels höherer Tiere im Vergleich zum Menschen. Seine These: „Mensch und Affe sind verwandt“, aber: Warum hat der Mensch dann keinen Zwischenkieferknochen? 1784 dann der erlösende Befund (s. Abb. 3) in Loders Anatomischer Anstalt in Jena am Oberkieferknochen eines Kindes mit Milchgebiss. In einem Brief vom 27. März 1784 an seinen Freund und Ratgeber Johann Gottfried Herder, der inzwischen auch in Weimar eine Anstellung gefunden hatte, verkündete er stolz seine Entdeckung: „Ich habe gefunden … weder Gold noch Silber, aber was mir eine unsägliche Freude macht – das os intermaxillare am Menschen! Ich verglich mit Lodern Menschen­ und Tierschädel, kam auf die Spur und siehe, da ist es! Nun bitt ich dich, laß dir nichts merken, denn es muß geheim behandelt werden. Es soll dich auch recht herzlich freuen, denn es ist wie der Schlußstein zum Menschen, fehlt nicht, ist auch da! Aber wie!

Es handelte sich aber „nur“ um eine deutsche Wiederentdeckung, Galen hatte ihn vermutet, 1780 hatte der französische Arzt Félix Vicq d’Azyr ihn bereits nachgewiesen.

Abb. 3: Zusammenstellung zur Entdeckung des Zwischenkieferknochens im Milchgebiss beim Menschen im Vergleich zum Affen. | (Fotos: Anatomische Sammlung der FSU Jena)
Abb. 4: Wilhelm Conrad Röntgen (l.) entdeckte die Röntgenstrahlen und die damit abbildbaren Knochen am lebenden Menschen. Röntgenaufnahmen: Albert Köllikers linke Hand (mit Ring), aufgenommen von Wilhelm Conrad Röntgen am 23. Januar 1896. | (Bilder: Public Domain)

Das Röntgenbild erlaubt Einblicke in das Skelett des Körpers

Abb. 5: progressive diaphysäre Dysplasie / Camurati Engelmann (l.o.), Osteoporose an der Wirbelsäule mit Wirbelkörper-Fraktur und weiteren Sinterungen (l.u.), Osteopetrose (m.), Osteomalazie z.B. bei distaler tubulärer Azidose (r.). | (Fotos: Dr. Klaus Abendroth)
Abb. 6a: Entwicklung der Röntgenmorphometrie zur Osteoporose- und Frakturrisiko-Diagnostik. | (Bilder: 6a-6c mod. nach Franke 1987, 6d mod. nach Genant 1993)
6b: Saville-Index 1967.
6c: Singh-Index 1970 – Abbau der Trabekelstruktur im proximalen Femur.
6d: Graduierung der Wirbelkörperverformung bei Osteoporose nach Genant 1993 (DVO-Diagnostik-Standard für Osteoporose & Wirbelkörper-Frakturen).

Wilhelm Conrad Röntgen entdeckte am 8. November 1895 im Physikalischen Institut der Universität Würzburg die nach ihm benannten Röntgenstrahlen. Jetzt konnte man im Röntgenbild die Knochen des Körpers in ihrer unterschiedlichen Struktur und Funktionsstellung sehen (s. Abb. 4). Der reine Knochen wurde in seiner Struktur sichtbar und messbar. Dieses neue bildgebende Verfahren zur Erkennung der knöchernen Veränderungen am lebenden Körper bei Krankheiten, Unfällen mit Frakturen, aber auch bei erworbenen (Vitamin D-Mangel-Rachitis) und angeborenen Störungen der Knochenentwicklung führte zu einer neuen Systematik in der Osteologie. Zahlreiche Knochenerkrankungen erhielten nun ein entsprechendes morphologisches Korrelat (vgl. Abb. 5). Ein besonderer Schwerpunkt wurde das Röntgenbild der Wirbelsäule in der Osteoporose-Diagnostik.

Methoden zur Quantifizierung der Knochenstrukturveränderung im Röntgenbild bei Osteoporose

Bei der Osteoporose-Diagnostik war man immer bemüht, den Schweregrad der Erkrankung und damit das Frakturrisiko einzuschätzen. Dazu wurden seit ca. 1960 verschiedene Methoden der Röntgen-Morphometrie im Bereich der Kompakta (an den Fingerknochen) und im Bereich der Spongiosa (Struktur- und Formveränderungen in Wirbelkörpern und in der Schenkelhals-Architektur) entwickelt (vgl. Abb. 6). Den aktuellen internationalen Standard bildet dazu die 1993 von Genant entwickelte Einteilung der Wirbelkörper-Verformungen, die neben dem Schweregrad der Wirbelkörperfraktur auch prognostische Aspekte für das weitere Wirbelfrakturrisiko erlaubt.

Methoden zur Bestimmung der Mineraldichte des Knochens

Neben der Strukturanalyse des Knochens wurden Methoden zur Bestimmung des Knochen-Mineralgehaltes gesucht.

Single-Photonenstrahl-Analyse (SPA)
Hierzu wurde die ionisierte Strahlung zur Bild- und Messanalyse verwendet. 1963 wurde dazu der Cameron & Sǿrenson Scanner entwickelt (s. Abb. 7). Das mit einer Jod125 Strahlenquelle arbeitende Messsystem ermöglichte eine Knochen-Strukturanalyse am Unterarm aus der dann entsprechende Flächendichtewerte errechnet werden konnten. Das Ergebnis erlaubte auch begrenzte Aussagen für das Gesamtskelett.

Abb. 7: Methode der Densitometrie mittels Single Photonen-Absorption (SPA) 1963, unter Verwendung eines Photonenstrahls von ionisierender Strahlenquelle/Messung. | (Fotos: mod. nach Franke 1987)

Dual-Energy X-ray Absorptiometry (DXA bzw. DEXA)
Bei herkömmlichen Röntgenbild-Verfahren wird eine Röntgenquelle bzw. eine Strahlenqualität verwendet.

Die Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DXA) verwendet niedrigenergetische Röntgenstrahlen. Durch den gleichzeitigen Einsatz von zwei unterschiedlichen Strahlenenergien können im Körper durch die unterschiedlichen Schwächungscharakteristiken von Knochen und Weichteilen diese besser differenziert und quantifiziert werden. Daraus werden Flächendichte-Werte errechnet. Die WHO hat dazu einen entsprechenden Standard für die Osteoporose-Diagnostik festgelegt. Die im Vergleich mit dem normalen Röntgenbild-Verfahren geringere Strahlenbelastung bei der DXA-Analyse ist für die Praxis wichtig.

Für die diagnostische Routine der Osteoporose ist die Dichte-Messung an drei bis vier Lendenwirbelkörpern und an einem bzw. beiden Hüftgelenken zielführend (s. Abb. 8) Durch einen Ganzkörperscan wird eine quantifizierte Differenzierung von Knochen-, Fett- und Muskel-Masse möglich und erlaubt densitometrisch die Erfassung von Osteoporose und Sarkopenie.

Abb. 8a: DEXA-Scan. | (Foto: © Nick Smith photography, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license)
Abb. 8b-d: DEXA-Routine-Messregionen (l.), Bild des DEXA-Lateralscans der Wirbelsäule zur Orientierung (m.), DEXA-Wholebody-Analyse (r.).
Abb. 9: Mess-Regionen für die quantitative Tomographie (QCT) | (Foto: Siemens)

Quantitative Computer-Tomographie (QCT)
Das Schnittbildverfahren der Computer-Tomographie wird auch zur Bestimmung der Knochendichte (Osteodensitometrie) eingesetzt (1989/Siemens). Durch die gleichzeitige Abbildung von Standard-Phantomen mit definierten Dichten und der definierten Dicke des Schnittbildes kann aus der vergleichenden Schwächung der unterschiedlichen Strukturen eine echte Volumendichte errechnet werden. Die Messwerte treffen für die Schnittbildebene zu.

(Bilder: Stratec)

Die Praxis der quantitativen Computertomographie bezieht sich in ihren Messungen auf die Mitte von 3 Lendenwirbelkörpern (s. Abb. 9). Auf den Schnittbildern in 2 Ebenen wird die Mitte der zu analysierenden Wirbelkörper festgelegt. Das ist eine Unsicherheit bei Verlaufsmessungen. Die densitometrisch Analyse erfolgt einmal im kortikalen Rahmen, aber hauptsächlich im Spongiosa-Bereich des jeweiligen Wirbelköpers. Dazu werden je nach Gerätetyp ein runder Bezirk im Zentrum bzw. ein den Spongiosa-Bereich ausfüllender Algorithmus des jeweiligen Wirbelkörpers verwendet. Nachteil dieses Verfahrens sind der Geräteaufwand und die dazu notwendige höhere Strahlendosis.

Abb. 11: Bild der hochauflösenden peripheren Computer-Tomographie am distalen Unterarm mit gut differenzierbarer Spongiosa-Struktur, die eine finite Elemente Analyse ermöglicht. | (Foto: Maximilian Dambacher)

Periphere Quantitative-Computer-Tomographie (pQCT)
1989 wurden kleinere, weniger Strahlen-belastende CT-Geräte entwickelt, die in der Praxis für die Densitometrie peripherer Knochen wie Radius und Tibia geeignet sind (s. Abb. 10). Das Beispiel in Abb. 10 (l.u.) zeigt die ganze Breite der erfassbaren Veränderungen – Vergleich von normalem und gelähmtem Bein – in die die Entwicklung einer Osteoporose eingeordnet werden kann.

Hochauflösende periphere Computertomographie (HR-pQCT / ExtremCt)
Um weitere Einblicke in die Feinstruktur-Veränderungen sowohl im Spongiosa Bereich als auch in der Kompakta zu gewinnen, wurde die Auflösung der CT-Bilder 61 μm in vivo und bis zu 17 μm in vitro erhöht. Damit wird neben der Dichteanalyse die Struktur-Dynamik in den Knochen-Kompartimenten der analysierten Knochen erkenn- und messbar, die entsprechenden Stoffwechselveränderungen zugeordnet werden kann (s. Abb. 11). So wird auch der Struktur-Umbau bei nur geringem Dichteverlust als Frakturrisiko bestimmbar.