Plastische Chirurgie

Ästhetische Chirurgie zwischen medizinischer Notwendigkeit und Lifestyle

In einem Vortrag im Rahmen der Dermatologischen Wissenschafts- und Fortbildungsakademie NRW Ende November in Köln befasste sich Dr. med. Andrea Schulz (Essen), Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten sowie für Plastische und Ästhetische Chirurgie, mit diversen Fragestellungen hinsichtlich der Vertretbarkeit plastischer Chirurgie unter den Aspekten der Differenzierung zwischen Rekonstruktion und reinen Lifestyle-Eingriffen.

Die Referentin Dr. med. Andrea Schulz.

Der Körper werde von vielen Patient*innen zunehmend als Selbstoptimierungs-, ja sogar Kunstprojekt bzw. -objekt gesehen. Das Deutsche Ärzteblatt warnte jedoch bereits 2021 vor der Bagatellisierung von sog. Lifestyle-Eingriffen. „Doch wann wird der Wunsch nach ästhetischen Eingriffen und Operationen selbst zur Krankheit?” Eine wichtige Frage, die Schulz dem Auditorium während ihres Vortrags stellte. Die Dysmorphophobie, auch Dorian-Gray-Syndrom genannt, erhielt letzteren Namen aufgrund von Oscar Wildes Roman Das Bildnis des Dorian Gray, in dem ein junger Mann von einem Freund beeinflusst wird, der ihm einredet, dass die Jugend die beste und eigentlich einzig lebenswerte Zeit im Leben sei. Dieses Phänomen ist, so Schulz, auch in der ästhetisch-dermatologischen Praxis beobachtbar: jeder Arzt und jede Ärztin stelle sich bei den zu behandelnden Patient*innen des Öfteren die Frage, ob der oftmals unbedingte Wunsch nach Behandlung evtl. krankhafter Natur ist und ob man die jeweilige Patientin bzw. den jeweiligen Patienten tatsächlich behandeln sollte. Fakt ist jedoch, dass die Zahl der Eingriffe ständig zunimmt. Mittlerweile werden in Deutschland jährlich über 100.000 Behandlungen durchgeführt und weltweit gab es im Jahr 2022 rund 33 Millionen chirurgische und nicht-chirurgische Schönheitseingriffe.

Wann ist ästhetische Medizin reiner Kommerz?

Laut Schulz sollte es natürliche Grenzen für ästhetische Eingriffe geben. Wenn für die Optik gesunde Körperstrukturen zerstört werden, dann ist ihrer Meinung nach eine Grenze überschritten. Als Beispiel nannte sie eine Patientin, die im nahegelegenen Ausland eine Verkleinerung des Musculus gastrocnemius beidseitig hatte durchführen lassen und nun Frau Schulz darum bat, eine Narbenverbesserung herbeizuführen. Bei der Untersuchung zeigten sich 30 Zentimeter lange hypertrophe Narben an ihren Unterschenkeln! Schulz appellierte an ihre anwesenden Kolleg*innen, sich als Ärzt*innen zu verbünden, sich derartigen Eingriffen entgegenzustellen und noch stärker ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass ästhetische Eingriffe auch eine Krankheitsursache sein können.

In ihrem ärztlichen Tun wird die Referentin stets von den Worten ihres ersten ehemaligen Chefs, Dr. Hubertus Tilkorn († 2024), einem der renommiertesten plastischen Chirurgen Deutschlands, inspiriert: „Mach et nich‘ zu schön“. In ihrer Laufbahn habe sie diesen Rat einmal nicht berücksichtigt – und genau in diesem Fall kam es zu einer Nekrose.

Der Ästhetikmarkt: finanziell attraktiv, aber unsicher?

Schulz berichtete in der Folge über verschiedene Patient*innen, die sich nach missglückten Vorbehandlungen in ihrer Praxis vorstellten. Eine Patientin war z.B. mit einem Plasma-Pen behandelt worden, um eine Verbesserung ihrer Halsfalten zu erreichen; dabei habe sie sich jedoch deutlich gravierendere optische Makel zugezogen als die vorherigen Falten.

Eine andere Patientin, die einen Filler gespritzt bekommen hatte, suchte Schulz auf, um herauszufinden, welches Produkt sie erhalten hatte. Es war aber leider diesbezüglich keine Auskunft zu ermitteln und es zeigte sich, dass die injizierte Substanz nicht mit Hylase auflösbar war und zudem eine schwere Superinfektion vorlag. Bei bakteriellen Infektionen von Implantaten greifen bekanntermaßen dauerhaft keine Antibiosen. Die Patientin wies erhöhte Entzündungswerte auf, woraufhin Schulz nurmehr die Möglichkeit sah, den Filler operativ zu entfernen.

Zwar ist glücklicherweise die Zeit der permanenten Filler wie Polymethylmethacrylat (PMMA) mittlerweile vorbei, jedoch wurden diese in den vergangenen 20 Jahren angewandt, ohne über evtl. Langzeitfolgen aufzuklären, die sich nun jedoch bundesweit in ärztlichen Praxen in Form von Patient*innen mit Problemstrukturen zeigen. Es können dabei Fälle wie u.a. Fremdkörpergranulome auftreten, die große operative Eingriffe notwendig machen. Einer Patientin wurde Baumarktsilikon, flüssiges Silikon, ins Gesicht und in beide Brüste gespritzt. Eine weitere Patient*in hatte sich aus kulturellen Gründen aufgrund ihrer Herkunft Silikon in die Waden spritzen lassen und stellte sich im Uniklinikum Essen vor, wo jahrelang um den Erhalt ihrer Beine gekämpft werden musste.

Ein Problem stellen leider auch in Deutschland die lukrativen Geschäfte durch ästhetische Behandlungen dar, bei denen selten sicherheitsrelevante Aspekte berücksichtigt werden, wenn man sich z.B. in einem Friseursalon oder bei einer Kosmetikerin Filler spritzen lässt oder sich einer Unterspritzung im „Hinterhof“ unterzieht, so Schulz.

Wann wird der Lifestyle zur Krankheitsursache?

Man wisse, so Schulz, dass Elemente eines ungesunden Lifestyles z.B. Rauchen, starkes Übergewicht und übermäßige Sonnenexposition sind. Letztere trägt dabei maßgeblich zur Ausbildung von aktinischen Keratosen mit evtl. Feldkanzerisierung bei. Bei einem Patienten, bei dem in seiner schmuckvollen Tätowierung immer wieder Entzündungen aufgetreten waren und zuerst vermutet wurde, dass die Tatoofarbe womöglich Ursprung dieser kontaktallergischen Entzündungsreaktion gewesen sein könnte, haben nähere Untersuchungen ergeben, dass es sich um aktinische Keratosen und initiale Plattenepithelkarzinome handelte. Der Patient wurde daraufhin operativ und mittels photodynamischer Therapie behandelt, die glücklicherweise sehr gut anschlug.

Ästhetik wird im Allgemeinen, so Schulz, als die wahrnehmbare Schönheit und die Harmonie im Körper und in der Natur verstanden. Bereits 1906 wurde eine Oberlidstraffung beschrieben – der Wunsch nach Optimierung sei in allen Kulturkreisen so alt wie die Menschheit selbst. Durch die extreme Visualisierung der eigenen Person in heutigen Digitalmedien, insbesondere auf Social-Media-Plattformen wie TikTok oder Instagram, werden ununterbrochen Schönheitsideale präsentiert und „optimierte“ Körper und Gesichter dargestellt. Kinder und junge Erwachsene geraten so oftmals unter einen enormen Selbstoptimierungsdruck und sehen sich genötigt, medizinisch unnötige Behandlungen in Anspruch zu nehmen, um diesen beinahe krankhaften Schönheitsidealen zu entsprechen. Ihnen werden kontinuierlich bearbeitete und oft unrealistische Schönheitsideale in einer Art Dauerschleife präsentiert. Gefährlich dabei sei, dass, auch wenn man als Ärztin oder Arzt ein Treatment ablehnt, Patient*innen dennoch die Möglichkeit haben, im Internet selbst z.B. einen Kälte- oder Hitze-Pen oder auch Filler kaufen zu können – ohne zu ahnen, welchen Schaden diese „Selbstversuche“ anrichten können. Daher seien alle Ärzt*innen dazu aufgerufen, in diesem Bereich möglichst viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

Wann ist es noch Ästhetik, wann schon Rekonstruktion?

Die grundlegenden Techniken der Ästhetik haben ihren Ursprung in der rekonstruktiven Chirurgie, besonders im Bereich der Verbrennungschirurgie, wo schon früh Verbesserungen für großflächige Vernarbungen erprobt und etabliert wurden. Bei einem Patienten mit einer Verbrennung im Gesichtsbereich, die mit einer Kombination unterschiedlicher Behandlungen wie ablativem Laser, Microneedling, aber auch Hyaluronunterspritzung angegangen wurde, war das Ergebnis für den Patienten sehr zufriedenstellend. Dabei war es für Frau Schulz besonders schön zu erleben, wie auf diesem gemeinsamen Weg Schritt für Schritt das Vertrauen in die Behandlung (und die Behandlerin) immer weiter wuchs.

Ein besonderer Fall war ein junger Patient mit tuberöser Sklerose und großen Nasentumoren im Gesicht, der geistig stark eingeschränkt war. Nach einem Gespräch mit den Eltern des Patienten stellte sich heraus, dass der Junge seinen ausgeprägten Nasenbefund als sehr stigmatisierend empfand. Aus diesem Blickwinkel heraus war der in der Folge vorgenommene rekonstruktive Eingriff gut vertretbar. Die Therapie wurde mit der Einleitung einer sekundären Wundheilung abgeschlossen und das behandelte Areal ist anschließend ohne größere Strapazen gut abgeheilt.

An dieser Stelle appellierte Frau Schulz nochmals, dass zwar operativ viele Dinge umsetzbar seien, jedoch unter Einbeziehung aller Aspekte in jedem Einzelfall unbedingt abzuwägen sei, was für die konkrete Patientin bzw. den konkreten Patienten tatsächlich am besten ist, was das geringere Übel ist und was sie oder er am besten tolerieren kann. Nur so komme man zu einem gemeinsamen Konsens und nachfolgend zu einer optimalen Therapie.

Ästhetische Möglichkeiten ohne größere Operationen

Im minimalinvasiven Bereich sei es so, dass z.B. die fraktionierte ablative Lasertherapie erstaunliche Ergebnisse erbringen kann. Aber auch eine einfache Fillerbehandlung kann viel bewirken: Schulz erwähnte eine Patientin mit autoimmun bedingter Lipoatrophie, die aufgrund der empfundenen Stigmatisierung sehr unglücklich war. Sie wurde in drei Sitzungen mit Hyaluronsäure unterspritzt und habe dadurch eine gute Verbesserung ihrer Lebensqualität erhalten können.

Ein Herzensanliegen von Frau Schulz ist besonders die Behandlung und Verbesserung von Narben, denn die meisten Patient*innen können schlecht mit schweren Narbenfolgen im Alltag umgehen und fühlen sich oft eingeschränkt und verunsichert. Ein von ihr behandelter Patient sei zuvor nur geschminkt aus dem Haus gegangen, weil ihn seine Narben so sehr störten. Bei diesem Patienten wurde unter Vollnarkose ein Resurfacing durchgeführt, inkl. eines simultanen Microneedlings, sowie Skinbooster in die Narben gespritzt. Dies wurde in einer zweiten Session wiederholt und anschließend unter Blockanästhesie nachbearbeitet. Durch diese Therapie konnte ein erheblich verbessertes Narbenbild der Haut erzielt werden.

Wenn man verschiedene Verfahren einsetze und miteinander kombiniere, so könne man in der Gesamtheit ein wesentlich besseres Ergebnis erzielen. Dabei handle es sich auch um eine komplexe Initiierung der biologischen Mechanismen im Rahmen der Wundheilung, die man sich zu Nutze machen könne. Man müsse sich zwar dessen bewusst sein, dass alle diese Vorgänge ihre Zeit brauchen, jedoch könne man so auch die natürlichen Sanierungsprozesse der Haut nutzen.

Quelle: Sitzung 4 „Lifestyle vs. Krankheit“ im Rahmen der Dermatologischen Wissenschafts- und Fortbildungsakademie NRW, 30. November 2024, Köln