Chronischer Juckreiz: Juck-Kratz-Zirkel mit neuen Medikamenten blockieren
Neuroimmune Mechanismen als Schlüssel für eine effektive Pruritus-Therapie
Chronischer Pruritus ist ein fächerübergreifendes Leitsymptom vieler, insbesondere dermatologischer und internistischer Erkrankungen. Er geht mit einer hohen Krankheitslast und erheblichem Leiden der Betroffenen einher. Welche Herangehensweise für das Stellen einer Diagnose wichtig ist, welche therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten bestehen und wie Forschung zur Entstehung von dauerhaftem Juckempfinden zur Entwicklung moderner Therapeutika (monoklonale Antikörper) geführt haben, diskutierten Expertinnen und Experten der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft e.V. (DDG) auf einer Online-Fachpressekonferenz zum Auftakt der 53. DDG-Tagung in Berlin.

Unter chronischem Pruritus (CP), den Medizinerinnen und Mediziner als einen Juckreiz definieren, der über mehr als sechs Wochen anhält, leiden in Deutschland viele Menschen. Etwa 13–17% der erwachsenen Bevölkerung sind bei verschiedenen zugrundeliegenden Erkrankungen davon betroffen. Dabei kann durch die Überaktivierung des Nervensystems ein Juck-Kratz-Zirkel in Gang kommen, bei dem das Kratzen aufgrund des Juckens kurzfristig hilft, auf Dauer jedoch die Haut weiter schädigt. Entzündungen, Blutungen, Krusten, Narben und Jucken – für viele Betroffene ist das ein Teufelskreis.
„Menschen mit chronischem Pruritus schlafen oft schlecht. Wenn die Spuren des Kratzens zu sehen sind, schämen sie sich, was zu sozialem Rückzug und Depressivität führen kann“, so Prof. Dr. med. Dr. h.c. Sonja Ständer, leitende Oberärztin an der Klinik für Hautkrankheiten und Leiterin des interdisziplinären Prurituszentrums des Universitätsklinikums Münster (UKM). Die. Lebensqualität ist stark beeinträchtigt. „Was viele Menschen nicht wissen: Es besteht in den meisten Fällen keine Ansteckungsgefahr. Niemand muss sich ängstlich abwenden, wenn er oder sie einem Menschen mit chronischem Pruritus begegnet“, betonte Ständer.
CP wird häufig mit Hauterkrankungen assoziiert. Er ist jedoch ein fächerübergreifendes Leitsymptom vieler auch internistischer Erkrankungen. „Wenn Patientinnen und Patienten mit anhaltendem Jucken zu uns kommen, müssen – vor allem bei unauffälligem Hautbefund – auch andere Grunderkrankungen wie Diabetes, Leber- oder Nierenerkrankungen oder sogar bösartige Erkrankungen in Betracht gezogen werden. Eine Zusammenarbeit mit Spezialisten aus unterschiedlichen Fachgebieten ist ideal“, erklärte Ständer. Im Prurituszentrum Münster finden Menschen Hilfe, die bereits einen langen Erkrankungsweg hinter sich haben und noch nicht ausreichend behandelt werden konnten.
Wie die Empfindung Jucken entsteht, ist noch nicht bis ins Detail für alle Krankheitsformen geklärt. Bekannt ist, dass Pruritus bei Dermatosen durch ein komplexes Wechselspiel zwischen Nervenfasern, Keratinozyten, Mastzellen, inflammatorischen Zellen und ihrer Zytokine ausgelöst wird. In den letzten Jahren hat die Suche nach den Pruritogenen – also den „Erzeugern des Juckens“ – wichtige neue Erkenntnisse zur Entstehung und Aufrechterhaltung des Pruritus gebracht. Vor allem bei entzündlichen Dermatosen wie der atopischen Dermatitis ist vieles klarer geworden. „Neuroimmune Mechanismen spielen eine große Rolle und sind der Schlüssel für die Entwicklung effektiver Therapien“, so Ständer.
Das medikamentöse Behandlungsspektrum ist weit, da die Ursachen des Pruritus so verschieden sind. Die aktuelle deutsche Pruritus-Leitlinie empfiehlt, individuelle Therapiepläne zu erstellen, und listet evidenzbasierte symptomatische Therapieempfehlungen auf, die aus Phototherapie, topischen entzündungshemmenden und systemischen Therapien (Glukokortikosteroide, Immunsuppressiva oder Biologika) bestehen.
Neue Erkenntnisse zur Entstehung der chronischen Prurigo, einer seltenen, besonders quälenden Hauterkrankung, die mit einer juckenden Knötchenbildung am ganzen Körper einhergeht, führten zur Entwicklung neuer pharmazeutischer Lösungen. „Die chronische Prurigo kann zusätzlich eine psychische Erkrankung auslösen. Wichtig zu betonen ist, dass sie selbst keine psychiatrische Erkrankung ist. Da gab es früher Missverständnisse“, erklärte Ständer. Aktuelle Forschungen haben nun den Weg zu neuen Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Dabei identifizierten die Forschenden das mittlerweile als „Juck-Zytokin“ bezeichnete Interleukin 31 als zentralen Akteur. Der Antikörper Nemolizumab, der den Interleukin-31-Rezeptor blockiert, konnte in mehreren Studien seine Wirksamkeit beweisen und wurde kürzlich für den europäischen Markt zugelassen.
An der aktuellen OLYMPIA 1-Studie, einer multizentrischen, placebokontrollierten, randomisierten Phase-3-Studie nahmen 286 erwachsene Patientinnen und Patienten mit moderater bis schwerer Prurigo nodularis (einer Unterform der chronischen Prurigo) teil. Die Studienteilnehmenden wurden auf zwei Studienarme (190 bekamen Nemolizumab und 96 ein Placebo) aufgeteilt und wurden über 24 Wochen hinweg alle 4 Wochen behandelt. Der Antikörper wurde abhängig vom Körpergewicht dosiert: 30 mg oder 60 mg. Nach 16 Wochen war der Pruritus bei 58,4% der mit Nemolizumab behandelten Patientinnen und Patienten signifikant reduziert, verglichen mit 16,7% in der Placebogruppe. Auch die Hautläsionen verbesserten sich in der Nemolizumab-Gruppe signifikant stärker. Als Nebenwirkungen wurden Kopfschmerzen und Ekzeme verzeichnet. „Nemolizumab ermöglicht eine wirksame und sichere Behandlung für diese Patientengruppe, die zu signifikanten Verbesserungen bei Pruritus und Hautläsionen führt“, fasste Ständer zusammen. Die Zulassung von Nemolizumab durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bezieht sich auf die Behandlung mittelschwerer bis schwerer Prurigo nodularis und atopischer Dermatitis.
„Die Entdeckung neuer Mechanismen und Interaktionen bei chronischem Pruritus zeigt, wie komplex diese Erkrankung ist. Die hieraus abgeleiteten Therapieoptionen sind bereits vielversprechend“, merkte Prof. Dr. med. Julia Welzel, Tagungspräsidentin und Direktorin der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Universitätsklinikum Augsburg, Medizincampus Süd, an. Weitere Therapiestudien, die nicht nur die Interleukine und ihre Rezeptoren in den Blick nehmen, sondern auch andere Signalübertragungsmechanismen wie beispielsweise den JAK/STAT-Signalweg, seien jetzt wichtig, um weitere Optionen für eine optimierte Therapie zu erhalten, forderte die Augsburger Dermatologin.
Quelle: Deutsche Dermatologische Gesellschaft e.V.
Literatur
1. Ständer S, Yosipovitch G, Legat FJ, Lacour JP, Paul C, Narbutt J, Bieber T, Misery L, Wollenberg A, Reich A, Ahmad F, Piketty C. Trial of Nemolizumab in Moderate-to-Severe Prurigo Nodularis. N Engl J Med. 2020 Feb 20;382(8):706-716. doi: 10.1056/NEJMoa1908316. PMID: 32074418.
2. Ständer S, Zeidler C, Augustin M, Darsow U, Kremer AE, Legat FJ, Koschmieder S, Kupfer J, Mettang T, Metz M, Nast A, Raap U, Schneider G, Ständer H, Streit M, Schut C, Weisshaar E. S2k Leitlinie: Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. J Dtsch Dermatol Ges. 2022 Oct;20(10):1386-1402. doi: 10.1111/ddg.14830_g. PMID: 36252075