Pruritus

Neue Antikörpertherapie bei atopischer Dermatitis und Prurigo nodularis

Bei einer virtuellen Fachpressekonferenz stellten kürzlich Prof. Dr. Dr. Bernhard Homey, Direktor der Klinik für Dermatologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, Prof. Dr. Dr. Sonja Ständer, Leiterin der Sektion Pruritusmedizin und des Kompetenzzentrums Chronischer Pruritus am Universitätsklinikum Münster, und Prof. Dr. Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Universitätsklinikum Hamburg, die Studienergebnisse der ARCADIA-sowie der OLYMPIA-Studien vor. Diese Studien befassten sich mit der Wirksamkeit von Nemolizumab auf den Juckreiz bei atopischer Dermatitis bzw. Prurigo nodularis.

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Atopische Dermatitis (AD) sowie Prurigo nodularis (PN) sind symptomatisch durch eine chronische Hauttrockenheit und starken Pruritus charakterisiert. Durch das oftmals folgende chronische Kratz-Trauma wird das Relief gröber und die Haut lichenifiziert, teilweise sogar auf der gesamten Körperoberfläche. Bei PN ist der Juckreiz besonders stark ausgeprägt und die Entzündungsreaktion mündet oftmals in der Bildung von erhabenen, knotigen, ggf. hyperkeratotischen, nabelförmig aufgekratzten Läsionen. Die Folgen des chronischen Kratz-Traumas bei ausgeprägtem Pruritus können, je nach Schwere, in einem Gewebeumbau, in einer dermalen Fibrose oder in einer ausgeprägten Knotenbildung resultieren. Es wird also durch einen anfänglich harmlos erscheinenden Juckreiz eine Entzündungs-Kaskade ausgelöst mit anschließenden überschießenden Abwehrmechanismen in der Haut.

Der relative Beitrag von Juckreiz bzw. des nachfolgenden Kratzens zur Läsionsbildung besteht darin, dass Patient*innen auf der gesamten Oberfläche eine signifikante Hautveränderung aufgrund von AD bzw. PN aufweisen. Interessanterweise bleiben insbesondere bei PN die Bereiche, an denen die Patient*innen die juckenden Stellen nicht erreichen können, erscheinungsfrei, was als ‘Schmetterlingsphänomen’ bezeichnet wird. Der Juck-Kratz-Entzündungszyklus ist generell nur schwierig zu durchbrechen und der Juckreiz bzw. das Kratzen wird von Patient*innen mit AD bzw. PN jeweils als das belastendste Symptom empfunden (54,4% bzw. 49,3%).

In den letzten 20 Jahren wurden die Signalwege des Juckreizes intensiv erforscht, u.a. um zu eruieren, wie das Immunsystem mit der Juckreiz-vermittelnden Nervenzelle verbunden ist. Dabei zeigte sich, dass Interleukin-31 (IL-31) eine Hauptfunktion in dieser Kommunikation einnimmt. IL-31 gehört zu der Familie der IL-6 Zytokine und signalisiert über einen heterodimeren, d.h. aus zwei Untereinheiten bestehenden Rezeptor (IL-31RA/ OSMRb-Rezeptor). Die transgene Expression von IL-31 in Lymphozyten führte in Mausmodellen dazu, dass die Tiere eine atopische, Dermatitisähnliche Hautentzündung mitsamt Juckreiz entwickelten. In einer weiteren Studie aus dem Jahr 2006 mit humanen Proband*innen konnte gezeigt werden, dass bei Juckreiz-assoziierten Entzündungsreaktionen wie z.B. AD und PN der IL-31-Signalweg deutlich überexprimiert zu sein scheint im Vergleich zu z.B. weniger juckender Psoriasis.

Es bleibe, so der Tenor, festzuhalten, dass das Immunsystem, das Nervensystem sowie die Hautbarriere einander tangieren und deren Interaktionen in den einschlägigen Krankheitsbildern eine entscheidende Rolle spielen. Der vom Immunsystem ausgelöste Juckreiz beeinflusst die Nerven, die dem Körper einen Kratzimpuls auf der Haut signalisieren; das nachfolgende Kratzen stimuliert wiederum das Immunsystem und schädigt die Hautbarriere. In dieser pruritischen Entzündungsreaktion löst ein epidermales Kratz-Trauma eine Aktivierung der Keratinozyten aus, bei der Alamine als Signalstoffe ausgeschüttet werden. Die Alamine instruieren das Immunsystem, indem sie auf Antigen-präsentierende Zellen einwirken, wodurch das Immunsystem differenziert wird.

Ein spezifischer Signalweg ist dafür verantwortlich, dass dendritische Zellen induziert werden, um IL-31-Effektor Gedächtnis-T-Zellen zu exprimieren. Der Faktor Thymic Stromal Lymphopoietin (TSLP) spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn er beeinflusst den IL-31-Level auf Patient*innen-Ebene und sorgt für eine spezifische Reaktion des Immunsystems.

Die IL-31-produzierenden T-Zellen, die eine atopische, juckende Entzündung vorantreiben, weisen einen bestimmten Phänotyp auf (Th2) und ko-exprimieren selbst in gesunden Zellen die Zytokine IL-31 sowie CSF2, bei AD auch IL-4 und IL-13. Bei atopisch-juckend erkrankten Patient*innen ist das Ko-Expressionsnetzwerk von IL-31 produzierenden T-Zellen erweitert. Es werden Signaturen gefunden, die belegen, dass es sich bei der T-Zelle um eine extrem aktivierte und sog. pathogene, hyperaktivierte Effektor-Memory-T-Zelle handelt, die IL-31 vermehrt produziert. Dies ermöglicht die Aktivierung umliegender myeloider Granulozyten sowie von Basophilen und Eosinophilen.

Die weiterführende Forschung zeigte, dass die durch IL-31 in Basophilen induzierten Signalwege mittels IL-31RA-Hemmung durch den IL-31-Rezeptorblocker Nemolizumab bei AD- und PN-Patient*innen herunterreguliert werden können. Die Gentranskriptom-Signatur zeigt Überschneidungen mit AD und Psoriasis. Zudem deuten die Daten darauf hin, dass PN keine klassische TH2-Erkrankung ist, sondern mit IL-17 in Verbindung steht. Somit zeigen sich in PN-Läsionen ver-mehrte Keratinisierungsprozesse

und gemischte Immunsignalwege in der Haut. Zudem beeinflusst (neben IL-13 und IL-4) IL-31 die Barrierefunktion der Haut direkt und/oder über andere Mediatoren wie IL-1, IL-33, IL-20 oder IL-24. Dadurch wird die Haut durchlässiger für Allergene und Parasiten und verliert gleichzeitig verstärkt Feuchtigkeit, was sie dementsprechend trockener macht und wiederum zu einem erhöhten Juckreiz führt. Des Weiteren induziert IL-31 die Proliferation und Differenzierung der Keratinozyten sowie der Fibroblasten (Induktion von Fibrose, vermehrt bei PN). Da IL-31R direkt an freien Nervenendigungen exprimiert wird und unmittelbar Juckreiz vermittelt, kann der Anti-IL-31RA-Antikörper Nemolizumab die Unterdrückung des Amplifikationszyklus des Immunsystems bewirken und somit der Juckreizvorbeugung dienen; hierdurch kann eine weitergehende Hautdysfunktion verhindert und die Hautbarriere erhalten werden.

In die ARCADIA-Studie wurden Erwachsene und Jugendliche (≥12 Jahre) mit chronischer mittelschwerer bis schwerer AD seit ≥2 Jahren eingeschlossen. Basierend auf den verfügbaren Daten der Zwischenergebnisse der ARCADIA-LTE-Studie zu Nemolizumab bei Patient*innen mit mittelschwerer bis schwerer AD konnten anhaltende klinisch bedeutsame Verbesserungen bei Pruritus, Hautläsionen und Schlafstörungen bis Woche 56 beobachtet werden (gemessen anhand eines IGA-Erfolgs (IGA 0/1 mit einer Verbesserung von ≥ 2 Punkten gegenüber dem IGA-Ausgangswert), EASI-50, EASI-75, EASI-90, SCORAD VAS Pruritus

und SCORAD VAS Schlafverlust). Die von den Patient*innen berichtete verbesserte Lebensqualität, gemessen anhand des DLQI, zeigte eine kontinuierliche Verbesserung über einen Zeitraum von 56 Wochen hinweg. Die Sicherheitsdaten unterstützen die Langzeitanwendung von Nemolizumab zur Behandlung von Jugendlichen und Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer AD. Über 70% der Patient*innen verzeichneten vs. Placebo ein EASI-75-Ansprechen der Therapie. Bei Fortsetzen der Behandlung mit Nemolizumab bis Woche 48 blieben die Verbesserungen bei Pruritus, Hautläsionen und Schlafstörungen bei den Patient*innen, die zu Woche 16 auf die Behandlung angesprochen hatten, erhalten. Das Sicherheitsprofil war in allen Behandlungsarmen ähnlich.

Die klinischen Phase-III-Studien OLYMPIA-1 und -2 sind 2:1 randomisierte Studien, bei denen nur Erwachsene (≥18 Jahren) mit PN (≥6 Monaten) eingeschlossen wurden, die eine mittelschwere bis schwere Erkrankungsschwere nach IGA aufwiesen (Pruritus ≥7).ª Anders als bei der ARCADIA-Studie wurde in den OLYMPIA-Studien das Nemolizumab gewichtsabhängig dosiert.

Primärer Endpunkt war die Verbesserung des Juckreizes nach 16 Wochen, was in beiden Studien bei über der Hälfte der Patient*innen vs. Placebo erreicht werden konnte. Schon zu Woche 4 konnte eine gute Wirksamkeit und ein hohes Ansprechen (40%) erzielt werden. Zu den Wochen 16 und 24 konnte bei einigen Patient*innen ein guter Heilungserfolg beobachtet werden, was die Wirksamkeit der Monotherapie unterstrich, da keine zusätzlichen topischen Therapien (TCS/TCI) eingesetzt wurden.

Auf Grundlage der Daten der Zwischenanalyse der OLYPIA-LTE-Studie wurden bis Woche 52 anhaltende Verbesserungen bei Pruritus, Hautläsionen, Schlafstörungen und Lebensqualität beobachtet. Mehr als zwei Drittel der Patient*innen waren frei oder nahezu frei von Juckreiz und eine klinisch bedeutsame Verbesserung der Lebensqualität wurde zu Woche 52 bei 9/10 Patient*innen erreicht. Unter Nemolizumab erreichten fast viermal mehr Patient*innen einen IGA-Score von „erscheinungsfrei“ oder „nahezu erscheinungsfrei“ als unter Placebo. Die Daten zur Langzeitsicherheit stimmten mit den zuvor in den Phase-III-Studien berichteten Sicherheitsprofilen überein.

Der Juck-Kratz-Entzündungs-Zyklus, so das Fazit der Veranstaltung, stellt ein Schlüsselprinzip in der Pathogenese von AD und PN dar. Diverse Mediatoren und Effektorzellen steuern diesen Zyklus über eine Vielzahl an Wegen, was zu verstärktem Juckreiz, Entzündungen, einem Barriereschaden und fibrotischem Gewebeumbau führen kann. Der IL-31-Signalweg hat einen wichtigen Einfluss auf die Auslösung und Verstärkung der Aktivierung von pruritogenen Neuronen, weshalb eine Behandlung mit dem IL-31-Rezeptorblocker Nemolizumab in Studien gute Ergebnisse zeigt. Eine erfolgreiche Therapie wird erreicht, wenn der Juckreiz eliminiert, die Hautläsionen minimiert und den Patient*innen dadurch Lebensqualität zurückgegeben werden kann.

Quelle: Virtuelle Pressekonferenz „Neue Antikörpertherapie für die Atopische Dermatitis und Prurigo nodularis“, 26. Februar 2025; Veranstalter: Galderma Laboratorium GmbH

ª Der Investigator Global Assessment (IGA) dokumentiert Ausdehnung und Schweregrad der Läsionen anhand der Beurteilung von Erythem, Induration / Papelbildung, Exkoriation, Nässen und Krustenbildung. Der IGA ist nicht an die Läsionszahl gebunden, es wird der gesamte Hautzustand der Patient*innen mit 0-4 Punkten bewertet.