Autoinflammation – wenn das angeborene Immunsystem verrückt spielt
Dr. A. Häckel
Autoinflammatorische Erkrankungen sind charakterisiert durch systemische Entzündungsreaktionen, die scheinbar von selbst auftreten. Bis heute sind bereits mehr als 40 verschiedene autoinflammatorische Erkrankungen beschrieben. Dabei handelt es sich um Dysregulationen des angeborenen Immunsystems als erste Verteidigungslinie gegen Pathogene, erklärte Dr. Oskar Schnappauf, Abteilung Molekulare Diagnostik beim Medizinischen Versorgungszentrum Humangenetik Synlab in Freiburg, bei einer Veranstaltung im Rahmen des diesjährigen Deutschen Rheumatologiekongress in Berlin.
Daran beteiligt sind als myeloide Zelllinien neutrophile, basophile
und eosinophile Granulozyten und Makrophagen. Überholt ist die frühere Auffassung, nach der bei Autoinflammation keine Antikörper und keine spezifischen T-Zellen vorliegen. Charakteristisch sind periodische Fieberschübe sowie erhöhte Entzündungswerte im Blut. Häufig, aber nicht immer sind sie monogen bedingt. Das wohl bekannteste autoinflammatorische Syndrom ist das familiäre Mittelmeerfieber (FMF) mit pathogenen Varianten des MEFV- Gens auf dem Chromosom 16. FMF ist eine autosomal-rezessive Erkrankung, die durch Funktionsgewinn- Mutationen in diesem Gen verursacht wird. Das MEFV-Gen kodiert für ein Pyrin-Domänen (PYD) enthaltendes, so genanntes Pyrinprotein. [1]
Einige Jahre später wurde mit dem Cryopyrin-assoziierten periodischen Fiebersyndrom (CAPS) ein weiteres autoinflammatorisches Syndrom identifiziert [2], welches ebenfalls eine Pyrindomäne besitzt, jedoch autosomal dominant ist. Hierbei handelt es sich um pathogen mutierte Varianten eines Gens mit der Bezeichnung NLRP3, die – abhängig von der jeweils spezifischen Mutation – ein Spektrum unterschiedlicher Syndrome von dem eher milde verlaufenden autosomalen Kryosyndrom über das Muckle-Wells-Syndrom bis zur schwerwiegenden neonatalen Multisystem-Entzündungserkrankung (NOMID) bieten.
Das Inflammasom ist eine Schaltstelle autoinflammatorischer Krankheiten
Diese beiden Erkrankungen boten die Grundlage für die Erforschung des Inflammasoms. NLR-Proteine agieren wie Wachhunde in der
Zelle, die durch Pathogene aktiviert werden, erläuterte Schnappauf.
Wenn Pathogen-assoziierte molekulare Muster (PAMPs) in die Zelle eindringen, werden die inaktiven, autoinhibierenden NLR-Proteine in die aktive Form überführt und bilden dann zusammen mit dem Strukturprotein ASC und der Procaspase-1 das Inflammasom. Dieser Multiprote- inkomplex überführt die Procaspase-1 in das aktive Enzym Caspase-1, das Zytokine wie IL1b aktiviert. Caspase-1 schneidet nach neuen Erkenntnissen auch das Protein GSDMD. Dessen dadurch entstehender hochtoxischer N-Terminus induziert den inflammatorischen Zelltod der betroffenen Zelle. Dabei werden die aktivierten IL1b-Zytokine durch gebildete Poren der Zellmembran freigelassen. Eine weitere Aktivierungsmöglichkeit der NLR-Proteine ist eine gestörte Zellhomöostase. Bestimmte Mutationen der NLR- Proteine können zu spontaner Oligomerisierung der Inflammasomen führen und dadurch Inflammasomopathien auslösen. Zu diesen gehören neben dem FMF auch die familiäre Kälteurtikaria und NLRP1-assoziierte Autoinflammation mit Arthritis und Dyskeratose (NAIAD).
„Genflut“ eröffnet zunehmend die Beeinflussung pathogener Signalwege
Aktuelle Therapieoptionen beim FMF sind Colchizin sowie IL1-Rezeptorantagonisten, worauf allerdings nur ein Teil der Patienten anspricht. Erst dank der Verfügbarkeit der Hochdurchsatz-Sequenzierung (NGS) seit etwa 2006 und der dadurch ausgelösten „Genflut“ krankheitsassoziierter Gene konnten viele neue Signalwege identifiziert und dieses Therapieversagen teilweise aufgeklärt werden.
Diese Gene kodieren Komponenten des Immunproteasoms, eines zellulären Recyclingsystems, welches falsch gefaltete Proteine zu Peptiden zerkleinert, die dann für eine Protein-Neusynthese zur Verfügung stehen. Kommt es durch Mutationen zu Funktionsverlust des Immunproteasoms, lagern sich falsch gefaltete Proteine in der Zelle ab und führen zu einem Stress des Endo- plasmatischen Retikulums. Diess aktiviert Typ-1-Interferone, die v.a. nach viralen Infektionen exprimiert werden. Typ-1-Interferone aktivieren nach dem Verlassen der betroffenen Zelle den JAK-STAT-Signalweg der Nebenzellen und aktivieren dadurch die Expression Interferonregulierender Gene. Dadurch werden schließlich die DNA-Replikation und die Zellteilung blockiert und die Proteinsynthese wie bei einem Virusbefall verlangsamt.
JAK-Inhibitoren sind eine erfolgversprechende Therapieoption
In diese Krankheitskategorie der Proteasom-assoziierten autoinflammatorischen Syndrome (PRAAS) gehören etwa die chronische atypische neutrophile Dermatose mit Lipodystrophie und erhöhter Temperatur. Therapeutisch können mittlerweile JAK-Inhibitoren eingesetzt werden. Aber auch Gene des Nukleinsäuremetabolismus können betroffen sein. Sind die zugehörigen Proteine defekt, kommt es zu erhöhten intrazellulären Konzentrationen von DNA, RNA oder mitochondrialer DNA, welche dann fälschlich als fremd erkannt wird und ihrerseits Typ-1-Interferone aktiviert. Auch hier kann mit teilweise erstaunlichem Erfolg mit JAK-Inhibitoren oder Hemmern der reversen Transkriptase behandelt werden.
Auch das intrazelluläre Ubiquitinierungssystem kann involviert sein. [3] Dieses in allen Zellen (ubiquitär) vorhandene System markiert physiologisch untaugliche Proteine mit dem Protein Ubiquitin für den Abbau im Proteasom. Bedeutsam ist hier der für die Embryogenese und das Immunsystem bedeutsame NF-kappa- B-Signalweg. Mutationen bestimmter Proteine des Ubiquitinierungssystems bewirken eine Hyperaktivierung dieses Signalwegs. Zu den zugehörigen Erkrankungen gehört unter anderem das 2020 erstbeschriebene VEXAS-Syndrom [4], eine autoinflammatorische Erkrankung mit Fieberschüben und Entzündungen bei Erwachsenen, meist Männer >60 Jahre. Es wurden bereits über 100 Patienten identifiziert. Da spezifische Therapien noch fehlen, wird bislang mit Glukokortikoiden und Immunsuppressiva behandelt.
Künftig ist, so Schnappauf, mit der Entdeckung weiterer neuer Krankheitsgene und damit verbundener pathogener Signalwege autoinflammatorischer Erkrankungen, auch somatischer Art, zu rechnen. Die molekulare Diagnostik dürfte sich dabei zunehmend weg von der Einzelgen-Sequenzierung hin zur Panelsequenzierung und zur Exomsequenzierung entwickeln, zumal immer mehr Krankheiten beschrieben werden, deren Symptome sich stark überlappen können.
Quelle: Sitzung „Immundefizienz und Autoimmunität – zwei Seiten einer Medaille“ beim Deutschen Rheumatologiekongress 2022, 2. September 2022, Berlin
Literatur
1. Schnappauf et al., 2019; Frontiers in Immunology
2. Aksentijevich und Schnappauf; 2021; Nature Reviews Rheumatology
3. Bogharaju & Dikic et al., 2016; Nature 4. Beck et al., 2020; N Engl J Med