Rheumatologie

Rheumality© – Klassische Rheumatologie profitiert von Virtual Reality

Ein innovativer Ansatz zur Versorgungsoptimierung

An der Integration von virtueller Realität in die Medizin wird zwar seit längerem gearbeitet, doch die Corona-Pandemie hat die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien dramatisch beschleunigt. Ein Beispiel ist Rheumality©, ein bislang einzigartiges medizindidaktisches Tool, das vom Unternehmen Lilly gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Erlangen entwickelt wurde. Die Verknüpfung von klassischer Rheumatologie und ausgefeilter Bildgebung mit virtueller Realität eröffnet neue Möglichkeiten in der Lehre, aber auch zur Verbesserung der Arzt-Patienten-Interaktion. Eine Bewährungsprobe bei der Ausbildung von Medizinstudenten während der Corona-Pandemie hat das virtuelle Lehrkonzept bereits glänzend bestanden.

In der Rheumatologie bestehen sowohl bei Ausbildung wie auch Patientenversorgung enorme Defizite, betonte Dr. Martin Krusche, Rheumatologe an der Berliner Charité, bei einem virtuellen Pressegespräch zum Thema. In Deutschland leiden etwa 1,5 Millionen Menschen an rheumatisch-entzündlichen Erkrankungen, doch gibt es nur etwa 800 ambulant tätige Rheumatologen und damit eine Bedarfslücke von etwa 500 Fachärzten. Das führe besonders in ländlichen Bereichen zu Unterversorgung, langen Wartezeiten für Arzttermine und in der Konsequenz zu vermeidbaren potenziellen Schäden durch nicht oder zu spät behandelte Erkrankungen. „Wir haben zu wenig Fachärzte und zu wenig Nachwuchs in unserem Feld“, resümierte Krusche die Situation. Erschwert werde dies derzeit durch die Corona-Pandemie, die zugleich die Notwendigkeit verstärkter Digitalisierung im Gesundheitssystem vor Augen führte.

Strategien zur Digitalisierung in der Rheumatologie

Eine Strategie hierzu hat die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) in einem Anfang 2020 veröffentlichten Positionspapier zur digitalen Rheumatologie skizziert: Sie umfasst Anwendungen virtueller Realität, künstlicher Intelligenz, Apps, Wearables und Telemedizin bis hin zu elektronischen Gesundheitsakten und digitalen therapeutischen Angeboten wie DiGAs, Apps und Videosprechstunde. Weitere Projekte sind die digitale Diagnosebeschleunigung durch das Anamnese-Prescreening- Tool RhePort, Instrumente zur digitalen Erfassung von Patient-reported outcomes sowie ambulante Dokumentationsplattformen wie RheMIT, aber auch die Integration digitaler Anwendungen in Leitlinien. Um aber eine verbesserte und flächendeckende Lehre und zugleich eine höhere Versorgungsqualität zu gewährleisten, „brauchen wir Investition in Technologien und Infrastruktur, finanzielle Anreize für die Praxen und müssen vor allem das medizinische Personal und auch die Patienten im Umgang mit der Digitalisierung besser aufklären und schulen, damit sie eine ‘digital literacy‘ erlangen“, betonte Krusche.

Abb. 1: Ausblick: Rheumality© hybride Bildgebung – Synovitis in 3D bei rheumatoider Arthritis.

VR ermöglicht die immersive Erfahrung der Gelenkdestruktion

Ein Musterprojekt für die Einführung der virtuellen Realität (VR) in die Rheumatologie ist die VR-Anwendung Rheumality©, berichtete PD Dr. Arnd Kleyer von der Universität Erlangen. Auf der Basis realer Daten anonymisierter Patienten und hochaufgelöster Mikro-CT-Bildgebung lassen sich hier mit VR-Techniken unterschiedliche Stadien rheumatisch-entzündlicher Erkrankungen dreidimensional in bislang unerreichter Plastizität dargestellten und manipulieren. Das ermöglicht im Gegensatz zur klassischen Bildgebungsverfahren wie der Knochendichtemessung oder dem Röntgen erstmals „die immersive Erfahrung der Gelenkdestruktion“, wobei selbst sehr frühe Veränderungen der Knochenstruktur darstellbar sind, so Kleyer. Evaluiert wurde das Modell erstmals in Prototypen für rheumatoide Arthritis und Psoriasis-Arthritis. Ergänzend wurden für Rheumality© auch anamnestische Daten der Patienten hinzugefügt. Derzeit stehen drei Modellpatienten mit unter- schiedlichen Krankheitsbildern zur Verfügung, geplant ist jedoch die Ausweitung des Systems auf weitere Gelenkerkrankungen wie ankylosierende Spondylitis und Vaskulitis sowie Gicht. Darüber hinaus eignet sich die Technik auch zur Darstellung von entzündetem Weichgewebe etwa der Gelenk-Innenhaut, wie der Erlanger Rheumatologe am Beispiel einer PET- Bildgebung illustrierte. So lassen sich zum Beispiel mit hybrider Bildgebung entzündliche Autoimmunerkrankun- gen der Gelenke visualisieren, was mit herkömmlichen Methoden nicht möglich war.

Praxistest in der Medizinausbildung „dank“ SARS-CoV-2

An der Universität Jena hat Rheumality© einen ungeplanten Praxistest bereits bestanden. Die am Krankenbett vorgesehene rheumatologische Lehrveranstaltung des Sommersemesters 2020 konnte aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden, wurde jedoch mit großem Erfolg durch ein virtuelles Lehrkonzept ersetzt, wie PD Dr. Alexan- der Pfeil berichtete. Denn sämtliche Präsenzveranstaltungen – Vorlesungen und Praktika – waren nach dem Wintersemester 2019/2020 plötzlich nicht mehr möglich. „Wir standen vor der Alternative, lassen wir die Lehrveranstaltung ausfallen, oder führen wir sie virtuell durch“, so der Rheumatologe von der Uni Jena. Dank Rheumality© konnte das Praktikum am Krankenbett mit Erfolg durch virtuelle Darstellung rheumatologischer Fälle ersetzt werden. Besonders beeindruckte Pfeil die Möglichkeit, anhand standardisierter klinischer Befunde erstmals „direkt in den Knochen hineinzugucken“ und diesen räumlichen Eindruck direkt mit den klinischen Befunden zu korrelieren, was mit bisherigem Unterricht nicht möglich sei. Eine direkte Evaluierung durch 237 Studenten ergab, dass die Lehrveranstaltung von 72% als „gut“ oder „sehr gut“ bewertet und fast von allen als sinnvolle Ergänzung gesehen wurde, gleichwohl hielten 95% die direkte Erfahrung am Krankenbett letztlich für unverzichtbar. „Ich denke, virtuelle Lehrkonzepte sind die Zukunft“, so Pfeils abschließendes Resümee.

Rheumality© goes augmented – und wird mobil und barrierefrei

Das in der VR-Applikation integrierte Didaktik-Konzept auf der Basis von echten Fällen konnte inzwischen durch „augmented reality“ zur App Rheumality GO!© erweitert werden, ergänzte Dr. David Simon, Universität Erlangen. Diese soll über einen barrierefreien Zugang auch zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Arzt und Patienten beitragen. Patienten können damit den Charakter ihrer Erkrankung und deren Verlauf mit und ohne Therapie auf einem Tablet oder anderen mobilen Endgeräten ohne zusätzliche VR-Brille dreidimensional direkt und eindrucksvoll nachvollziehen. Das könnte sich, getreu dem Prinzip „Mehr sehen – mehr verstehen“, auch positiv auf die Therapieadhärenz auswirken, hofft Simon. Eine weitere Option ist der Einsatz des Tools in der Aus- und Weiterbildung von Studenten und medizinischem Fachpersonal, wobei sich zum Beispiel auch aktuelle Studiendaten zu Therapieformen visuell integrieren lassen.

Quelle: Virtuelles Pressegespräch „Rheumatologie neu erleben dank virtueller Realität: Nächste Dimension der Versorgungsoptimierung oder technische Spielerei?“, 20. Januar 2021; Veranstalter: Lilly